Freitag, 19. April 2024


Geheimnisvolle Störung in der Raumzeit

Physik. - Die Allgemeine Relativitätstheorie, die Albert Einstein im November 1915 vollendet hat, gilt unter Experten als sein wahrer Geniestreich. Gut möglich, dass die Formeln für die Krümmung von Raum und Zeit ohne Einstein noch Jahrzehnte unentdeckt geblieben wären. Aber der Geniestreich hat einen Schönheitsfehler: Eine der zentralen Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie, die Existenz so genannter Gravitationswellen, ist bislang noch nie direkt in Experimenten bestätigt worden, obwohl Forscher weltweit daran arbeiten - unter anderem in Hannover.

Von Ralf Krauter | 11.01.2005
    Einsteins Erben? Naja, gut, wir versuchen eben, seine Theorien zu überprüfen. Insofern kann man das schon so sagen.

    Dr. Peter Aufmuth von der Universität Hannover ist einer von rund 450 Forschern weltweit, die ständig auf der Lauer liegen - in der Hoffnung, dass ihnen irgendwann einmal eine jener mysteriösen Gravitationswellen ins Netz geht, die es laut Allgemeiner Relativitätstheorie geben muss. Wenn sie Erfolg haben, wäre das Albert Einsteins letzter Triumph.

    Ich bin seit 1990 dabei und gehöre zu den Gründungsmitgliedern von GEO 600.

    Der Gravitationswellendetektor GEO 600, das ist Peter Aufmuths Ohr für das Konzert des Kosmos. Um ihn zu sehen, muss man von Hannover aus mit dem Auto aufs Land fahren. Das Ziel liegt inmitten von Obstplantagen an einem Feldweg.

    Wir fahren jetzt also hier rum... Hier sehen wir jetzt das Endhaus. In diesem Haus ist also ein Vakuumtank enthalten, der den einen Endspiegel enthält. Und hier beginnt die 600 Meter lange Messstrecke. Hier sehen wir die Rohrabdeckung. Das Rohr selbst ist hier in einem Graben aufgehängt. Wir sehen jetzt hier nur die Abdeckung dieses Grabens.

    In dem 600 Meter langen Vakuum-Rohr läuft ein unsichtbarer Infrarot-Laserstrahl hin und zurück. In einem Baucontainer am anderen Ende des Rohres befindet sich der Detektor. Dort wird das Laserlicht mit dem Strahl aus einem zweiten 600 Meter langen Rohr überlagert, das beinahe im rechten Winkel zum ersten verläuft. Die L-förmige Struktur im Boden ist ein riesiges Interferometer, mit dem die Physiker kleinste Längenänderungen messen können. Und genau dadurch sollen sich die Gravitationswellen verraten: Die von Einstein vorhergesagten Störungen im vierdimensionalen Gefüge von Raum und Zeit breiten sich wellenförmig aus und verzerren alles, was ihnen in die Quere kommt. Wenn es Gravitationswellen wirklich gibt, müssten sie die Arme der Messapparatur unterschiedlich stark zusammenstauchen. Sobald das passiert, schlägt der Detektor Alarm.

    Der Kontrollraum befindet sich hier. Hier sitzen jetzt die Leute, die den Detektor justiert haben und den jetzt überwachen und an Kontrollcomputern das Signal nehmen.

    Der Baucontainer ist voll gepfropft mit Computer-Monitoren. In der Ecke eine lebensgroße Papp-Figur von Albert Einstein. Vier junge Männer überwachen die Anzeigen auf den Bildschirmen. Über 200 elektronische Regelkreise steuern den Detektor, dämpfen Schwingungen, filtern Störungen aus dem Signal. Präzision ist das A und O: Der zu erwartende Stauchungseffekt einer Gravitationswelle ist winzig.

    Man könnte daran denken, als Messstrecke den Abstand von der Erde zur Sonne zu nehmen, das sind 150 Millionen Kilometer. Die 150 Millionen Kilometer würden sich dann um den Durchmesser eines Atoms ändern.

    Mittlerweile ist GEO 600 nur noch einen Faktor zehn von der angestrebten Empfindlichkeit entfernt. Zur Detektion einer Sternenexplosion in unserer Galaxis ist das schon gut genug. Aber so ein Ereignis passiert im Mittel nur alle 30 Jahre einmal. Um auch weiter entfernte Quellen von Gravitationswellen sehen zu können, muss das Hintergrundrauschen weiter reduziert werden. Obwohl die Hannoveraner Forscher bislang ebenso ergebnislos auf der Lauer lagen, wie ihre Kollegen in den USA, Japan und Italien, die ähnliche Detektoren betreiben - dass es Gravitationswellen tatsächlich gibt, daran zweifelt hier keiner. Schließlich gebe es ja schon indirekte Beweise für deren Existenz, sagt Peter Aufmuth, und zwar aus der Beobachtung von Doppelsternsystemen.

    Wenn zwei Sterne umeinander kreisen, senden sie Gravitationswellen aus. Dadurch verlieren sie Energie. Sie rücken dann näher zusammen und kreisen schneller umeinander. Und das kann man messen. Und wenn man jetzt nach der Einsteinschen Theorie ausrechnet, wie viel schneller sie pro Jahr umeinander kreisen sollten, dann stimmt das exakt mit dem überein, was man misst. Und das kann kein Zufall sein.

    Im Prinzip dürfte es also nur eine Frage der Zeit sein, bis Einsteins Erben endlich die erste Gravitationswelle ins Netz geht. Und wenn nicht mit der bestehenden Generation von Detektoren, dann eben mit der nächsten, die noch viel genauer ins All lauschen soll und bereits in Planung ist.