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Geheimtipp Cioran

Im Frühjahr dieses Jahres hat der Suhrkamp Verlag eine neue Reihe unter dem Namen "Quarto" gestartet. Die im wörtlichen Sinne gewichtigen Bände sollen das Gesamtwerk eines einflussreichen Autors in preiswerten Ausgaben vermitteln. Gearde neu erschienen in der Reihe ist die Werkausgabe des Philosophen E.M. Cioran.

Von Hans-Jürgen Heinrichs | 26.01.2009
    Auf den ersten Blick überrascht sowohl die Zusammenstellung der Autoren in dieser Reihe als auch das verlegerische Konzept einer solchen Edition, die man zum Beispiel eher in einem Verlag wie "2001" suchen würde: Bände, die vom Aussehen und vom Gewicht einem Backstein gleichen, schwer in der Hand liegen und dabei doch, selbst in globalen Krisenzeiten, erschwinglich sind. Thomas Bernhard und Franz Kafka, Marguerite Duras und Bohumil Hrabal im Frühjahr dieses Jahres und jetzt im Herbst Max Frisch und Ödön von Horváth, Michel Foucault und E.M. Cioran: Bände, im Umfang von rund 2000 Seiten zu jeweils zirka 25 Euro.

    Im kommenden Frühjahr werden die Romane von Amos Oz sowie Märchen und Erzählungen von Hermann Hesse, später dann zum Beispiel Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit erscheinen. In der Tat eine bunte Mischung. Aber das spricht noch nicht gegen die Reihe, die sich im übrigen an die renommierte Edition beim großen französischen Traditionsverlag Gallimard anlehnt, bei dem die Bände noch strikter dem quadratischen Maß folgen.

    Die bunte Mischung folgt nicht den eingespielten Rastern und disziplinarischen Zwangsvorstellungen hier Literatur, dort Wissenschaft. Sie präsentiert Autoren so, wie man sie ja auch liest: nebeneinander und gleichzeitig. Ein Historiker und Philosoph wie Michel Foucault ist nicht nur Wissenschaftler, sondern auch ein großer Stilist, und eine Schriftstellerin wie Marguerite Duras hat die bedeutendsten Theoretiker beschäftigt und herausgefordert.

    Auf eine noch exemplarischere Weise widersetzt sich das Werk E.M. Ciorans jeder Klassifizierung. Der 1911 in Rumänien geborene Philosoph, der von 1937 bis zu seinem Tod, 1995, in Paris lebte, entspricht so gar nicht dem akademischen Ideal eines Philosophen. Man vergegenwärtigte sich nur seine Selbstcharakterisierung:

    "Ich bin so ein Fragmentmensch. Ich gehöre zur Kategorie der Zerstreuten, zu den aus Prinzip Gescheiterten. Ich habe in einem immerwährenden Widerstreit mit mir selbst gelebt."
    Ciorans gesamtes Werk ist bestimmt von einer ins äußerste Extrem getriebenen Infragestellung des Ichs, einer Unausgeglichenheit und Verzweiflung, einem fundamentalen Gefühl vehementen Scheiterns. Bereits die Titel seiner Bücher - Auf den Gipfeln der Verzweiflung oder etwa Vom Nachteil, geboren zu sein - legen davon unmissverständlich Zeugnis ab. Unablässig befinde er sich, so hat er immer wiederholt, in ungeheuerlichen Turbulenzen und erlebe den Niedergang so euphorisch wie eine Erleuchtung. Als der Philosophiestudent E.M. Cioran von Rumänien nach Paris ging, suchte er nicht das Strahlende dieser westlichen Kulturmetropole, sondern die "Nachtseiten der Dinge” - wenn auch, wie er sagte, verführt vom ruchvollen Glanz dieser "Stadt der Huren und Bordelle": der Aufbruch eines sich schon früh als unstet und nutzlos begreifenden Geistes, der in der Literatur seinen einzigen Halt fand.
    "Theoretisch glaube ich nicht an die Nutzbarkeit des Schreibens oder dass man einen "Namen" hat oder nicht. Für mich war es meine Form von Gesundheit, mich dieser Gefühle des Bedrücktseins, als ein Mensch des Schiffbruches, auszudrücken. Ich bin sicher, dass ich nicht zugrunde gegangen bin nur, weil ich geschrieben, mich ausgedrückt habe. Wäre mir
    das nicht geblieben, ich wäre bestimmt zugrunde gegangen."
    Ein zurückgezogen lebender Literat und Denker außerhalb akademischer Fakultäten, einer, der alle Denkpositionen in großzügiger, subjektiver Manier eines besessenen Gedankenspielers verwarf, verspottete, verdrehte; ein um sein Können und Versagen wissendes Genie wider Willen, ein großstädtischer Einsiedler und lustvoller Asket. Denkend entzog er sich der Festlegung seiner Beziehungen durch die Verteidigung des Widerspruchs und durch das Prinzip der Ironie und Selbstironie. Selbst seine Verzweiflung hat nie etwas Kategorisches. Sie ist Bestandteil eines Lebens-, Sprach- und Denk-Experiments und verweist stets auf das Existieren als eines "ungeheuren Phänomens”. Das Leben als Fluch - kein Schriftsteller hat je diese Erfahrung mit einer solchen Leidenschaft und einem Funkeln in den Augen wie Cioran vorgetragen und in einer schlackenlosen Poesie und metaphysischen Schärfe formuliert. Er hat die Erfahrung des Ungeheuerlichen und Unheimlichen auch genossen, und er hat mit dem Schrecken einen so vertrauten Umgang gepflegt, dass er ihn zu seinem Freund machen konnte.

    "Ich habe immer in Widersprüchen gelebt und nicht darunter gelitten. Wäre ich ein Systematiker gewesen, hätte ich lügen müssen. Ich habe das Unlösbare angenommen. Ich habe eine gewisse Wollust des Unlösbaren... Ich habe nie zu glätten versucht. Ich habe nie ein Ziel gehabt."
    In fast täglichen und nächtlichen Fingerübungen hat sich Cioran über die Unfähigkeit zu leben (beziehungsweise den "Nachteil” und den "Irrtum geboren zu sein”) hinwegzuretten versucht, hat Phasen des Nichtschreibenkönnens ausgehalten: mit dem Entwurf von Essays, mit Skizzen und Beobachtungen zum Denken, zur Philosophie, Mystik und Musik, zur Langeweile, Schlaflosigkeit und Widersprüchlichkeit des Lebens.

    "Die Leute, die ich gerne habe, die müssen nicht wie ich denken, aber irgendwie müssen sie verstört sein, nicht unbedingt stark, aber bis zu einem gewissen Grad... Die Leute, die ich gerne habe, das waren immer Leute, die irgendwie ihr Leben verfehlt haben..., die irgendwie misslungen sind als Wesen."
    Rätselhaft ist, warum gerade die Cioran-Ausgabe - im übrigen der bisher umfangreichste und geradezu liebevoll bebilderte Band - kein Nachwort, nur ein Glossar enthält, was bei einem Denker, dem jede Systematik ein Graus war, eher ungewollt komisch ist. Die wunderbare Erzählung des Dramatikers Peter Turrini "Horváths Gebeine" (im Anhang der Ödön von Horváth-Ausgabe) hätte Cioran gefallen, ein Text voller Esprit,
    Sarkasmus, Ironie und literarischer Finesse.

    Insgesamt zeichnen sich die Bände der Quarto-Reihe dadurch aus, dass sie nicht nur drucktechnische Zusammenstellungen der bereits vorliegenden einzelnen Werke sind, sondern bereichert werden durch kluge, instruktive, engagierte, sich für den Autor und sein Werk zumeist leidenschaftlich einsetzende Nachworte und Kommentare. Sie dienen dem Leser, überladen die Ausgaben nicht, auch wenn man sich an einigen Stellen für das bessere Verständnis notwendige Anmerkungen zu den einzelnen Texten wünschen könnte.

    All dies vermisst man schmerzlich beim Cioran-Band, sogar elementare Angaben zur Lebensgeschichte des Autors und zur Werkgeschichte fehlen. Während alle anderen Bände eine Zeittafel enthalten, hat man hier aus unerfindlichen Gründen auch darauf verzichtet.

    Und dennoch: Einem Autor wie Cioran, der immer noch weithin als Geheimtipp gilt, eine Biographie - Patrice Bollons fundierter biographischer Essay erschien 2006 - und jetzt eine Werkausgabe zu widmen, ist allein schon eine rühmenswerte Tat. Dies gilt ebenso für die Ausgabe der Romane des bei uns immer noch viel zu wenig bekannten großen Schriftstellers Bohumil Hrabal. Und, was auch nicht unwichtig ist, die Texte lesen sich, trotz des immensen Umfangs und des Dünndrucks, ausgezeichnet; die Bände bleiben sogar aufgeschlagen liegen und klappen nicht wie so viele Bände zusammen, sobald man die Hände von ihnen genommen hat, so, als wollten sie lieber ungelesen bleiben.

    Cioran. Werke. Suhrkamp Verlag. Reihe Quarto.
    2086 S., 30,00 EUR.