Freitag, 19. April 2024

Archiv


Geißler: Positives Bild der CDU wird durch die Liberalen ständig verfinstert

Der ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler meint: Es sei ein Fehler der CDU gewesen, sich auf die Liberalen als Koalitionspartner festzulegen. Die FDP stünde für die Blockade in der Koalition. In allen Politikbereichen gebe es zwischenzeitlich eine breite Übereinstimmung mit den Grünen.

Heiner Geißler im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 24.05.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel dazu befugt war, Umweltminister Norbert Röttgen aus seinem Amt zu entlassen, nach der krachenden Niederlage in Nordrhein-Westfalen, das ist unbestritten. Die Frage ist, ob es auch klug war, denn der Ärger über Merkels Vorgehen war mehr als deutlich zu vernehmen, vor allem in der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen, die sich fortgesetzt düpiert fühlt, zuletzt durch die Entscheidung, den Niedersachsen Michael Große-Brömer zum Parlamentarischen Geschäftsführer zu machen und nicht einen Vertreter aus Rhein und Ruhr. Röttgen ist dort am Montagabend offenbar mit donnerndem Applaus begrüßt worden. Wie sinnvoll war also Merkels Volte, Röttgen erst im Amt zu belassen und dann drei Tage später doch zu entlassen? Jüngste Umfragen legen den Schluss nahe, dass sie geschadet hat. Die Union verliert nämlich massiv an Zustimmung. Das könnte allerdings auch noch andere Gründe haben, und darüber möchten wir sprechen mit Heiner Geißler, dem ehemaligen CDU-Generalsekretär. Schönen guten Morgen, Herr Geißler.

    Heiner Geißler: Ja guten Morgen!

    Heckmann: Wie ist es aus Ihrer Sicht? Droht die Entlassung Röttgens durch Angela Merkel, der Bundeskanzlerin noch auf die Füße zu fallen?

    Geißler: Ach wissen Sie, diese irrationale Argumentation, die wir jetzt in der Hauptstadtpresse seit über einer Woche haben, kommt ja nicht an den Kern der Sache. Natürlich kann man darüber debattieren, über die Umstände dieses Ministerwechsels, aber selten habe ich so etwas erlebt, wie da irrational argumentiert und kommentiert worden ist. Jetzt geht die Debatte über die Angela Merkel, vorher ging von derselben Presse aus die Debatte über Norbert Röttgen. Das war der Sündenbock, den hat man gefunden und der sollte an allem Schuld gewesen sein. Das geht alles an der Sache total vorbei. Die Angela Merkel – ich kann das nicht beurteilen – mag sachliche Gründe gehabt haben. Ich glaube, dass es wichtig ist - Norbert Röttgen gehört zu den besten, den gescheitesten, den effektivsten Mitgliedern der Christlich Demokratischen Union -, dass er jetzt nicht aufgibt, sondern dabei bleibt, und ich bin fest davon überzeugt, dass er auch eine neue große Aufgabe bekommen kann.

    Heckmann: Sie sprechen davon, Herr Geißler, Pardon, dass die Medien Herrn Röttgen zum Sündenbock gemacht haben.

    Geißler: Ja, natürlich!

    Heckmann: Aber es war doch so, dass Röttgen selbst die volle Verantwortung für die Wahlniederlage übernommen hat und auch die Unions-Führung, inklusive Angela Merkel und Volker Kauder, die hatten nichts besseres zu tun, als ihm die komplette Verantwortung zuzuweisen.

    Geißler: Entschuldigung! Es ist ja was anderes, ob jemand zum Sündenbock gemacht wird, oder ob jemand die Verantwortung übernimmt. Sie haben gerade in der Anmoderation von einer krachenden Niederlage geredet. Ich finde das absolut unangemessen, denn wir hatten in den letzten Jahren bei Landtagswahlen für die CDU erheblich höhere Verluste. Die CSU hatte 2008 minus 17 Prozent. In Hessen ...

    Heckmann: Aber es war das historisch schlechteste Ergebnis in Nordrhein-Westfalen.

    Geißler: Moment mal! Darf ich das mal sagen? – In Hessen minus 12 Prozent, in Sachsen minus 15 Prozent, in Hamburg minus 20,7 Prozent, die SPD in Rheinland-Pfalz minus 10 Prozent. Da sind die minus 8,3 Prozent in Nordrhein-Westfalen ja nun wirklich fast eine Marginalie, was ich gar nicht behaupten will, sondern ich will ja nur auf die Unproportionalität dieser irrationalen Argumentation hinweisen, die man jetzt auf den Norbert Röttgen gezielt hat. Die Gründe für die Niederlage der CDU liegen doch völlig anders. Die liegen doch nicht in der Person von Norbert Röttgen, sondern die liegen darin, dass wir eine Veränderung in der politischen Landschaft deswegen haben, weil wir inzwischen in Deutschland eine linke Mehrheit haben, und das hat sachliche Gründe, inhaltliche Gründe. Und diese ganze Personaldiskussion, die jetzt geführt wird, die soll ja nur davon ablenken, dass man jetzt endlich einmal über die sachlichen Hintergründe und Argumente redet, die zu dieser Veränderung der Landschaft geführt haben. Das ist das eigentlich Entscheidende!

    Heckmann: Dann kommen wir mal zu den Gründen, die aus Ihrer Sicht zu dieser Reihe von krachenden Niederlagen – ich sage es noch mal – geführt haben, und in Nordrhein-Westfalen war es der historisch schlechteste Wert, den die CDU eingefahren hat. Was sind denn aus Ihrer Sicht die Gründe dafür, dass es in Deutschland eine linke Mehrheit gibt?

    Geißler: Also erstens einmal geht es um die Grundsatzfrage der Frage der strukturellen Mehrheitsfähigkeit als Volkspartei und als Regierungspartei. Darum geht es. Der erste große inhaltliche Fehler war, dass es der CDU nicht gelungen ist, ein Koalitionsverhältnis aufzubauen zu den Grünen. Die CDU hat sich – die Diskussion geht jetzt schon seit über 15, 20 Jahren, sie wird auch von mir geführt – eindeutig auf die Liberalen festgelegt. Das ist natürlich nicht sehr intelligent, nur einen Koalitionspartner zu akzeptieren. Wenn der nicht mehr da ist – und das ist ja bei der FDP sporadisch der Fall -, dann steht man ja nur vor der Alternative entweder Opposition, oder Große Koalition. Das ist keine sehr intelligente Strategie, und es gibt überhaupt keinen Grund, warum die CDU mit den Grünen nicht genauso eine Koalition eingehen könnte wie mit den anderen Parteien, nachdem die Energieproblematik weg ist, die CDU hat die Energiewende gemacht, wir haben in der Außenpolitik, in der Verteidigungspolitik keine unüberwindlichen Hindernisse mehr mit den Grünen. Also es gibt an sich überhaupt keinen Grund dafür, nicht wahr, dass wir keine Koalition mit den Grünen machen könnten.

    Heckmann: ... , außer dem Grund vielleicht, dass dieses Experiment in Hamburg gründlich daneben gegangen ist.

    Geißler: Das kann ja sein. Es sind noch mehr Koalitionen gründlich daneben gegangen. Die jetzige Berliner Koalition ist auch nicht gerade ein Frühlingsfest, sondern hat erhebliche Probleme, und damit sind wir beim zweiten Grund. Im Grunde genommen hat die Regierung natürlich große Vorteile und große Erfolge vorzuweisen. Die Führungsfähigkeit der Regierung, der Kanzlerin vor allem, ist ja nicht zu bestreiten. Wir haben die Stabilisierung des Euro. Wir haben das größte wirtschaftliche Wachstum aller OECD-Länder. Wir haben die geringste Arbeitslosigkeit. Also wir stehen auch ökonomisch und auch sozial blendend da. Da muss man mal die Frage stellen, warum wirkt sich das eigentlich nicht zugunsten der CDU aus.

    Heckmann: Wie ist Ihre Antwort?

    Geißler: Meine Antwort ist die, nicht wahr, dass dieses positive Bild in der Koalition ständig verfinstert und verzerrt wird – dadurch, dass wichtige Maßnahmen und Aufgaben, die eben konstitutiv sind für eine große Volkspartei, abgeblockt werden und nicht zustande kommen. Dazu gehört zum Beispiel die fehlende Kompetenz für die soziale Gerechtigkeit, Mindestlohn, internationale Finanztransaktionssteuer, eine Begrenzung der maßlosen Bereicherung der Vorstände von großen Banken, die Reform der Sozialversicherungssysteme durch eine Bürgerversicherung, die Beseitigung oder die Minimierung von Minijobs. Das alles wird abgeblockt und verhindert vor allem durch die Liberalen, und dadurch wird diese Koalition mit der CDU in ein völlig falsches Fahrwasser gerückt und die CDU wird im Grunde genommen mit in Haftung genommen für die Blockade, die die Liberalen in dieser Koalition betrieben haben. Die CDU sollte endlich sich wieder darauf besinnen, nicht wahr, dass sie eine Volkspartei ist.

    Heckmann: Herr Geißler, pardon! Sie sagen, die CDU müsste sich auf die konservativen Werte wieder berufen und sich ihrer wieder erinnern, denn die Stammwähler, die bleiben ja auch zuhause.

    Geißler: Das ist ja eine unsinnige Argumentation. Die wird immer wieder vorgetragen. Ich möchte mal gerne wissen, wenn Sie einmal die Wanderbewegung in Nordrhein-Westfalen sich angucken: Die Liberalen haben von der CDU ungefähr 160.000 Wähler bekommen. Das sind aber alles Leihstimmen gewesen. Das heißt, die CDU-Leute, die wollten, dass die FDP über die fünf Prozent kommt. Aber die CDU hat 210.000 Stimmen direkt an Rot-Grün verloren, 60.000 an die Piraten. Die Frage ist ja einmal, sind das alle konservative Stammwähler, oder Modernisierungsverweigerer, die das gemacht haben. – Die sind aus ganz anderen Gründen zu Rot-Grün gewandert. Das haben wir ja nun seit 1998, wo die CDU zum ersten Mal in den 30-Prozent-Turm gekommen ist.

    Die CDU muss sich darüber im Klaren sein, dass heute das vorherrschende Grundgefühl trotz allen Wohlstandes die Angst ist, die Angst vor der Zukunft angesichts der Finanzkrise und vielem anderen mehr. Und eine Partei, die sich in den Augen der Leute als unfähig hinstellt, diese bedrohlichen Finanzmärkte zu ordnen, die Gier der Reichen zu begrenzen und den Griff der Spekulanten zum Beispiel auf die Rohstoffe auf dieser Welt zu verhindern – das wissen doch die Leute -, die verliert natürlich an Vertrauen. Und dann wechselt die Sympathie zu den Parteien und Politikern, die den Eindruck erwecken, dass sie sich um etwas kümmern. Das war ja von der Frau Kraft an sich das ganze Mantra, das sie vorgetragen hat, dass sie Konzepte haben gegen die Zukunftsangst, dass sie nahe bei den Menschen sind. Die CDU muss sich wieder daran erinnern, dass sie eine Partei der Empathie ist, der sozialen Marktwirtschaft, dass die CDU die Partei sein könnte, auf die die Menschen Hoffnungen haben, dass sie mit den Angstproblemen der Zukunft fertig wird. Das sind die entscheidenden Komponenten und nicht die komischen Personaldebatten.

    Heckmann: Herr Geißler, jetzt ist es so, dass trotzdem Norbert Röttgen ja auch für diese Modernisierung der CDU gestanden hat, auch für die Option Schwarz-Grün. Ist dieser Ansatz jetzt aus Ihrer Sicht mit seinem Rauswurf geschwächt?

    Geißler: Geschwächt ist er vielleicht schon, das ist richtig. Aber auf der anderen Seite ist er ja nicht plötzlich vom Erdboden verschwunden, sondern dass das, was ich sage, in weiten Teilen der CDU auch gedacht wird, im Übrigen – davon bin ich überzeugt – auch von der Angela Merkel, aber auch von Peter Altmaier und vielen anderen mehr, das liegt ja auf der Hand.

    Die CDU muss sich jetzt nur vor der Bundestagswahl so präsentieren, wie das eigentlich ihrem Grundverständnis entspricht. Sie ist keine konservative Partei, ist auch keine liberale Partei; sie ist eine christlich-demokratische Partei und hat als Grundlage der Politik das christliche Menschenbild und hat damit ein ethisches Fundament. Das ist eine ganz sichere Bastion. Und darauf aufbauend, kann sie das alles realisieren, was die Menschen heute von der Politik verlangen, dass die Politik nämlich der entscheidende Faktor ist für die Weiterentwicklung der globalen Politik, die ja entscheidend ist auch für das Schicksal, die Existenz der Menschen. Wenn die Leute sich die Frage stellen, sind die Politiker eigentlich in der Lage, sich gegen die Finanzinteressen durchzusetzen, sind die Parlamente stärker als die internationalen Finanzmärkte, und sie müssen sich dann die Antwort geben nein, sie sind es nicht, dann resignieren die Leute und dann gehen sie in die Wahlenthaltung.

    Aber das hat die CDU ja eigentlich gar nicht nötig. Sie kann ja aus ihrem Grundverständnis heraus das Konzept entwickeln für eine Weltfriedensordnung und für eine neue wirtschaftliche Ordnung, für eine internationale, ökosoziale Marktwirtschaft. Das hat sie alles schon getan. Aber das muss sie vertreten. Und wenn die Menschen sie mit diesen Zukunftskonzeptionen identifizieren, dann kriegt die CDU auch wieder über 40 Prozent.

    Heckmann: ... , meint der ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler live hier im Deutschlandfunk. Herr Geißler, danke Ihnen für dieses Interview und einen schönen Tag.

    Geißler: Ja bitte schön! Gleichfalls!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.