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Geistliche Musik
Durchdachter Chorgesang

Der Chor des im 14. Jahrhundert gegründeten Gonville & Caius Colleges der Universität Cambridge hat sich mit der Klangwelt des keltischen Christentums beschäftigt. Eine detailreich durchdachte Interpretation, die viele musikwissenschaftliche Dogmen infrage stellt.

Von Thomas Daun | 20.07.2014
    In einem Gesangbuch aus dem 15. Jahrhundert aus dem Gesangbucharchiv der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz (Rheinland-Pfalz) steht "Jesu Christ" in altdeutscher Schrift.
    "Jesu Christ" in altdeutscher Schrift in einem Gesangbuch aus dem 15. Jahrhundert. (picture alliance / dpa / Fredrik Von Erichsen)
    "Befreit von seinem Fleische thront der Heilige Vater Columba umringt von einer Engelschar im Himmel. Zur immerwährenden Belohnung für seine Frömmigkeit erschallt der Lobgesang: 'Heilig, heilig, Alleluja'."
    Im 6. Jahrhundert begannen die keltischen Mönche ihre Missionstätigkeit auf dem europäischen Festland und zogen durch die unwegsamen Wälder Germaniens, der slawischen Länder und Skandinaviens, um die heidnischen Völker zum Christentum zu bekehren.
    Die Insel Iona vor der schottischen Westküste galt als Heimat der wandernden Prediger. Auf dem sturmgepeitschten kargen Eiland im Atlantik hatte der Heilige Columba, aus Irland kommend, Mitte des Sechsten Jahrhunderts sein Kloster gegründet, das bald zum spirituellen Zentrum der keltischen Kirche wurde.
    Der Chor des Gonville & Caius College, ein im 14. Jahrhundert gegründetes College der altehrwürdigen Universität Cambridge, hat nun eine stimmungsvolle CD veröffentlicht, die in die mittelalterliche Klangwelt des keltischen Christentums entführt.
    In verschiedenen Manuskripten haben Texte von Hymnen und Lobgesängen der keltischen Missionare überlebt: doch nur wenige schriftliche Quellen geben Auskunft darüber, wie die Musik geklungen haben könnte. Bei seinen Rekonstruktionen der Melodien und Gesangstechniken lässt sich der Chor von Traditionen und Stilen heutiger Volksmusik inspirieren und hinterfragt zugleich einige Dogmen der Musikwissenschaft.
    Aufräumen mit musikwissenschaftlichen Dogmen
    Der gregorianische Choral etwa, so die gängige These, sei ausschließlich "a cappella", also ohne Instrumentenbegleitung, vorgetragen worden. In einem irischen Klostermanuskript aus dem 8. Jahrhundert hingegen wird beschrieben, dass der Einsiedler-Mönch Cornan nicht nur virtuos diverse Blasinstrumente beherrschte, sondern auch in einem Brief den Abt darum bat, den Gesang der Mönche begleiten zu dürfen.
    "Triple Pipe", zu deutsch: Dreifach-Pfeife - so lautet die Bezeichnung für ein Rohrblatt-Instrument, das im keltischen Mittelalter benutzt wurde. Eine der schönsten Darstellungen dieser "Triple-Pipe" findet sich in einer Steinmetz-Arbeit des 9. Jahrhunderts im Kloster auf Iona und zeigt eine Pfeife mit drei parallelen Blasrohren; das längste davon hat keine Grifflöcher und ist offensichtlich eine Bass-Pfeife.
    Der Musiker – deutlich als Mönch erkennbar – spielt alle drei Rohre gleichzeitig und bläst dabei die Wangen auf, benutzt also seinen Mundraum als "Luft-Speicher". Schon den Aulos-Spielern der Antike war diese Technik der Zirkular-Atmung bekannt – überlebt hat sie in der Tradition der sardischen "launeddas"-Pfeifen.
    Der schottische Dudelsackvirtuose und Musikhistoriker Barnaby Brown ist Initiator und zugleich künstlerischer Leiter des Projekts "Keltisches Mittelalter". Bei Recherchen zur Geschichte des Dudelsacks stieß er auf die enge Verwandtschaft zwischen seinem Instrument und der mittelalterlichen Triple Pipe.
    Aber auch andere Instrumente, wie etwa Hörner und Leiern, sind auf den bildlichen Darstellungen des keltischen Mittelalters zu sehen. Archäologische Funde im Umkreis schottischer und irischer Klöster belegen, dass sich die Missionare im Instrumentenbau auskannten, Prosatexte bestätigen, dass sie diese Instrumente auch benutzten.
    Bedeutendste Musikhandschrift des keltischen Chorgesangs
    Über den Gesangs-Stil der mittelalterlichen Mönche und Nonnen wissen wir wenig. In der Aufführungs-Praxis des gregorianischen Chorals vertrat man lange Zeit die These, der Gesang müsse schlicht und zurückhaltend bleiben, melodische Verzierungen oder eine emotionale Interpretation waren verpönt.
    Davon ist man inzwischen abgerückt; der Chor des Gonville & Caius College experimentiert zum Beispiel mit Anleihen aus der archaischen Volkstradition des georgischen Gesangs. Auch der bis in die jüngste Vergangenheit überlieferte Vokalstil des gälisch-keltischen Lieds beeinflusst die Interpretation mancher lateinischer Hymnen.
    Neben dem Kloster auf der Atlantik-Insel Iona im Westen Schottlands stieg im 12. Jahrhundert die Abtei St. Columba zu einem zweiten Zentrum der keltischen Kirche auf. Auch dieses Kloster wurde auf einer Insel errichtet – jedoch an der schottischen Ostküste unweit der Hauptstadt Edinburgh.
    Hier, in Inchcolm, entstand um 1340 die bedeutendste Musikhandschrift des keltischen Choralgesangs; sie enthält Hymnen, Antiphone und Messgesänge zu Ehren des Heiligen Columba.
    "Columba, edelster unter den Heiligen./Schon deine Geburt wurde von einem Engel angekündigt./Du vermagst es, sauere Äpfel in süße zu verwandeln,/Du erweckst Tote zum Leben, befehligst die Winde und vertreibst die Pest!/Möge Deine Fürsprache diesen Ort für ewig erhalten."
    "Möge dieses Haus stehen,/bis eine Ameise den Ozean leer trinkt/und bis eine Schildkröte um die Welt läuft."
    Eingemeißelt in Stein findet sich über dem Portal des Klostergebäudes von Inchcolm Abbey dieser poetischer Spruch – bis heute wurde die Bitte erhört. Auch wenn die Mönche nach der Reformationszeit vertrieben wurden, sind die Gebäude der ehemaligen Augustiner-Abtei auf Inchcolm bis heute gut erhalten.
    Musik:
    "In Praise of St. Columba" – The Sound World of the Celtic Church,
    Chor des Gonville & Caius College Cambridge und Barnaby Brown.
    Erschienen bei Delphian Records, in Deutschland erhältlich zum Beispiel über den Vertrieb Helikon Harmonia Mundi in Berlin.