Freitag, 19. April 2024

Archiv


Geistreich, ironisch und leicht

Dass Worte sich zu Sätzen verbinden, kann niemanden stören. Ärgerlich wird es dagegen, wenn die Worte zu Phrasen mutieren, zu Formeln und Floskeln für den öffentlichen Gebrauch, zu nichts anderem ersonnen als eben dazu, vor Publikum geäußert zu werden. Die Zuhörer, wissen die Redner aus Erfahrung, nehmen die Worte entweder ohnehin nicht ernst. Oder sie haben sie bald schon wieder vergessen.

Von Kersten Knipp | 31.07.2008
    Nun mögen gerade Schriftsteller den Worten nicht blindlings vertrauen, aber dass sie sich ganz und gar selbst genügen, für keine Idee, keinen Gedankenaustausch mehr stehen, das verbittert sie dann schon. Und selbst einem so ironisch gestimmter Schriftsteller wie Roberto Bolano, dessen Roman "Naziliteratur in Amerika" von nichts als imaginären Taten handelt - selbst solch ein großer Sprachkünstler vermag nicht die Phrasen jener Art zu ertragen, wie sie sich im politischen Repertoire der chilenischen Linken über die Jahre angehäuft haben.

    Deren Vertreter, notierte er kurz vor seinem Tod im Juli 2003, kultivierten in ihren Reden ein auch sonst immer wieder aufscheinendes Phänomen: "die Lächerlichkeit und Gespreiztheit, die haarsträubende Feierlichkeit der Chilenen, die sich in Geschmacklosigkeit, Kitsch und gekünstelte Grobheit hüllt."

    Mehr als die politische Geschichte seiner Heimat dürften es deren rhetorische Belanglosigkeit gewesen sein, die den 1953 geborenen Bolano schon in jungen Jahren ins Ausland trieb. In den frühen 70ern hatte er, natürlich, mit Allende sympathisiert. Und als er erkannte, wie unvorstellbar brutal das Pinochet-Regime mit seinen Gegnern umging, mochte er sich beglückwünschen, dass er nach seiner Flucht den Häschern des Regimes kaum mehr in die Hände fallen konnte.

    Geblieben ist ihm seit jener Zeit aber der Wunsch, das Wort möge für mehr stehen als nur den schönen Klang. Das Wort, so kann man Bolano verstehen, steht für ihn immer in der Pflicht des Engagements. Eben diese Verbindung schien sich ihm in Chile aber aufgelöst zu haben, und darum, so bekennt er in den jetzt erschienenen autobiographischen Fragmenten, fiel ihm der Abschied aus der Heimat auch nicht weiter schwer.

    Ans Exil glaube er ohnehin nicht, bekennt er wiederholt. "Noch im schlimmsten Fall ist es besser, ins Exil zu gehen als ins Exil gehen zu wollen und es nicht zu können. Bestenfalls ist das Exil eine literarische Option. Ähnlich der Option, sich dem Schreiben zu widmen."

    Wer sich seiner Heimat ohnehin nicht sonderlich verbunden fühlt, wird auch die Fremde nicht als Exil erfahren. Sehr wohl hingegen das Schreiben, die Arbeit am Wort, in der sich Bolano, so stellt er es dar, das Äußerste abverlangt, eben keine Wortgirlanden flicht, sondern dem Ungesagten, Abseitigen, Nicht-Selbstverständlichen eine Sprache zu geben versucht. Beim Schreiben nimmt er Abschied von allen Gemeinplätzen, von den Gepflogenheiten des einfach so Dahingesagten.

    Und so geistreich, ironisch und leicht sich Bolano etwa in dem ebenfalls in den Band aufgenommenen Interview mit dem "Playboy" gibt, so erst zeigt er sich doch dann, wenn es um wirklich entscheidende Fragen geht. Zu diesen Fragen gehört auch die nach den Mechanismen des Literaturmarktes. Wer eigentlich schreibt heute in Lateinamerika - und aus welchen Gründen? Für Bolano ist die Antwort klar: Die Autoren der Gegenwart entstammen der unteren Mittelschicht oder gar dem Proletariat. Und sie schreiben, weil sie keine Lust auf die anstrengenden Arbeitsverhältnisse ihrer Eltern haben - und noch viel weniger auf die noch viel anstrengendere Option, überhaupt keine Arbeit zu haben.

    Die Schriftsteller von heute, notiert Bolano, sind um Anerkennung bemüht. Nicht um die Anerkennung durch ihresgleichen allerdings, sondern durch die der "politischen Instanzen". All jener also, die die Macht in den Händen halten. Wohin diese Macht nun tendiert, ob sie nach links oder nach rechts ausschlägt, spiele dabei keinerlei Rolle: "Jüngeren Schriftstellern ist das völlig egal." Ein trauriger Haufen habe sich da rekrutiert, "und alle warten wir auf Godot, in diesem Fall auf den Nobelpreis, den Premio Juan Rulfo, Cervantes, Principe de Asturias, Romulo Gallegos" - und wie die wichtigen Literaturpreise spanischer Sprache sonst noch heißen mögen.

    Das "wir", das Bolano hier gebraucht, muss man nicht wörtlich nehmen. An anderer Stelle der Fragmente lässt er keinen Zweifel daran, dass er sich von der Gefallsucht mancher seiner Kollegen ausdrücklich ausnimmt. Nahezu alles, was er je geschrieben habe, sei ein Liebes- und Abschiedsbrief an seine Generation, bekennt er inmitten einer Passagen über Miguel de Cervantes, den Soldaten, der später zum Dichter wurde.

    Auch die Angehörigen seiner Generation, die in den 50er Jahren Geborenen, hätten die Schlachtrufe vernommen. Und sie seien gefolgt, hätten für Ideale gekämpft, die sich schon damals überlebt hätten - nur dass die wenigstens das damals schon begriffen hätten. Denn so waren sie damals: "dumm und großzügig, wie die Jugend ist, die alles gibt und nichts dafür verlangt, und nichts ist von ihnen geblieben."

    Lateinamerika, kann man aus diesen Zeilen lernen, war nicht nur für die europäische und nordamerikanische Linke eine gewaltige Projektionsfläche - der Subkontinent war es auch für die eigenen Bürger, vor allem für die, die damals jung waren. "Venceremos" - einfältige Parolen tönten durch die Region, ließen von Freiheit und Sozialismus träumen, besser noch von Freiheit im Sozialismus, von der Abschaffung des Kapitals und anderer Menschheitsgeißeln, von politischer Erlösung nach dem Tod der Diktatoren. Für Ziele wie diese traten Bolano und seine Generationsgenossen den Gang aufs Schlachtfeld an - und dort liegen sie bis heute: "Ganz Lateinamerika ist übersät mit den Knochen jener vergessenen Jugend."

    Bolanos Fragmente werfen nachträglich ein mehr als erhellendes Licht auf den Schriftsteller und sein Werk. Sie offenbaren das gesamte Elend postmoderner Ironiker, die Ausweglosigkeit, in die die Kritik an den "Großen Erzählungen" ihrerseits geraten ist. Gegen die große politische Ernüchterung mag Ironie helfen, jedenfalls eine Zeitlang. Was aber geschieht, wenn diese Zeit vorüber ist, die Frage wartet bis heute auf eine überzeugende Antwort. Bolano selbst hat sie nicht gegeben, konnte sie nicht mehr geben. Der Tod, so scheint es, ereilte ihn inmitten der Besinnungsphase, als an die Stelle seiner hinreißenden Ironie, der verschmitzt-aufgeweckten Skepsis noch nichts Neues getreten war. Dass er dieses Neue aber vermisste, ohne es schon zu kennen, lassen die hier versammelten Bekenntnisse vermuten. Irgendwie muss es weiter gehen - aber wie? Die Ernüchterung hat Bolano und seine Generationsgenossen vorsichtig werden lassen: die Lehren der Postmoderne vergisst man eben nicht mehr. Aber Ironie allein bringt es auf Dauer auch nicht. Was allerdings irgendwann an deren Stelle treten könnte - darüber nachzudenken ist Aufgabe jener Schriftstellergeneration, der Bolano so wenig zutraute. Doch eine andere Generation gibt es nicht, und so wird sie in die Pflicht genommen. Nicht ausgeschlossen, dass sie am Ende ernsthafter ist, als der Meister es annahm.

    Roberto Bolaño: Exil im Niemandsland. Fragmente einer Autobiographie.
    Aus dem Spanischen von Kirsten Brandt und Heinrich v. Berenberg. Berenberg 2008, Berlin, 153 S., EUR 19,-