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Geliehene Immunität

Medizin. - Ein vollständiges Bild von der Alzheimer'schen Erkrankung haben die Mediziner noch nicht, doch die berüchtigten Plaques scheinen eine zentrale Rolle zu spielen. Gegen sie versuchte man schon einmal erfolglos das Immunsystem in Stellung zu bringen. Jetzt steht die Alzheimer-Impfung vor einem neuen Anlauf.

Von Volkart Wildermuth | 26.08.2011
    Zehn Jahre ist es her, dass die erste Studie zu einer Impfung gegen Alzheimer abgebrochen werden musste. Einzelne Teilnehmer hatten eine Hirnhautentzündung entwickelt. Dabei klang die Idee einer Impfung doch so bestechend. Am Beginn der Alzheimerkrankheit steht ein Molekül namens A-β. Eigentlich ist es nützlich, bei den Patienten verklumpt es aber, lagert sich über Jahre in großen Amyloidklumpen ab, schädigt die Nervenzellen und führt letztlich zum Verlust des Gedächtnisses. Mit einer Impfung hofften die Forscher, das Immunsystem dazu zu bringen, aufzuräumen; das ganze Amyloid zu entfernen. Aber wie gesagt, die Nebenwirkungen war zu groß, die Studie galt der Öffentlichkeit als Fehlschlag. Aber Roger Nitsch von der Universität Zürich, untersuchte die Patienten über viele Jahre weiter. Bei vielen von Ihnen hatte die Impfung nichts bewirkt, ihr Immunsystem war zu alt, um zu reagieren. Deshalb konzentrierte sich der Hirnforscher auf Patienten mit Immunreaktion.

    "Wir sehen erstens, dass sich die Patienten, die Antikörper gebildet hatten, als Effekt der Impfung, klinisch stabilisiert haben, das heißt das Fortschreiten der Erkrankung war fast aufgehoben."

    Auch die pflegenden Angehörigen beziehungsweise Krankenschwestern berichteten von Fortschritten. Bei einigen verstorbenen Patienten konnte Roger Nitsch auch das Gehirn untersuchen und fand eine Erklärung für den Stopp des Krankheitsprozesses. Die Proteinablagerungen waren deutlich reduziert und die Nervenzellen hatten sich zum Teil erholt und wieder neue Verbindungen geknüpft.

    "Von daher kann man eigentlich sagen, die biologischen Mechanismen der Immuntherapie funktionieren auf neuronaler Ebene im menschlichen Gehirn."

    Die Immuntherapie gegen Alzheimer ist wieder da. Wenn auch mit einer anderen Strategie. Statt aktiv zu impfen, um das Immunsystem anzuregen, selbst Antikörper zu bilden, setzen die meisten Forscher auf den sicheren und verlässlichen passiven Ansatz. Dabei werden besonders wirksamen Antikörper im Labor hergestellt und den Patienten regelmäßig gespritzt. Zurzeit laufen etwa 40 Studien mit mehr als zehn verschiedenen Antikörpern und mit insgesamt über 10.000 Patienten. Ob die Antikörper tatsächlich den Gedächtnisverlust aufhalten können, wird sich Ende nächsten Jahres zeigen. Auch das Team aus Zürich erprobt einen Antikörper gegen Alzheimer. Aber während die meisten Alzheimer-Antikörper in Tieren entwickelt wurden, ist Roger Nitsch einen neuen Weg gegangen.

    "Wir haben die Frage einfach mal von der anderen Seite beleuchtet. Man kann ja fragen: Warum wird jemand krank? Man kann aber auch fragen: Warum bleibt jemand trotz eines sehr hohen Risikos, nämlich hohen Alters, gesund? Und haben entsprechend Populationen untersucht, die trotz hohen Alters keine Demenzerkrankung bekommen haben."

    Aus dem Blut dieser gesunden Alten isolierten die Forscher jeweils etwa eine Million B-Zellen, vermehrten jede einzelne dieser Zellen getrennt und prüften, ob sie einen Antikörper gegen β-Amyloid-Aggregate bildet. Einige wenige dieser besonderen Antikörper fanden sich bei fast jedem der gesunden Alten. Es sieht so aus, als ob ihr Immunsystem das β-Amyloid erfolgreich in Schach hält. Inzwischen hat Roger Nitsch einen besonders wirksamen Antikörper isoliert.

    "Wir sehen in der Maus sehr große Effekte. Der Hauptvorteil wahrscheinlich dieser humanen Antikörper ist der, dass er wahrscheinlich, was die Sicherheit anlangt, anderen Verfahren gegenüber wesentlich besser ist, aber das werden die klinischen Prüfungen jetzt zeigen."

    Wenn alles gut geht, dann werden Menschen mit fortschreitendem Gedächtnisverlust sozusagen den wirksamen Alzheimerschutz der gesunden Alten ausborgen können. Deren Antikörper könnten dann, rechtzeitig gegeben, den Krankheitsprozess bei anderen Alten in einem frühen Stadium aufhalten. Noch ist nicht klar, welcher der vielen Antikörper gegen Alzheimer letztlich am besten wirken wird. Aber schon die große Zahl der Studien spricht dafür, dass die Immuntherapie gegen Alzheimer im zweiten Anlauf die Zulassungsbehörden überzeugen wird.