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Gemeinschaft im Wasserbecken

Im Zentrum des neuen Stücks von Romeo Castellucci steht das Ritual der Taufe. Bildgewaltig nutzt der italienische Theatermacher den kathedralenhaften Raum, um ein wortloses Stück über Gemeinschaft, Trennung und Isolation zu inszenieren.

Michael Laages im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 26.08.2012
    Doris Schäfer-Noske: Zur Ruhrtriennale und dort zu einem italienischen Theatermacher, der im vergangenen Jahr schon schwer für Aufregung gesorgt hat: Romeo Castellucci. In Italien, aber auch in anderen Ländern lief die katholische Kirche Sturm gegen eines seiner Theaterstücke. Das Stück zeigt, wie ein Sohn seinen dementen und inkontinenten Vater pflegt, und die zum Teil erniedrigenden Szenen spielen sich vor einem riesigen Christusporträt ab. Am Schluss bewerfen dann Jugendliche das Christusbild mit Steinen und Handgranaten. Dieses umstrittene Werk wurde vor zwei Jahren beim Festival "Theater der Welt" in Essen uraufgeführt. Gestern Abend hat Romeo Castellucci nun in der Duisburger Gebläsehalle sein neues Stück zum ersten Mal gezeigt. "Folk", so lautet der Titel. Frage an meinen Kollegen Michael Laages: Herr Laages, wie hoch ist denn diesmal das Skandalpotential?

    Michael Laages: Unter null, also überhaupt kein Skandal in Sicht und in Hörweite. Es ist eine Auseinandersetzung mit einem Raum innerhalb dieser Gebläsehalle, einem Raum, der sehr einer Kirche ähnelt. Da braucht man gar nicht das alte Wort von den Kathedralen des Industriezeitalters zu benutzen. Das ist einfach ein Raum, der ist hoch und lang und tief und hat oben rechts drei rundbogige Fenster, und das ist einfach ein Kirchenschiff. Und wir begegnen in diesem Kirchenschiff einem Becken, einem großen Wasserbecken, das fast den ganzen Boden füllt, und das ist dann natürlich ein Taufbecken und in diesem Taufbecken steht jemand und bittet jemand anderen herein. Das geht dann eine halbe Stunde lang, es kommt immer ein neuer rein, wird getauft, mit vollen Klamotten, umarmt seinen Täufer, wird sozusagen rücklings ins Wasser gelegt, wieder hochgeholt, noch mal umarmt. Und dann geht der Täufer raus, der Täufling bleibt und wird selbst zum Täufer. Das ist also eine ewige Kette, die geht so eine gute halbe Stunde lang und das ist ein rein religiöses Ritual. Oben an die Fenster – das ist der einzig bedrohliche Punkt in dieser Aufführung – klatschen dann von einer bestimmten Zeit an so Figuren, also Menschen. Ich weiß nicht, ob die das mit einem Trampolin oben machen, auf dem Dach von der Gebläsehalle. Jedenfalls wie die Vögel bei Alfred Hitchcock klatschen die gegen die Fenster und wollen rein. Offenkundig wollen da Leute, Menschen, Wesen rein in dieses religiöse Ritual, dürfen aber nicht, weil die Fenster zu sind.

    Dazu die ganze Zeit starke Computermusik von Scott Gibbons, so eine Art Dauerkirchenton - himmlische Chöre jauchzen dir Ehre. Das ist ein Ritual, das dann nach einer guten halben Stunde abbricht, weil plötzlich einer nicht mehr getauft wird. Plötzlich geht einer rein, aber der Täufer geht auch weg und dann steht der da allein in diesem Wasser. Und was macht er dann? – Dann kriegt er den Zorn und gibt ein Zeichen und dann wird dieses Wasserbecken, dieses Taufbecken zerschnitten und das gesamte Wasser – das sind bestimmt, ich kann das nicht schätzen, ein paar Hunderttausend Liter – fließt in diese Halle rein, macht ziemlich nasse Füße, wenn man nicht rechtzeitig auf der Galerie gelandet ist, und das ist dann quasi die Taufe für alle, zumindest für alle Füße. Das ist relativ geheimnislos, also das kann man alles genau relativ deutlich sehen und interpretieren und sozusagen wahrnehmen als eine Anspielung auf einen religiösen Prozess. Was dahinter steckt, ob dahinter noch was steckt, ob das tatsächlich nur die Wirkung dieser Bilder ist, bleibt mir tendenziell eher verborgen. Ich glaube, ich sehe vor allen Dingen nur das, und das ist auch nur das, was gezeigt werden soll, weder Skandal, noch Aufregung, sondern eine sehr konzentrierte, nicht besonders einfallsreiche, aber an sich völlig stimmige Konstellation.

    Schäfer-Noske: Da könnte sich die Kirche aber ja doch auf die Füße getreten fühlen, wenn da irgendwelche Menschen gegen die Scheiben klatschen?

    Laages: Ich wüsste nicht. Das ist ja ein reines Fantasiebild. In 15 Meter Höhe klatschen normalerweise keine Menschen an Fenster und wollen rein. Das ist nun wirklich reine Fantasmagorie. Der Raum selber, also das Bild im Raum selber, ist ein rein religiös konnotiertes. Das ist sozusagen die albtraumhafte Zugabe. Der alte Mann übrigens, der dann das Zeichen gibt, dass man dieses Badebecken, dieses Wasserbecken zerschneidet, der wird dann offenbar dement, weil er versucht, so ein kleines Zeichenpuzzle zusammenzusetzen, und schafft es nicht, ein Rechteck in ein Rechteck zu tun. Demenz und Alzheimer, wenn Sie so wollen, ist dann auch noch mit im Spiel. Aber das ist es dann auch und - nein, da fühlt sich natürlich niemand, und ich wüsste auch gar nicht warum, auf die Füße getreten.

    Schäfer-Noske: Wird denn da gesprochen in diesem Theater? Also wie immer bei ihm ohne Dialoge?

    Laages: Nein. Das ist alles wortlos. – Die sind ja nicht immer wortlos. Beispielsweise das Skandalstück mit dem Vater und dem Sohn, das war ja durchaus mit Sprache, allerdings nicht übersetzt, sondern die sprachen halt Italienisch miteinander, wie der Vater mit dem Sohn halt so redet, und der Vater weinte auch sehr. Also das war schon sehr worthaltig.

    Diesmal ist es tatsächlich nur diese gewaltig donnernde Musik die ganze Zeit. Und das Ritual selber: Wer nahe am Becken steht, der kriegt dann immerhin auch mit, dass die Leute im Becken ab und zu offenbar miteinander rein privat reden. Das sind nicht alles nur Darsteller, das sind Leute aus der Umgebung, aus Duisburg und Co. 110 Leute stehen auf dem Besetzungszettel drauf, die sind nicht alle im Einsatz gewesen gestern Abend, sondern vermutlich über die kommende Woche, wo diese Vorstellung ja jeweils läuft, verteilt. Das sind Leute aus der Umgebung, teilweise die zu Castelluccis Team gehören, teilweise eben einfach nur Eingeladene, die sich haben casten lassen, ob sie bereit wären, mit vollen Klamotten ins Wasser zu gehen und eine Taufe zu simulieren.
    Ich kann hinter dem Ganzen nicht viel ausmachen. Ich kann sozusagen das Ritual beschreiben. Das zeigt er und das zeigt er relativ intensiv. Und dann ist nach einer Stunde natürlich auch Schluss, weil mehr Ideen sind ja dann nicht drin im Spiel. Und es ist vor allem – das muss man immer wieder sagen bei diesen Vorstellungen bei der Ruhrtriennale – es ist sozusagen der Spiritus Loci, also der Geist des Ortes. Dieses Kathedralenhafte dieser Gebläsehalle ist schon sehr eindrucksvoll eingefangen.

    Schäfer-Noske: Auf die ungewöhnliche Zuschauersituation wurde ja vorher hingewiesen. Wie war denn die Wirkung auf die Zuschauer, als das Wasser kam?

    Laages: Ja, da hat man einen kleinen Schreck gekriegt. Hinten im Raum ist eine kleine Galerie, so vier, fünf Stufen hoch. Wer rechtzeitig da drauf war, um den Überblick über alles zu bekommen, und nicht so nah heran wollte, also ich zum Beispiel, der war von Anfang an sicher. Dann haben sich einige geflüchtet. Andere haben halt Schuhe und Socken ausgezogen und haben ein kühlendes Bad genommen. Es war zwar gestern nicht so heiß, aber so schlimm war es nun auch nicht. Es ist eine Überraschung, man fühlt sich ein bisschen angegriffen. Dann denkt man aber noch mal darüber nach und merkt, der Angriff ist nicht sonderlich stark und nicht sonderlich schmerzhaft, und deswegen ist es ein Teil der Inszenierung, ohne dass sich deswegen jemand besonders an die Füße gegangen fühlen würde.

    Schäfer-Noske: Michael Laages war das über das neue Stück von Romeo Castellucci – uraufgeführt in Duisburg bei der Ruhrtriennale.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.