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"Gemetzel" bei den Nibelungen-Festspielen
Schwulst schreit nach Schwulst

Nico Hofmann hat für die Nibelungen-Festspiele in Worms "Gemetzel" von Albert Ostermeier inszeniert, ein Stück über die Psycho-Dynamik familiärer Feindschaft. Text und Inszenierung ergeben eine Mischung, die sich nur mit reichlich Pfälzer Weißwein ertragen und hinunterspülen lässt, meint unser Rezensent.

Von Christian Gampert | 01.08.2015
    Judith Rosmair als Kriemhild und Maik Solbach als Narr in "Gemetzel" bei den Nibelungenfestspielen in Worms
    Judith Rosmair als Kriemhild und Maik Solbach als Narr in "Gemetzel" bei den Nibelungenfestspielen in Worms (dpa / picture alliance / Uwe Anspach)
    Machen wir uns nichts vor: Das Nibelungenlied ist für die Stadt Worms zunächst einmal ein Marketingartikel. Eine Wundertüte, in der man stets das gerade Gewünschte finden kann: zunächst mal sich selbst als angeblich historischen oder zumindest sagenhaften Ort, dann, kritisch gewendet natürlich, das waffenklirrende Germanen- und Deutschtum, schließlich die ewigen Ingredienzien eines jeden Dramas, also Geld und Politik, Sex und Macht. Auf fast jede aktuelle Großwetterlage ist diese Folie anwendbar - in diesem Jahr trat auch eine Selbstmordattentäterin mit Sprenggürtel auf.
    Der neue Intendant Nico Hofmann ist, wie sein Vorgänger Dieter Wedel, eine Film- und Fernsehgröße. Und das heißt: Er möchte Überschaubares bieten und das Publikum intellektuell nicht überfordern. Das gelingt vorzüglich. Vor dem romanischen Dom stehen zwei mehrstöckige Streitwagen, die der Bühnenbildner Aleksandar Denic gebaut hat: Auf dem Wagen der Burgunder sieht man überdimensional Totenkopf und Dornenkrone, also das christlich-faschistoide Abendland, während Etzels tumbe Hunnen noch mit Elefanten-Stoßzähnen als Wahrzeichen vorliebnehmen müssen. Zwischen beiden Wägen spannt sich eine schmale Brücke, auf der sich Kriemhild wälzt und windet.
    Kommerztheatralische Beigaben
    Solche Schaubilder gibt es im Prinzip den ganzen dreistündigen Abend lang: Der Nibelungenschatz taucht als güldener Tänzer-Körper auf, und auch der Streit zwischen Kriem- und Brünhild auf der Domtreppe wird tänzerisch versinnbildlicht. Undsofort. Der ebenfalls vom Film kommende Regisseur Thomas Schadt lässt zudem fast alle Szenen mit dem enervierenden Art-Rock-Geratter einer Band musikalisch zumüllen, die sich zu Recht "Panzerballett" nennt - leere Virtuosität, überambitionierte metallische Hochgeschwindigkeitsläufe auf der Gitarre ohne Sinn und Verstand.
    Das alles folgt dem Motto: Wer viel auffährt, der viel gewinnt. Das Gegenteil ist der Fall - zumal diese kommerztheatralischen Beigaben gar nichts mit dem Stück zu tun haben. Der Autor Albert Ostermeier, seit Jahren als Viel- und Auftragsschreiber unterwegs, versucht nämlich etwas zunächst sehr Ehrenwertes: Er will die Nibelungen in ihrer psychosexuellen Verstrickung zeigen. Er will erzählen, dass Kriemhild doch sehr fasziniert ist von dem bösartig-maskulinen Hagen und dass sie ihrem Siegfried nicht verzeihen konnte, dass er mit der sehr attraktiven Brünhild schlief - anstelle des Weichlings Gunter, der wiederum Siegfried homoerotisch zugetan war. Das mag ja alles sein - aber man muss dann eine dramatische Form dafür finden.
    Der Regisseur kann mit seinem Star-Aufgebot nichts anfangen
    Bei Ostermeier aber wird das alles aus der Perspektive eines Kindes erzählt, aus Sicht des Knaben Ortlieb, des Sohnes von Kriemhild und Etzel. Ortlieb will sich retrospektiv vergewissern, was denn eigentlich geschah in der vermaledeiten Burgundersippe - schon das wirkt dramaturgisch hilflos und irgendwie pädagogisch. Zudem gibt es noch einen Erzähler, der bisweilen auch noch singen darf, und einen Narren, der als fideler Moderator durch die Gegend springt. Viel Personal - wer keine Dialoge schreiben kann, lässt halt Psychogeschichten vorbeten. Zudem tendiert Ostermeier auch in diesem Stück zu schiefen Bildern, klischeehaften Assoziationen und sexuell aufgeladenen, aber meist pathetisch hohlen Sprachgesten - "Blut schreit nach Blut", heißt es bei ihm, jaja, und Schwulst nach Schwulst.
    Immerhin: Siegfried taucht nicht auf, er bleibt eine Leerstelle, eine Projektionsfläche der anderen. Leider kann der Regisseur Thomas Schadt mit dem Star-Aufgebot an Schauspielern überhaupt nichts anfangen. Einzig die zarte und dann wieder kratzbürstig fauchende Judith Rosmair als Kriemhild deutet einen gebrochenen Charakter an - die anderen verdienen ihr Ferien-Geld mit Klischees; am schlimmsten der stets grimmig bellende Markus Boysen als magyarischer Etzel-Wolf. Aber auch Max Urlachers Hagen ist über weite Strecken nur ein Batman mit SS-Umhang.
    Vielleicht ist es einfach ein Irrtum, ein psychologisch gemeintes Stück als Breitwand-Open-Air spielen zu wollen. Am Schluss dann das große Gemetzel am Hunnenhof, das uns an Syrien und anderes gemahnt. Im Ganzen aber ist das eine Mischung, die sich nur mit reichlich Pfälzer Weißwein ertragen und hinunterspülen lässt.