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Genauer Blick aufs Detail

Die Überraschung in der gut vernetzten deutschsprachigen Lyrikszene war beträchtlich, als die 1965 in Pfronten/Allgäu geborene, seit 1997 in Leipzig lebende Martina Hefter im letzten Jahr den Meran-Lyrikpreis gewann. Bis dato hatte sich die Absolventin des Leipziger Literaturinstituts vor allem als Prosaautorin einen Namen gemacht: 2001 erschien ihr Romandebüt "Junge Hunde", 2005 folgte der Roman "Zurück auf los".

Von Nils Kahlefendt | 31.07.2009
    Hefters Gedichte überzeugten die Meraner Jury durch ihre "poetische Vielschichtigkeit in der Verknüpfung von Naturbildern mit politischer Geschichte und Kindheitserinnerungen und die tänzerische Anmut ihrer Sprache" - Zuschreibungen, die verblüffend genau treffen, was auch ihren neuesten, dritten Roman "Die Küsten der Berge" auszeichnet. Man muss nicht wissen, dass die Autorin eine Vorstufe ihres Texts als Verserzählung angelegt hatte, um zu spüren, dass Hefters ruhig mäandernde, rhythmisch präzise durchgearbeitete Prosa ihren lyrischen Arbeiten ziemlich nahe ist. Weit entfernt jedenfalls vom Sound jugendlicher Coolness oder den opulenten Familiensagas, mit denen ihre Altersgenossen gegenwärtig auf dem literarischen Markt punkten.

    "Also, literarische Moden oder literarische Schreibweisen, die jetzt im Moment so gehandhabt werden - das hat mich noch nie interessiert. Da kümmere ich mich gar nicht groß drum. Ich denke immer, dass, was jetzt eben 'dran' ist für einen selbst, zu schreiben, das muss eben drankommen. Und mich hat das teilweise bisschen gestört, dass ich so als 'leise' Autorin gelte und als 'sanfte' Autorin. So sehe ich mich gar nicht. Und wenn man sich die Bücher mal anschaut, sind die das auch nicht wirklich. Natürlich versucht man immer, jemanden in eine Kategorie zu bringen, weil, man muss das ja auch irgendwie beschreiben können. Aber ich glaube nicht, dass ich so ein verbindliches Programm für mich festlegen möchte, so eine Art Poetologie. Höchstens eine größtmögliche Offenheit. Es muss Bewegung in dem Text sein! Das ist vielleicht das Stichwort. Es darf nichts Statisches haben, was man halt so hin erfunden hat. Und dann versucht man, es so plausibel wie möglich zu machen. Das, glaube ich, funktioniert nicht. Diese Kriterien des 'Kreativen Schreibens', wo man dann, von mir aus, Dinge erfindet, aber dann stülpt man dem nachträglich so eine Plausibilität über - das finde ich Unsinn! Also, das muss schon am 'Echten' abgearbeitet sein. Nur dann kann es wirklich eine Bewegung haben."

    Oberflächlich betrachtet bewegt sich nicht viel auf diesen 200 Seiten - Hefter misstraut ausgeklügelter Figurenpsychologie und schrillen Handlungseffekten. Ihre namenlose Protagonistin, eine Frau Anfang 30, kehrt mit ihrem aus dem Osten stammenden Mann und den zwei Kindern von einem Rügen-Urlaub in die gemeinsame Leipziger Wohnung zurück. In einem assoziativen Erzählstrom stellen sich dazu Momentaufnahmen ihres Lebens ein: Short Cuts des banalen Leipziger Alltag, des Urlaubs der kleinen Familie an der Ostsee, der eigenen Kindheit und Jugend in der bayerischen Stadt P. Zeiten und Orte überlagern sich, Motive werden angeschlagen und verlässlich wieder aufgenommen, die raffinierte Verknüpfung der drei Erzählstränge zieht den Leser mehr und mehr in Bann. Auslöser der Erinnerungsbewegung ist eine schmerzhafte Leerstelle im Leben der jungen Mutter: Die verschollene Schulfreundin aus der Allgäuer Kleinstadt, mit der sie bis ins Teenageralter eine fast symbiotische Freundschaft verband, einmal sogar Richtung Italien durchbrannte - und die nun, in ihrer Abwesenheit, geradezu überpräsent erscheint.

    "Manchmal saß im nächsten Straßenbahnwaggon wieder eine Frau, deren Frisur, wie überhaupt der gesamte Oberkörper, zweifellos der Freundin gehörte; oder sie sah wieder kurz ihr Gesicht aufscheinen, am Fenster einer vorbeirollenden Straßenbahn. Warum auch nicht, warum sollte es nicht die Freundin sein? Dann, und gerade dann, hätte es auch keinen Sinn, durch Winken auf sich aufmerksam machen zu wollen."

    Ist diese geheimnisvolle Zwillingsschwester-Freundin, die - erkundungsfreudig und risikobereit - stets das Gegenteil von Hefters tatenarmer Heldin zu verkörpern schien, eine personalisierte Form der Sehnsucht? Ihre Spuren scheinen allgegenwärtig, doch: Existiert sie überhaupt?

    "Eigentlich ist das eine Geisterfigur. Ich habe in der Zeit, als ich das Buch geschrieben habe, mich wahnsinnig viel mit Sagen und Gespenstergeschichten beschäftigt - das ist eh so ein Steckenpferd von mir, ich mag das total gern. Also, gerade auch aus meiner Heimat. Dann habe ich noch Frankenstein gelesen, ist wieder was andres... aber dann habe ich auf einmal den Wunsch gehabt, ich möchte auch mal eine 'Gespenstersache' in meine Bücher bringen. Und diese Freundin war... das war eine Figur, die schon länger da war, weil 'Freundinnengeschichte' hat mich auch schon länger interessiert. Und das hat sich dann so ergeben, ich dachte, das ist eigentlich eine ideale Figur: Die ist wirklich so 'gespinstmäßig', die ist da, und ist nicht da."

    In ihren besten Momenten erreicht Hefters Prosa, was derzeit im deutschen Kino dem Regisseur Christian Petzold mit Filmen wie "Yella" oder "Jerichow" gelingt: Unter ihrem genauen Blick, dem jedes Detail, jede Beobachtung wichtig ist, erscheint unser vorgeblich banales Alltagsleben in neuem, außergewöhnlichen Licht. Wie die Autorin in wenigen, unaufgeregten Satzperioden etwa Kindheitseindrücke aus der Zeit des "Deutschen Herbsts", das Zusammenwachsen einer ostdeutschen und einer westdeutschen Biografie oder die sich rasant verändernden urbanen Räume beschreibt, erzählt mehr über soziale Beziehungen, die Geschichte und, mit Richard Ford gesprochen, 'Lage des Landes', als viele Bücher, die sich vordergründig, auf der Inhaltsebene, politisch geben. Unrechtsstaat? Blühende Landschaften? Sonntagsredner aller Couleur werden sich in diesem Jahr noch öfter daran abarbeiten. Gute Literatur kann Gestern und Heute in Bildern von gespenstischer Intensität verschränken.

    "Das ältere Land lag irgendwie knirschend und ächzend noch in den Häusern und in den Straßen verborgen; uralt und seufzend erhob es sich manchmal aus den Gebäuden und stellte sich senkrecht, zu seiner alten, fast vollen Größe aufgerichtet auf, und die Menschen liefen als aufgeregte Ameisen herum und bildeten eine Formation, versammelten sich zum Aufmarsch, und das Land fauchte kurz, bevor es wieder zurücksank in die alten, aber komplett sanierten Gründerzeithäuser."

    Wichtiger als der Transport einer Botschaft sind Hefter dabei Musikalität, Rhythmus und Klang der Sprache. Traumwandlerisch sicher choreografiert die ausgebildete Tanzpädagogin ihren Text, schickt ihr Personal durch eine verschlungene Erzählkonstruktion: Wie Flüsse verschwinden und wieder ans Licht treten, drohen auch ihre in ständiger Bewegung gehaltenen Figuren im kunstvoll angelegten Labyrinth des Romans verloren zu gehen. Mag das Spiel mit Symbolik auch hie und da etwas zu weit getrieben sein - Hefters scheinbar frei durch Raum und Zeit schwebende Sätze lassen Menschen und Dinge anders leuchten.

    "Ich glaube, ich wollte einfach nur möglichst viel Gegenwart reinziehen in das Buch. Was heißt, ich wollte? Es hat sich für mich so als völlig sinnvoll ergeben während des Schreibens. Ich habe mir vorher keinen Plan zurechtgelegt, was ich da machen möchte und wie ich das machen möchte. Ich wollte über ganz normale Sachen schreiben, über eine ganz normale Familie! Da passiert ja irgendwie nicht viel, aber in dieser Normalität liegen ja doch dann auch Sachen, die sind eigentlich völlig... die sind dann wieder außergewöhnlich. Und das ist schon so eine Frage, die in dem ganzen Buch, auch außerhalb dieser kleinen Passagen, immer wieder verhandelt wird: Wie sieht eigentlich die Wirklichkeit aus?"


    Martina Hefter: Die Küsten der Berge.
    Wallstein Verlag, Göttingen 2008.
    216 Seiten, 19 Euro