Donnerstag, 18. April 2024

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Genauer hingeschaut

Genetik. – Die Feiern sind bereits vor drei Jahren über die Bühne gegangen, doch erst jetzt können die Entschlüsseler des menschlichen Erbguts mit Fug und Recht behaupten, sie hätten unsere 46 Chromosomen komplett entziffert. In der aktuellen Ausgabe von "Nature" publizieren die Mitglieder des internationalen HUGO-Projektes eine zu 99,999 Prozent genaue Fassung.

21.10.2004
    Im Februar 2001 hatten sich die Mitglieder des staatlich geförderten Humanen Genomprojektes (HUGO) und die Privatfirma Celera von Craig Venter noch ein aufsehenerregendes Schlussduell geliefert. Beide Parteien publizierten damals eine Fassung des menschlichen Erbgutes – doch es waren jeweils nur vorläufige Versionen. Die nahezu endgültige wurde jetzt, über drei Jahre später, nachgereicht. 2700 Autoren haben an der Nature-Veröffentlichung mitgewirkt, ihr Produkt würde 3000 Bände mit je 1000 Seiten füllen. Darüber hinaus unterscheidet sich die Endfassung erheblich von den aufsehenerregenden Rohfassungen des Jahres 2001. Helmut Blöcker von der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung in Braunschweig auf der Tagung der deutschen HUGO-Mitglieder in Jena: "Wir haben 2001 etwas publiziert, so wie ein Astronaut, der mal schnell ein paar Mal um den Mond gekreist ist und viele Schnellschüsse an Fotoaufnahmen gemacht hat und das dann zuhause versucht hat zusammenzusetzen. Jetzt haben wir sozusagen eine komplette Landvermessung des Mondes und wir haben das Puzzle der Einzelfotos sehr exakt weitgehend zusammengesetzt."

    Beim langwierigen Puzzle stellte sich heraus, dass 58 Prozent der Gensequenzen von damals Fehler hatten – und die Zahl der menschlichen Gene ist noch weiter heruntergegangen. Statt 30.000 bis 40.000 sind es jetzt nur noch 20.000 bis 25.000. Inzwischen weist das Genom nur noch 341 Fehlstellen auf, 33 davon in so genannten genarmen Bereichen, die man mit heutigen Technologien nicht erreichen kann. Richard Reinhard vom Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik: "In vielen Bereichen wird man nicht weiterkommen, weil dort über ein paar Millionen Basen identische Sequenzen aufeinander folgen." Genau wie der Mensch muss auch die Technologie angesichts dieser Eintönigkeit kapitulieren und verzählt sich.

    Allerdings sind sich die Genetiker sicher, dass sie die medizinisch interessanten Bereiche entziffert haben. Trotzdem wartet jetzt erst die wirkliche Arbeit auf die Biowissenschaftler. Helmut Blöcker: "Wir wissen ungefähr welche Gene es gibt. Wir wissen ungefähr, welche Proteine es gibt. Aber wir kennen das Zusammenspiel der Gene, der Proteine und vieler anderer Moleküle nicht." Und dieses Zusammenspiel macht aus den maximal 25.000 Genen den Bauplan für Menschen. Bis zu einer genetisch basierten Medizin ist es trotz der Entschlüsselung noch ein weiter Weg.

    [Quelle: Hartmut Schade]