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Gene für einen langen Hals
Genom der Giraffe und des Okapi entschlüsselt

Es gibt einfache Kinderfragen, auf die selbst Wissenschaftler keine Antwort wissen. So zum Beispiel: Warum hat die Giraffe solch einen langen Hals? Der Versuch einer Antwort ist nun im Fachmagazin "Nature Communications" zu finden. Ein internationales Forscherteam hat das komplette Erbgut der Art entziffert, um darin Hinweise auf den langen Hals und die langen Beine zu bekommen.

Von Jochen Steiner | 18.05.2016
    Sechs Giraffen sind im Krüger Nationalpark (Südafrika) zu sehen
    Das Genom, das den langen Hals der Giraffenarten bestimmt, wurde entschlüsselt (imago stock&people)
    Das Giraffen-Genom ist entschlüsselt! Der Biologe Douglas Cavener von der Pennsylvania State University in den USA erzählt, wie es dazu kam:
    "Eines Tages traf ich den cleveren Genetiker Morris Agaba aus Tansania, und wir dachten, dass es eine gute Idee wäre, die neue Universität in Tansania, an der er arbeitet, bekannter zu machen, indem wir das Genom eines der berühmtesten Tiere Afrikas entschlüsseln: der Giraffe."
    Doch die Forscher trieb nicht nur dieser Marketing-Gedanke an, sondern auch ihr Wissensdurst. Zum Beispiel die Frage, warum Giraffen einen so langen Hals haben. Eine mögliche Antwort gab es bereits vor über 150 Jahren.
    "Darwin, Lamarck und andere gingen davon aus, dass Giraffen mit ihrem langen Hals an Akazien-Blätter gelangen können, und dadurch für sich eine neue ökologische Nische besetzt haben. Neuere Studien haben aber gezeigt, dass Giraffen vor allem Nahrung auf Schulterhöhe fressen. Die langen Hälse könnten auch vor dem Hintergrund der sexuellen Selektion entstanden sein, denn Giraffen-Bullen kämpfen damit und wollen die Kühe beeindrucken. Aber ehrlich gesagt, eindeutig beantworten können auch wir die Frage mit unserer Studie nicht."
    Der Giraffen-Hals kann bis zu zwei Meter lang sein. Eine gewaltige Strecke, über die das Blut nach oben gepumpt werden muss – von einem Herzen, das dafür eine vergrößerte linke Herzkammer besitzt. Der Blutdruck einer Giraffe ist zweieinhalb Mal so hoch wie der des Menschen.
    Douglas Cavener und seine Kollegen wollten herausfinden, ob es im Erbgut der Giraffe Besonderheiten gibt, die für den langen Hals und auch die langen Beine verantwortlich sind. Dafür sequenzierten die Genetiker nicht nur das komplette Erbgut von zwei Giraffen, sondern auch das ihrer nächsten Verwandten.
    "Wir haben auch das Genom des Okapis entschlüsselt, weil es wie eine Schablone über das Giraffen-Genom gelegt werden kann, um so die genetischen Besonderheiten der Giraffe offen zu legen."
    Die Wissenschaftler verglichen das Giraffen-Genom aber nicht nur mit dem des Okapis, sondern mit dem Erbgut von 40 weiteren Säugetierarten. Das Ergebnis: 70 Gene sind bei der Giraffe gegenüber den anderen Säugern so verändert, dass sie die Giraffe sozusagen zur Giraffe machen.
    "Was uns überrascht hat: Zwei Drittel dieser Gene regulieren die Entwicklung des Körpers und den Stoffwechsel. Aber es handelt sich nicht um neue Gene, sondern um Veränderungen bereits vorhandener Gene."
    Eine weitere Gruppe aus diesen 70 Genen, die Douglas Cavener und sein Team identifizieren konnten, ist für das Körperwachstum verantwortlich – kein überraschendes Ergebnis.
    "Wir vermuten, dass diese Regulatorgene auch für den langen Hals und die langen Beine der Giraffe verantwortlich sind. Wir glauben, dass wir die entsprechenden Gene gefunden haben. Aber ob sie tatsächlich an der Ausbildung des langen Halses beteiligt sind, müsste erst noch im Experiment überprüft werden."
    Andere Gene könnten eine Rolle beim Stoffwechsel spielen, und letztendlich der Giraffe helfen, mit den giftigen Alkaloiden in den Akazienblättern klar zu kommen. Die Studie von Douglas Cavener und seinen Kollegen stützt außerdem die Annahme, dass es sich bei den neun Unterarten der Giraffe um eigenständige Arten handelt. Die meisten davon sind in ihrem Bestand stark gefährdet. Und auch insgesamt steht es um die Giraffen nicht gut: Ihr Bestand ist in den letzten 15 Jahren um 40 Prozent zurückgegangen, auf weniger als 90.000 Tiere.