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Generaldebatte im Bundestag
"Die Welt wartet nicht auf Europa"

Keine Neuverschuldung, Freihandelsabkommen, Energiewende: In der Generaldebatte des Bundestages hat die Opposition mit der Politik der Bundesregierung abgerechnet. Linke-Fraktionsvize Wagenknecht kritisierte den Kurs im Ukraine-Konflikt. Kanzlerin Merkel warb für Freihandelsabkommen.

26.11.2014
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zur Generaldebatte im Bundestag
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zur Generaldebatte im Bundestag (AFP / Clemens Bilan)
    "Jahrzehntelang hat der Staat über seine Verhältnisse gelebt, damit machen wir Schluss", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zum Auftakt der viertägigen Generaldebatte im Bundestag. Dies könne angesichts der weltweiten Krisen einschließlich der Auswirkungen der Russland-Sanktionen auch auf die deutsche Wirtschaft "gar nicht hoch genug angesehen werden". Linke-Fraktionsvize Sahra Wagenknecht kritisierte zuvor, die im Haushalt 2015 geplante Schwarze Null bei der Neuverschuldung sei "Ausdruck einer Nullkompetenz in der Wirtschaftspolitik". Nötig seien mehr öffentliche Investitionen. Doch statt einer rationalen Wirtschaftspolitik widme sich die Große Koalition obskuren Opferritualen vor einer neuen Göttin, der Schwarzen Null. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter kritisierte, die Regierung habe zu wenig etwa in der Bildungs- und Klimapolitik investiert.
    Hauptthema der Generaldebatte ist der Bundeshaushalt für das kommende Jahr, der am Freitag verabschiedet werden soll. Daneben ging es um viele Projekte der Großen Koalition, die seit knapp einem Jahr im Amt ist: Frauenquote, Rente mit 63, Energiewende, Pflege, Außenpolitik, BAföG-Reform, digitale Agenda. Lange referiert Angela Merkel in ihrer Haushaltsrede über wirtschaftspolitische Erfolge, gute Beschäftigungsdaten und den historischen Entwurf eines Haushalts ohne Neuverschuldung, berichtet der Leiter unseres Hauptstadtstudios, Stephan Detjen.
    "Schmeißen Sie Ihren Koalitionsvertrag weg"
    So warnte Wagenknecht vor dem Zustandekommen eines Freihandelsabkommens und - wieder einmal - vor "Raubtierkapitalismus". Merkel erklärte dagegen, dass Deutschland und der Europäischen Union schwere Nachteile entstehen könnten, wenn es nicht gelinge, zügig die Freihandelsabkommen TTIP und Ceta zu schließen. Sonst würden bald etwa ökonomische und ökologische Standards durch andere Länder bestimmt - "eine schwere Bürde für ein Exportland wie Deutschland", sagte Merkel und verwies auf andere Freihandelsabkommen zwischen Ländern wie China, Australien und die USA. "Die Welt wartet nicht auf Europa." Hofreiter kritisierte, beim Freihandelsabkommen TTIP "kann es Ihnen nicht schnell genug gehen". "Wir brauchen kein Abkommen für Konzerne mit Extra-Klageprivilegien." Das Abkommen dürfe nicht "Gewinne für wenige", sondern müsse "fairen Handel für alle organisieren".
    Anton Hofreiter im Deutschen Bundestag
    Anton Hofreiter, Fraktionschef der Grünen im Bundestag (dpa / Maurizio Gambarini)
    Der Grünen-Fraktionschef kritisierte außerdem die Agrar- und Energiepolitik, warf der Bundesregierung vor, keine Visionen zu haben. "Der Klimawandel wartet doch nicht", sagte Hofreiter. "Mit Kohlekraftwerken aus der Zeit von Konrad Adenauer kann man nicht die Zukunft unseres Landes gestalten." Hofreiter empfahl der Regierung: "Schmeißen Sie Ihren Koalitionsvertrag weg". "Ihre Politik lebt von einer unterschwelligen Angst, der Angst vor Veränderung."
    Ein weiteres Thema war die Frauenquote, auf die sich die Spitzenvertreter der großen Koalition am Vorabend einigten. Die Bundeskanzlerin sagte, auch nach Kritik aus ihren eigenen Reihen, "wir können es uns nicht leisten, auf die Kompetenzen der Frauen zu verzichten". Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig sagte am Morgen im Deutschlandfunk, das Gesetz zur Frauenquote sei keine Symbolpolitik, sondern "ein ganz wichtiger Schritt zu mehr Gleichberechtigung". Grünen-Fraktionschef Hofreiter sagte im Bundestag: "Und wenn sich doch mal eine kleine, nette Fortschrittsidee in Ihren Koalitionsvertrag verirrt wie die Frauenquote, dann veranstalten Sie liebe Herren - und da muss man wirklich sagen, liebe Herren - von der Union, ein veritables Heulsusenkonzert. Ihre Quote ist doch gerade mal ein Quötchen."
    Familienministerin Schwesig, SPD
    Familienministerin Manuela Schwesig, SPD (picture-alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Kritik an der Russlandpolitik
    Die Bundeskanzlerin zeigte sich außerdem optimistisch zu einer politischen Lösung der Ukraine-Krise mit Russland. "So anstrengend und lang der Weg auch ist, so überzeugt bin ich dennoch, dass er uns gelingen wird", sagte Merkel. Weil Russland in der Ostukraine direkt und direkt interveniere, müsse die EU an Wirtschaftssanktionen festhalten. "Für unsere Bemühungen, die Krise zu überwinden, brauchen wir Geduld und einen langen Atem", ergänzte Merkel. Ziel sei eine souveräne und territorial unversehrte Ukraine. "Das Vorgehen Russlands stellt die europäische Friedensordnung infrage und bricht internationales Recht", kritisierte die Kanzlerin.
    Linke-Fraktionsvize Wagenknecht attackierte die Russlandpolitik der Kanzlerin. "Sie warnen vor einem Flächenbrand, aber Sie gehören doch zu denen, die mit brennendem Zündholz herumlaufen." Merkel habe Deutschland in die "Neuauflage eines Kalten Krieges mit Russland hineingetrieben", der den Frieden in Europa gefährde.
    Einige Bundestagsabgeordnete waren über lange Strecken der vierstündigen Debatte gelangweilt. Hier eine Auswahl ihrer Äußerungen auf Twitter:
    #hhw15 Ist diese Rede von #merkel langweilig. Selbst bei #cducsu wird gegähnt. Nix neues.— Dietmar Bartsch (@DietmarBartsch) November 26, 2014Merkel hält es heute Konfuzianisch : redet über den Weg zu allem und setzt auf meditativen Tonfall #hhw15— Ekin Deligöz (@ekindeligoez) November 26, 2014Doch noch was neues - Merkel kündigt strikte Reduktion des Antibiotikaeinsatzes in der Landwirtschaft an. SPD sehr überrascht. #hhw15— SteffiLemke (@SteffiLemke) November 26, 2014
    (sdö/sima)