Dienstag, 19. März 2024

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Generalsekretär Hubertus Heil
"Die SPD hat klare Inhalte"

SPD-Generalsekretär Hubertus Heil hat der Union Ideenlosigkeit vorgeworfen. Die CDU lasse Plakate drucken, ohne ein Programm zu haben, sagte Heil im Dlf. Statt ein Steuerkonzept vorzulegen, verspreche sie "Steuergeschenke für sehr, sehr wohlhabende Menschen".

Hubertus Heil im Gespräch mit Stefan Heinlein | 26.06.2017
    Der SPD-Kanzlerkandidat und Parteivorsitzende, Martin Schulz (r), besichtigt am 24.06.2017 in Dortmund (Nordrhein-Westfalen) zusammen mit SPD-Generalsekretär Hubertus Heil die Westfalenhalle für den SPD-Parteitag. Die Sozialdemokraten wollen am 25.06.2017 auf dem Parteitag ihr Wahlprogramm für die Bundestagswahl beschließen.
    "Martin Schulz hat klare Konzepte, einen klaren Kurs, eine geschlossene Partei hinter sich", sagt SPD-Generalsekretär Hubertus Heil über seinen Spitzenkandidaten (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Stefan Heinlein: Mitgehört hat SPD-Generalsekretär Hubertus Heil. Guten Morgen, Herr Heil!
    Hubertus Heil: Guten Morgen, Herr Heinlein. Ich grüße Sie.
    Heinlein: Heftige Attacken in Dortmund von Martin Schulz an die Adresse der Kanzlerin. "Arroganz der Macht" hat er gesagt, "Anschlag auf die Demokratie". Ist das der neue Stil, der Wahlkampfstil der SPD, um Frau Merkel aus dem Amt zu bekommen?
    Heil: Nein. Es weist vor allen Dingen darauf hin, was da gerade passiert. Die Union hat ja bisher versucht, Konzepte und Ideen zu vermeiden, kein Programm vorgelegt, kein Konzept bei Rente, keines bei Steuern, und versucht, sozusagen nach dem Motto "Wir schleichen uns durch" wieder im Amt zu bleiben. Das haben die schon zwei-, dreimal gemacht, aber das reicht für Deutschlands Zukunft nicht und darauf muss man hinweisen.
    Heinlein: Für die Union zeigt aber dieser aggressive Stil nur das ganze Ausmaß der Verzweiflung und der Ratlosigkeit der SPD. So heißt es heute Morgen in ersten Reaktionen auf die Angriffe von Martin Schulz.
    Heil: Das würde ich als Union auch so erzählen. Das soll ja nur kaschieren, dass die CDU jetzt schon Plakate drucken lässt, ohne ein Programm zu haben. Bei uns ist das anders herum. Wir haben einen klaren Kurs, wir haben klare Vorstellungen zum Beispiel für Investitionen, für die Entlastung von unteren und mittleren Einkommen, für mehr Steuergerechtigkeit, in der Bildungspolitik haben wir Konzepte vorgelegt. Und bei der Union erleben wir eins: Sie versucht, im Sommer eine Debatte über die Zukunft des Landes nicht zu führen. Und dann, muss man sagen, haben die in der Demokratie Wahlkampf nicht richtig verstanden. Es geht um die Auseinandersetzung, um alternative Ideen im demokratischen Spektrum zwischen Konservativen, CDU/CSU auf der einen Seite und SPD auf der anderen Seite. Das macht lebendige Demokratie aus und dazu ist die Union herzlich eingeladen zurückzukommen.
    "Die Union versucht, Konzepte und Ideen zu vermeiden"
    Heinlein: Was ich jetzt nicht verstehe, Herr Heil, ist: Was wollen Sie nun? Was will die SPD? Eine persönliche Auseinandersetzung mit Angela Merkel, persönliche Attacken auf die Kanzlerin oder eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Union?
    Heil: Eine inhaltliche Richtungsentscheidung steht an. Es geht um die Zukunft dieses Landes. Und noch mal: Eigentlich ist es selbstverständlich, dass man in Wahlkämpfen über die wichtigen Fragen, die Menschen bewegen, die um die Zukunft des Landes sich drehen, diskutiert. Das macht Demokratie aus. Die SPD ist dazu bereit, wir haben Konzepte vorgelegt. Die Union verweigert sich bisher. Und wenn diese Diskussion zumindest dazu führt, dass die Union endlich mal Farbe bekennt, dann hat sie sich ja schon gelohnt.
    Heinlein: Sie sagen es richtig, Herr Heil: Bisher verweigert die Union die inhaltliche Auseinandersetzung. Aber in dieser Woche will ja die Union ihr Wahlprogramm dann auch präsentieren. Geht es dann wieder um die Inhalte und nicht um die Person Merkel wie an diesem Wochenende in Dortmund?
    Heil: Es geht ja nicht um die Person Merkel. Frau Merkel hat sicherlich in der Vergangenheit, in den letzten zwölf Amtsjahren auch Verdienste um unser Land, gar keine Frage. Aber sie hat bisher kein Konzept, keine Richtung und keinen Kurs für die Zukunft des Landes vorgelegt. Und wenn die Union jetzt endlich ein Konzept vorlegt, ist es gut für die Demokratie, weil die SPD hat klare Inhalte. Die Union muss welche vorlegen und dann gibt es Auswahl und das ist gut für die Demokratie. Insofern lohnt sich unsere Debatte heute Morgen schon sehr.
    "Es geht um die Zukunft Europas"
    Heinlein: Frustriert Sie denn, frustriert die SPD, dass Sie tatsächlich Inhalte präsentieren, Konzepte ausarbeiten für Rente, für Steuern, für die innere Sicherheit, und die Union darauf verzichtet und dennoch in den Umfragen bisher 15 Prozentpunkte vor Ihnen liegt?
    Heil: Nein, da geht es nicht um unsere Gefühlslage, sondern es geht um die Frage, was ist gut, was ist richtig für Deutschlands Zukunft, wie kriegen wir es hin, dass wir den Wandel, der ansteht in der Arbeitswelt, gestalten. Die Digitalisierung wird Wirtschaft und Gesellschaft weiter verändern. Die Frage ist, wie wir aus solchen technischen Innovationen auch sozialen Fortschritt machen.
    Es geht darum, wie wir die Gesellschaft zusammenhalten im rasanten Wandel. Und es geht um die Zukunft Europas. Da hat Martin Schulz klare Konzepte, einen klaren Kurs, eine geschlossene Partei hinter sich, und wir fragen uns, was hat eigentlich die Konkurrenz. Das ist ja CDU/CSU-Chaos pur. Das wird versucht zu übertünchen. Aber bisher liegt nichts vor. Also noch mal: Es geht um den Wettbewerb, um bessere Konzepte, und das ist gut für unser Land.
    Heinlein: Aber Ihr Steuerkonzept, Herr Heil, findet ja nicht einmal der DGB, also Ihr natürlicher Bündnispartner gut, sondern die Gewerkschaften haben ein eigenes Konzept vorgelegt. Wie wollen Sie da jetzt für Wechselstimmung sorgen?
    Heil: Unser Konzept hat ja breite Zustimmung gefunden.
    Heinlein: Aber nicht bei den Gewerkschaften.
    Heil: Nicht eins zu eins, aber es ist klar gemacht worden, es geht in die richtige Richtung. Wir wollen gemeinsam - das sagen übrigens auch alle vernünftigen Ökonomen - Investitionen in diesem Land in Bildung, in Forschung, in Infrastruktur schaffen, damit wir auch morgen noch wirtschaftlich erfolgreich sind. Es geht um die Entlastung unterer und mittlerer Einkommen und mehr Steuergerechtigkeit. Das ist der Dreiklang unseres Konzepts. Der hat breite Zustimmung. Es ist ein solide gerechnetes Konzept und es ist ein Konzept, was hilft, richtige Politik in den nächsten vier Jahren zu machen, und darauf sind wir relativ stolz, dass wir das hinbekommen haben.
    Andere Parteien haben kein Steuerkonzept, ich sehe da keins. Ich sehe vor allen Dingen Herrn Schäuble, der nicht in der Lage war, dafür zu sorgen, dass Investitionen tatsächlich fließen, dass Schulen saniert werden, dass wir in Wissenschaft investieren, dass wir mehr in Breitbandausbau auch in ländliche Räume gehen, und er hat nicht die Kraft gehabt, untere und mittlere Einkommen zu entlasten. Was die Union jetzt vorhat, ist ziemlich durchsichtig: Sie wollen Steuergeschenke machen für sehr, sehr wohlhabende Menschen, und das ist das Gegenteil dessen, was wir wollen. Es ist nicht gerecht. Wir wollen auch Steuergerechtigkeit.
    "Kein Wahlkampf für irgendwelche Koalitionen machen"
    Heinlein: Bleibt die Frage, Herr Heil: Mit wem wollen Sie Ihre schönen Konzepte, auf die Sie so stolz sind, wie Sie sagen, durchsetzen? Rot-Rot-Grün oder als Juniorpartner der Union, darüber hat man gestern gar nichts gehört bei Ihrem Parteitag in Dortmund.
    Heil: Ja, das ist auch ganz klar, weil wir keinen Wahlkampf für irgendwelche Koalitionen machen, sondern für unsere sozialdemokratische Überzeugung. Wer dann nach der Wahl mit uns koalieren will, der muss auf uns und unsere Inhalte zukommen und der muss zur Verantwortung für dieses Land tatsächlich bereit sein.
    Heinlein: Mit einer absoluten Mehrheit können Sie ja wohl nicht rechnen im September.
    Heil: Nein, diesmal noch nicht.
    Heinlein: Sie brauchen einen Koalitionspartner. Wer kann es denn sein, um Ihre Konzepte zur Rente, zur Steuer und so weiter durchzusetzen?
    Heil: Das müssen ja andere Parteien für sich klären. Wir sagen, was wir wollen. Wir orientieren unsere Überzeugungen, unsere Konzepte nicht taktisch auf andere Parteien, sondern wir fragen uns, was ist richtig, was ist notwendig für Deutschlands Zukunft. Da hat Martin Schulz einen klaren Kurs vorgelegt.
    Ich finde diese ganze Idee, sich in Wahlkämpfen taktisch zu verhalten, sich durchzuschleichen, sich an irgendwelche anderen Parteien anzubiedern, tut dieser Demokratie nicht gut, hat ja dazu geführt, dass politisch extreme Ränder stärker geworden sind. Wir brauchen da eine andere Form von Haltung und deshalb finde ich es richtig, dass in diesem Sommer erst mal jede Partei für die eigene Überzeugung kämpft. Wir Sozialdemokraten tun das und wir warten auf die anderen. Dann wird es ein spannender Wettbewerb. Dann gibt es eine Wahl, die Bürgerinnen und Bürger entscheiden bekanntermaßen - das haben wir bei allen Landtagswahlen erlebt - nicht drei Monate vor der Wahl in Umfragen, sondern relativ kurzfristig, wen sie wählen. Deshalb ist das Rennen auch vollständig offen. Und dann gucken wir mal aufs Wahlergebnis und wer sich auf unsere Überzeugungen und Konzepte zubewegt und dann werden wir das entscheiden.
    Heinlein: Herr Heil, noch eine persönliche Frage vielleicht zum Schluss. Sie sind noch vergleichsweise jung, Jahrgang 1972. Sie haben dennoch viele, viele politische Erfahrung. 2009 waren Sie schon mit Frank-Walter Steinmeier im Wahlkampf. Welcher Wahlkampf ist denn schwieriger, wenn Sie es jetzt vergleichen, der damals 2009 mit Steinmeier oder jetzt aktuell mit Martin Schulz?
    Heil: Unabhängig davon, dass jeder Wahlkampf anders ist, hatten wir damals nicht nur eine andere Welt. Es ging um ganz andere Fragen. Wir haben heute Fragen, die was mit der Zukunft Europas zu tun haben, nach Brexit. Es geht um europäische Souveränität, Stichwort Trump. Und wir hatten damals im Gegensatz zu heute übrigens eine tief zerstrittene Sozialdemokratie. Wir haben gestern in Dortmund erlebt, die SPD ist geschlossen, sie hat einstimmig ein Programm beschlossen, sie ist entschlossen, sie hat eine klare Nummer eins, Kanzlerkandidatur und Parteivorsitzender in einer Hand. Ach ja: Und ich bin heute nicht mehr 32 Jahre alt wie 2005, sondern ich bin 44 Jahre alt, habe ein bisschen mehr Erfahrung und habe diesmal im Gegensatz zum letzten Mal auch die operative Wahlkampfverantwortung. Also, um einen schönen Filmtitel zu zitieren: "Same Same But Different".
    Heinlein: Ist der Wahlkampf von 2005 - damals waren Sie, glaube ich, noch nicht dabei - von Gerhard Schröder Vorbild jetzt für die SPD, diese Aufholjagd? Ist das Ansporn für Sie?
    Heil: Ich war damals schon dabei. Ich bin seit '98 im Bundestag.
    Heinlein: Aber nicht als Generalsekretär.
    Heil: Nein, ich habe den Wahlkampf nicht geführt. Die Haltung ist richtig, dass man für Überzeugung steht, dass man kämpft, dass man entschlossen ist und dass man die drei Eigenschaften mitbringt, die für gute Politik notwendig sind: Verantwortungsbewusstsein, leidenschaftliche Überzeugung und Augenmaß im Handeln. Das sind die drei Eigenschaften, die sozialdemokratische Kanzler ausgemacht haben, von Willy Brandt über Helmut Schmidt bis auch Gerhard Schröder. Und diese Eigenschaften hat auch Martin Schulz und deshalb geht diese SPD sehr entschlossen in diesen Wahlkampf und die politische Konkurrenz wird noch ziemlich schauen, wo sie bleibt.
    "Gerhard Schröder wird nicht jeden Tag auf dem Marktplatz stehen"
    Heinlein: Werden Sie mit Gerhard Schröder auch auf die Marktplätze gehen?
    Heil: Nein, Gerhard Schröder ist nicht Spitzenkandidat. Wir freuen uns über seine Unterstützung. Wir freuen uns auch, dass er auf diesem Parteitag gesprochen hat, und ich kann mir vorstellen, dass er den einen oder anderen auch mal in einem Wahlkreis unterstützt. Aber jedes hat seine Zeit. Gerhard Schröder hatte andere Herausforderungen oder Aufgaben vor sich, als wir das heute haben in unserer Generation. Und deshalb: Der Spitzenkandidat ist Martin Schulz. Wir haben eine junge Generation von Frauen und Männern, die antritt. Wir haben starke Frauen wie Manuela Schwesig, Andrea Nahles, Katarina Barley. Wir haben gute Leute in der Bundestagsfraktion mit Thomas Oppermann. Das ist die Generation, die jetzt antritt. Wir haben Sigmar Gabriel als Außenminister. Das ist das Team, was antritt. Insofern: Wir freuen uns über die Unterstützung, aber Gerhard Schröder wird nicht jetzt jeden Tag auf dem Marktplatz stehen.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen SPD-Generalsekretär Hubertus Heil. Ich danke für das Gespräch, danke für Ihre Zeit. Auf Wiederhören.
    Heil: Guten Morgen, Herr Heinlein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.