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Generation Golf zwei

Als im 20. Jahrhundert zumindest in der westlichen Welt die großen Beschleunigungen einsetzten, haben sie unter anderem hervorgebracht, was Jürgen Habermas vor zwanzig Jahren schließlich die "neue Unübersichtlichkeit" nannte. Seitdem hat sich ein neuer Berufszweig etabliert, der spätestens nach dem 2. Weltkrieg die desorientierten Insassen der westlichen Zivilisationen mit Kompassen für diesen Dschungel zu versorgen begann. Schließlich schien es ja plötzlich nötig, mühsam herausfinden, wer man ist, wo man sich befindet und zu wem man gehört. Zeitgeistdiagnostiker oder Trendscouts hießen sie dann, und dazu gehören auch die Generationserfinder. Zuerst erledigten das noch würdige Soziologen wie Helmut Schelsky, der die "skeptische Generation" der einstigen Flakhelfer des 2. Weltkriegs kreiert hatte. Mit wem man gemeinsame Erfahrungshorizonte hat, bildet man auch eine Generation. So schien sich wenigstens eine gewisse Ordnung im vorgeblichen Chaos der Moderne zu ergeben.

Uwe Pralle | 18.07.2003
    Inzwischen ist es zum ständigen Gesellschaftsspiel der Medien geworden, für immerneue Generationen immerneue Namen zu prägen – mit dem Effekt, dass so die Desorientierung gerade durch das triumphiert, was sie eigentlich bekämpfen soll. Denn wenn überhaupt, so halten sich die meisten Labels kaum eine Saison. Nur die 68er-Generation bildet seit Jahr und Tag eine Ausnahme, während Punk-, Turnschuh- oder No-Future-Generation genauso wie die Generation X längst wieder in den Recyclingtonnen für Zivilisationswortmüll verschwunden sind. Wann das auch der "Generation Golf" widerfahren wird, lässt sich leicht beantworten: im Grunde war das bereits vor drei Jahren der Fall, als Florian Illies in die Marktlücke stieß, die missglückte Label wie "Techno"- oder "89er-Generation" gelassen hatten. Denn obwohl es die "Generation Golf" immerhin auf einige Hunderttausend Leser brachte, hat schon damals jeder gewusst: natürlich gibt es eine "Generation Golf" ebenso wenig wie es etwa jemals die "68er" gab.

    Daran wird auch nicht viel ändern, dass Florian Illies jetzt trotzig mit "Generation Golf zwei" in dieses Gesellschaftsspiel zurückkehrt. Warum auch nicht, schließlich kommt ja auch gerade "Terminator 3" in die Kinos, und beides hat mehr mit Markt- und Verkaufslogik zu tun als mit irgendetwas anderem. Wer allerdings heute mit der frohen Botschaft einer homogenen Generation ankommt, blamiert sich schon von vornherein – und das ganz besonders, wenn er dabei gleichzeitig mit der erhabenen Einsicht aufwartet, "dass es für das Leben kein Navigationssystem gibt." Denn was, bitteschön, sollte eine Generationskonstruktion anderes sein als eben ein Navigationssystem, und zwar eines für Lebensgefühle und Erfahrungsformen - und wenn es, wie Illies ganz richtig bemerkt, dieses Navigationssystem nicht gibt, so liegt das eben daran, dass nicht einmal heute 30 bis 40jährige, selbst wenn sie alle auf Nutella statt auf Nusspli stehen sollten, unbedingt gemeinsame Horizonte haben – es soll nicht wenige Mittdreißiger geben, die sich notfalls auch handgreiflich dagegen wehren würden, von Illies in die Zwangsgemeinschaft seines Golf gesperrt zu werden.

    Auch auf dieser zweiten Golf-Tour herrscht wieder das feuilletonistische Gequassel vor. Das bewahrt zwar vor den überdrehten Begriffsschraubereien früherer Generationssoziologen, hat aber den Nachteil, völlig diffus zu lassen, ob die Generation Golf überhaupt mehr ist als eine Sammlung von Anekdoten und Aha-Erlebnissen. Wenn man sich an die vagen Hinweise von Illies hält, müssten zu dieser Generation diejenigen gehören, die erstens so ungefähr zwischen 30 und 40 sind und zweitens beim Börsenhype der 90er Jahre ihre Ersparnisse verloren haben – denn das ist der eigentliche rote Faden in dem neuen Buch.

    Dieser zweite Punkt macht die Generation Golf allerdings unversehens zu einer Splittergruppe – denn auch von den Mittdreißigern war es wohl kaum die Mehrheit, die sich an Börsenabenteuern überhaupt beteiligen konnte. Immerhin erklärt das wiederum, warum Illies Anekdoten nur in Kreisen spielen, für die der Ausdruck "berichtigter Wertzuwachs" neuerdings auf unangenehme Weise zur authentischen Erfahrung wurde, also in denen aufstrebender Ärzte und Anwälte, inzwischen oft bankrotter Dot.com -Unternehmer und arbeitsloser Medienleute. Das spricht wie vieles andere dafür, dass die Generation Golf wohl eher eine große Seifenblase ist, zu der Illies seinen soziologisch nicht gerade repräsentativen Freundes- und Bekanntenkreis kurzerhand aufgeblasen hat – während ihre Altersgenossen an Werk- und Hobelbänken schon selbst sehen müssen, wie sie zu einem eigenen Generationsnamen kommen.

    Diese Verschwommenheit seiner "Generation Golf" verdeckt Illies’ Sprache durch eine Rhetorik, die ebenso verlogen wie anmaßend ist. Die meisten seiner Sätze bedienen sich des großspurigen "Wir": "Wir kämpfen nicht mehr für Freiheit. Uns reicht es offenbar, die Möglichkeit dazu zu haben. Wir würden ja so gerne einmal etwas wirklich Sinnvolles tun. Aber leider sind wir zu abgeklärt, um uns in Indien auf die Suche nach uns selbst zu machen – schließlich haben wir uns, wie mir Julia vor kurzem schlüssig erklärte, dort nicht verloren. Und weil wir ahnen, wohin dort die Entwicklungshilfegelder wirklich fließen, sehen wir auch keinen Sinn darin, einen Brunnen im Kongo auszuheben."

    Wer eigentlich ist dieses "Wir", das im rhetorischen Stakkato zweihundertfünfzig Seiten lang durch dieses Buch trommelt und immer ganz genau sagen kann, was "wir" tun und wünschen und was "unsere" Köpfe ahnen und denken. Ist das wirklich nur der pluralis majestatis, das sprachlich aufgeblasene Ich des Florian Illies? Natürlich nicht. Das "Wir" in diesem Buch beschwört vielmehr die kollektive Identität einer Generation, die ihrer höchst diffusen Masse von Angehörigen trotz des lockeren Tons fortwährend einzuhämmern versucht wird. Die Soziologen, deren Generationsprofile einst im Dschungel der modernen Zivilisationen Orientierungshorizonte markieren sollten, sind auf der quasselnden Schwundstufe des Florian Illies von einem Wir-Gefühl-Ideologen abgelöst worden, in dessen Rhetorik ein postfaschistisch geläuterter Hauch von Sportpalast wiederkehrt.

    Klar, dass das gefräßige, totalitäre "Wir" in "Generation Golf zwei" nicht ohne sein halluzinatives Feindbild auskommt. Süffisant zitiert Illies den offenbar inzwischen senil gewordenen Rolf Dahrendorf mit der Bemerkung: "Die 68er müssen weg, so weit weg wie möglich." Wo mag das nur liegen, dieses "so weit weg wie möglich"? Auf Madagaskar oder noch weiter weg? "Wir werden sehen", lautet Illies Kommentar, selbstverständlich wieder "wir". Bei diesen gespenstischen Gesellschaftsspielen wird man langsam den Verdacht nicht mehr los, dass die Generationenpolitik das Aufmarschgebiet eines neuen Mobs ist.