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Generation Napola

In den sogenannten Nationalpolitischen Erziehungsanstalten, kurz Napola, wollten die Nationalsozialisten die künftigen Führungsgenerationen ausbilden. 15.000 Jungen durchliefen die NS-Eliteschmieden, darunter auch heute bekannte Persönlichkeiten. Ein neuer Dokumentarfilm hat sich des Themas angenommen.

Rüdiger Suchsland im Gespräch mit Michael Köhler | 03.12.2009
    Michael Köhler: Die Nationalpolitischen Erziehungsanstalten der Nazis, kurz Napola genannt, sie sollten Eliteschulen für den NS-Nachwuchs sein. Es gab einige Prominente auf deutschem Boden, etwa auch die große Ordensburg Vogelsang in der Eifel, die nach dem Abzug der belgischen Truppen, die dort nach dem Zweiten Weltkrieg einzogen, seit Jahren inzwischen den Besuchern freistehen zur Besichtigung. Aber es gab auch viele kleine Napolas. Ehemalige Napolaschüler sind in der deutschen Nachkriegsgesellschaft was geworden. Ein Dokumentarfilm, kein fiktionaler also, hat sich des Themas jetzt angenommen. Eduard Erne und Christian Schneider haben diese deutsch-österreichische Produktion gedreht, und Frage an den Kollegen Rüdiger Suchsland: Wer beispielsweise unter den bekannten deutschen Zeitgenossen, die man heute noch kennt, war eigentlich auf einer Napola?

    Rüdiger Suchsland: Ja, man kennt zum Beispiel Hellmuth Karasek, der ehemalige Feuilletonchef des "Spiegel", man kennt Theo Sommer, "Zeit"-Herausgeber und Chefredakteur davor, und natürlich auch Alfred Herrhausen, der ehemalige Vorstand der Deutschen Bank. Es gibt eine ganze Menge eigentlich. Wenn man die Namen so durchschaut, das ist überraschend, wie viele dann wirklich auch zur Elite der demokratischen Bundesrepublik gehörten.

    Köhler: Es ist ein Dokumentarfilm, der das Napola-Thema als Generationengeschichte erzählt, Herr Suchsland, er fragt also nicht nur, was aus den Schülern von damals geworden ist und aus deren Erziehung, wie die weiterwirkt, sondern was hat die Erziehung mit den Menschen gemacht? Einen autoritären Charakter geprägt oder das Gegenteil - was erfährt man aus dem Film?

    Suchsland: Ja, der Film macht eigentlich sehr vieles. Christian Schneider, muss man dazusagen, ist gelernter Historiker, hat auch schon ein Buch zu Napolas veröffentlicht, ist sozusagen der Experte, und ein bisschen wird natürlich die Geschichte erzählt, was die Napolas waren: 15.000 Jungen in insgesamt 40 verschiedenen Schulen im damaligen Reichsgebiet. Und dann wird natürlich auch ein bisschen auf die Erziehungsideale eingegangen, der Nazis. Es geht dann um Glauben, Gehorchen, Kämpfen, gelobt sei, was hart macht, die Fahne ist stärker als der Tod, solche Schlagworte. Und diesen letzten Satz, die Fahne ist stärker als der Tod, nehmen die Filmemacher ein bisschen so zum Anlass, die Nachwirkungen eigentlich zu untersuchen, die Verwundungen der Familien. Das heißt, es geht auch um die Angehörigen, um die Kinder und Enkelkinder der Napola-Schüler, und vor allem zwei Familien stehen im Zentrum. Eine Tochter fragt sich, inwieweit sie eigentlich so eine Art Virus der Napola- und der Nazierziehung weiter in sich trägt. Und eine andere Familie muss mit dem Selbstmord des Vaters leben, der offenbar als Spätfolge dieser Erziehung sich umgebracht hat in den 80er-Jahren, als er schon ziemlich alt war, weil er mit dem Älterwerden nicht umgehen konnte. Und insofern erzählt dieser Film eigentlich auch ein bisschen davon, wie weit die Erziehungsideale der Nazis in die Bundesrepublik hinein bis in unsere Gegenwart weiterwirken.

    Köhler: Es geht also weniger, wenn ich richtig verstehe, um die Funktion von Napolas zur NS-Zeit und in den Zivilverwaltungen besetzter Ostgebiete vielleicht, sondern deren Fortwirken bis heute. Ist das ein gelungenes Werk oder breitet das nur Material aus, wie ich es vielleicht bei "Spiegel TV" genauso so sehen könnte?

    Suchsland: Nein, nein, es ist kein Fernsehfilm, sondern es ist ein Film fürs Kino und sehr gut und sehr schön, dass der jetzt im Kino läuft, wo eigentlich ein bisschen zu wenig Filme dieser Art laufen. Es ist ein Film, der natürlich auch altes Dokumentarmaterial benutzt oder alte Spielfilmausschnitte auch und in dem die verschiedenen Leute zu Wort kommen. Hellmuth Karasek hat mir besonders gut gefallen, der analysiert das ganz gut, auch die Folgen, die das für ihn persönlich hatte. Er spricht vom Stockholm-Syndrom, also der Identifikation mit dem Aggressor. Und das ist etwas, was man gar nicht will, was man gar nicht mag, was man schon damals abgelehnt hat, dann trotzdem Folgen hat, gegen die man sich gar nicht wehren kann. Und das Ganze ist filmisch sehr gut gemacht, es ist kurzweilig, es gibt so ein paar Tricks, die arbeiten mit den Liedern, mit der Musik dieser Zeit, aber durchaus immer distanziert und verfremdet, also so, dass Sie nicht auf die Ästhetik der Nazis reinfallen.

    Köhler: Es ist auch ein Film über die Generationenfrage. Wir haben ja im Moment so eine Diskussion, Fragen nach den Jahrgängen 1929/30, was unterscheidet die von den Jahrgängen von 20 vielleicht. Ist das auch etwas, was man da lernen kann, also ein Erbe, das man irgendwie nicht los wird?

    Suchsland: Ja, das sind eben diese Generationen der Napola-Schüler. Die wurden ja auch 33 schon gegründet, also direkt nach der Machtergreifung der Nazis. Die sind durch und durch in ihrer Kindheit von den Werten des Faschismus geprägt worden. Das heißt, es geht schon um Härte, um Kälte, um Führertum, um Gehorsam, darum, Individualität eigentlich aufzuheben und gleichzeitig sich immer für etwas Besseres zu halten, sich als Elite zu fühlen. Und ich fand eigentlich, als ich den Film gesehen habe, dass das auch ganz gut in die heutige Zeit passt. Wir diskutieren viel über Erziehung, und wenn es um Universitäten geht, ist Elite auf einmal ein positiv besetzter Begriff. Man vergisst aber immer, dass Elite was man Abgrenzung zu tun. Und Eliten gibt es nur, wenn es einen großen Rest gibt, der nicht zur Elite gehört, und insofern sind das auch Ausschlussmechanismen. Auch darüber erzählt der Film etwas.

    Köhler: Ein Film, der zur Diskussion einlädt, sicherlich auch zwischen den Generationen. "Napola" kommt ins Kino, von Eduard Erne und Christian Schneider. Rüdiger Suchsland hat uns darüber berichtet.