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Genetischer Trick von Karauschen
Verwandte des Goldfisches produzieren Alkohol

In den Seen Skandinaviens leben wilde Verwandte der Goldfische mit einer einmaligen Fähigkeit: die Karausche. Sie können die nordeuropäischen Winter unter der Eisdecke gefrorener Seen überleben - indem die Fische über Gärung Alkohol produzieren.

Von Dagmar Röhrlich | 11.08.2017
    Karausche im Eis
    Die wilden Verwandten der Goldfische müssen in Gewässern überleben, in denen mangels Austausch mit der Atmosphäre der Sauerstoff verschwindet. (dpa)
    Wenn die Seen Skandinaviens im Winter zufrieren, beginnt für die Karauschen eine harte Zeit: Die wilden Verwandten der Goldfische müssen in Gewässern überleben, in denen mangels Austausch mit der Atmosphäre der Sauerstoff verschwindet. Doch anders als alle anderen Wirbeltiere schaffen sie das über Wochen, sogar Monate. Und zwar, indem sie über Gärung Alkohol produzieren.
    "Wenn uns der Sauerstoff ausgeht, sterben wir, weil wir uns innerhalb weniger Minuten vergiften. Denn die Energieproduktion in den Zellen läuft nicht wie üblich bis zum Kohlendioxid, das ausgeatmet wird. Vielmehr entsteht Milchsäure, die nicht abgeführt werden kann und in zu hohen Konzentrationen schädlich ist. Die Karausche hat dieses Problem gelöst, indem sie bei Sauerstoffmangel einen alternativen Stoffwechselweg einschlägt. Sie wandelt die dabei entstehende Milchsäure in Alkohol um, den sie aus den Zellen transportieren und über die Kiemen ins Wasser ausscheiden kann."
    Anaerobe Gärung zur Energiegewinnung
    Die Alkoholkonzentration im Wasser steigt, ebenso im Fischblut, erklärt Michael Berenbrink von der University of Liverpool. Die Frage ist, wie diese Überlebensstrategie entstanden ist:
    "Wir haben deshalb untersucht, welche Gene bei Sauerstoffmangel in den Muskelzellen von Karpfen, Karauschen und Goldfischen aktiv werden. Wir stellten fest, dass Karauschen und Goldfische nicht nur - wie normal - ein Set an Proteinen herstellen, um Kohlehydrate für die Energieproduktion zu den Mitochondrien zu schleusen. Vielmehr besitzen sie zwei."
    Das zweite Set wird aktiv, sobald der Sauerstoff zur Neige geht. In ihm steckt eine Mutation, mit denen Karausche auf anaerobe Gärung zur Energiegewinnung umschaltet und die Milchsäure in Alkohol, in Äthanol, umsetzt. Die weitere Analyse legen nahe, wie die Fische diese Fähigkeit erworben haben:
    "Unseren Ergebnissen zufolge passierte das vor rund acht Millionen Jahren. Damals hat sich bei einem Urahn der Karauschen, der noch keinen Ethanol produzieren konnte, das gesamte Genom verdoppelt", beschreibt Cathrine Fagernes von der University of Oslo.
    Mutation ermöglicht das Überleben in den Seen Nordskandinaviens
    Anders als bei Pflanzen ist eine komplette Genom-Verdopplung bei Tieren selten. Doch sie kommt immer wieder einmal vor, wenn bei der Vererbung zufällig nicht nur eine Kopie des Genoms der Eltern weitergegeben wird, sondern beide:
    "Im weiteren Verlauf der Evolution kann sich diese zweite Kopie entwickeln und neue Funktionen erwerben. Wahrscheinlich ist das hier passiert."
    Auch bei diesem zweiten Stoffwechselweg über die Gärung entsteht Energie, wenn auch nur zehn oder 20 Prozent dessen, was normalerweise mit Sauerstoff produziert wird.
    "Die Karauschen sind dann fast lethargisch, bewegen sich kaum, weil das Energie kostet. Ihr Herz schlägt viel langsamer und ihr Blutalkoholspiegel beträgt manchmal über Monate hinweg das doppelte dessen, was in Deutschland am Steuer erlaubt ist."
    Doch dank dieser Mutation kann die Karausche als einziger Fisch in den Seen Nordskandinaviens überleben, hat weder Konkurrenten, noch Fressfeinde.