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Genforschung am Neandertaler

Genforschung. Paläogenetiker des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig wollen in zwei Jahren das Genom des Neandertalers vollständig entschlüsselt haben. Gemeinsam mit einer amerikanischen Firma bringen sie eine neue Technik zum Einsatz, die diese Mammutaufgabe erst möglich macht.

Von Michael Stang | 21.07.2006
    Auch nach 150 Jahren seit seiner Entdeckung steht der Neandertalerfund aus Mettmann noch immer im Mittelpunkt aktueller Forschungen. Das 42.000 Jahre alte Fossil wird jetzt erneut eine Knochenprobe zur Erbgutuntersuchung der Neandertaler liefern. Der Archäologe Ralf Schmitz vom Rheinischen Landesmuseum in Bonn hat die Freigabe des Oberarmknochens für die Untersuchungen erwirkt, bei der gut zwei Gramm Material unwiederbringlich herausgesägt werden.

    "Das ist jedes Mal ein schmerzlicher Eingriff, der sehr sorgfältig überlegt sein will. Es ist schon ein Stückchen weit so, als wenn man ein Stück aus der Mona Lisa für eine Analyse herausschneidet, aber dieser rechte Oberarmknochen des Neandertalers ist mittlerweile durch alle Genforschungen so legendär, dass wir diesen Substanzverlust in Kauf nehmen. Und wir tragen wirklich einen wesentlichen Beitrag zur Forschung."

    Neben dem namensgebenden Neandertalerfossil wird auch eine 38.000 Jahre alte Knochenprobe aus der kroatischen Höhle Vindija untersucht, um das große Ziel zu realisieren: Die Entschlüsselung des Neandertalergenoms. Der Paläogenetiker Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig wird dabei das Projekt zusammen mit einer amerikanischen Firma angehen. Kernpunkt ist eine neue Technik.

    "So wie wir die Methode einsetzen, ist es eine zufällige Sequenzierung. Wir sequenzieren einfach alle DNA-Stücke, die wir von diesen Kochen extrahieren. Das heißt, ein großer Teil davon wird auch Pilze sein, Bakterien sein, die im Knochen leben, deren DNA und das müssen wir wegsortieren."

    Dabei werden die Genetiker die DNA-Sequenzen mit den bereits bekannten Genomen von Schimpanse und Mensch vergleichen.

    Pääbo: "Ohne das wäre das, was wir jetzt planen, richtig sinnlos."

    Alles Erbgut, was nicht dem Schimpansen- oder Menschengenom gleicht, fliegt raus. Nur so können sich die Forscher sicher sein, dass eine DNA-Sequenz vom Neandertaler stammt und nicht das Erbgut etwa eines Bakteriums beschreibt. Rund 95 Prozent der DNA-Sequenzen werden nicht vom Neandertaler stammen, weil die Knochen in den vergangenen Jahrtausenden von Bakterien und Pilzen besiedelt wurden. Deshalb werden die Genetiker rund 70 Milliarden Basenpaare sequenzieren müssen, um letztendlich die drei Milliarden zu erhalten, die das Erbgut des Neandertalers ausmachen. Die neue Technik ist rund 100 Mal schneller als die herkömmlichen Methoden. Möglich wird dies durch eine Miniaturisierung der Sequenzierapparate, die rund 250.000 DNA-Stränge gleichzeitig individuell untersuchen können, sagt Michael Egholm von der amerikanischen Genetikfirma 454 Life Sciences in Branford.

    "In einem Pilotprojekt haben wir bereits ein Stück der kroatischen Neandertalerprobe sequenziert und direkt eine Million Basenpaare erhalten. Bislang gab es lediglich ein paar 100. Jetzt wollen wir alle drei Milliarden Basenpaare sequenzieren, was ein wenig mehr ist als diese erste Million."

    Zu den Ergebnissen des Pilotprojekts wollten sich aber weder Svante Pääbo, noch Michael Egholm äußern.

    "Dabei haben wir etwas entdeckt, über das wir aber nicht sprechen werden, weil wir die Ergebnisse zur Veröffentlichung eingereicht haben."

    Hintergrund ist, dass das Fachblatt "Nature" nicht zulässt, dass die Wissenschaftler ihre Ergebnisse vor der Veröffentlichung preisgeben. Unabhängig davon, was diese ersten Ergebnisse wirklich aussagen, werden erst die kommenden zwei Jahre zeigen, wie vollständig die Forscher tatsächlich die alte DNA der Neandertaler rekonstruieren können.