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Genforschung
Spezieller Gentest kann Zwillinge unterscheiden

Wenn ein eineiiger Zwilling ein Verbrechen begeht, wird der Täter oft vom anderen Zwilling gedeckt. Der genetische Fingerabdruck versagt bei eineiigen Zwillingen. Jetzt haben Wissenschaftler einen Gentest entwickelt, mit dem sich ein Zwilling zweifelsfrei identifizieren lässt.

Von Marieke Degen | 20.01.2014
    In Marseille werden sechs Frauen vergewaltigt. Die Polizei weiß, dass einer von zwei Zwillingsbrüdern dahinter steckt - die Frage ist nur: welcher? Die beiden decken sich gegenseitig, und ein genetischer Fingerabdruck führt in dem Fall nicht weiter: Das Erbgut von eineiigen Zwillingen ist praktisch identisch.
    "Man kennt die beiden, man ist sich auch sicher, dass da einer von beiden beteiligt war. Aber man kann nicht zuordnen, welcher es war. Und die wurden jetzt freigelassen - aus Mangel an Beweisen. Und das ist jetzt ein ganz klassischer Fall, den man lösen kann. Also: Wir sind uns sicher, dass man die beiden Brüder unterscheiden kann."
    Georg Gradl ist Humangenetiker bei Eurofins Scientific in Ebersberg. Die Firma bietet alle möglichen genetischen Tests an, und seit neuestem auch den ersten Test, der eineiige Zwillinge zuverlässig voneinander unterscheidet. Kurz vor Weihnachten haben Gradl und sein Team das Verfahren in einer forensischen Fachzeitschrift vorgestellt - seitdem kommen Anfragen aus aller Welt.
    "Wir haben gerade eine Anfrage aus Südamerika, da ging es auch um eine Vergewaltigung. Da sind eben zwei Brüder in Verdacht, und da sind wir eben am Diskutieren. Und sehr viel sind auch Unterhaltsklagen. Da gibt es auch verschiedene Möglichkeiten - meistens so ein One Night Stand und dann decken sich die beiden Brüder, die potenziellen Väter."
    Mit einer Vaterschaftsklage habe auch alles angefangen, sagt Georg Gradl. Eine Frau hatte im gleichen Zeitraum Sex mit zwei Zwillingsbrüdern und wurde schwanger. Doch weil das Kind keinem der beiden zugeordnet werden konnte, musste auch keiner Unterhalt zahlen.
    "Wir hatten da eine Anfrage von einem Gerichtsgutachter, der eben wissen wollte, ob wir eine Idee hätten, das nachzuweisen."
    Georg Gradl und seine Leute machten sich an die Arbeit. Es gibt nämlich sehr wohl genetische Unterschiede bei Zwillingen, wenn auch nur winzige.
    Eineiige Zwillinge gehen zwar aus ein und derselben befruchteten Eizelle hervor. Doch die beiden Embryonen wachsen unabhängig voneinander heran, und dabei entstehen in den drei Milliarden Buchstaben des Erbguts hin und wieder Schreibfehler.
    Winzige Unterschiede sichtbar machen
    "Die Zellen teilen sich, teilen sich, kopieren die Erbinformation und machen Tippfehler. Und ab dem Zeitpunkt, wo das auseinanderbricht, unterscheiden sich die beiden. In kleinen Punkten, ab und zu ist ein Buchstabe in den drei Milliarden falsch."
    Mit einem genetischen Fingerabdruck lassen sich diese winzigen Schreibfehler nicht aufspüren. Dafür ist die Methode nicht fein genug. Beim genetischen Fingerabdruck wird nur die Länge von verschiedenen, klar definierten Abschnitten im Erbgut gemessen, und die sind bei Zwillingen gleich. Doch die Sequenziertechnik hat sich rasant weiterentwickelt: Mittlerweile können Genetiker relativ problemlos das komplette Erbgut sequenzieren – Buchstabe für Buchstabe. Damit müsste man auch Zwillinge voneinander unterscheiden können, dachten die Ebersberger – und haben das Ganze ausprobiert.
    "Wir haben Freiwillige rekrutiert: Das waren Brüder. Einer davon hat ein Kind - und die Mutter, die passende, dazu. Wir haben von allen dann Proben genommen. Die Brüder waren dazu bereit, eine Spermaprobe abzugeben, weil man da die höchste Wahrscheinlichkeit hat. Weil das ja die Erbsubstanz ist, die weitergegeben wird zur Befruchtung."
    Das Sequenzieren hat nur zwei Wochen gedauert.
    "Und dann haben wir erst mal die Brüder verglichen, wo treten Unterschiede auf, wo finden wir solche Tippfehler. Die haben wir gefunden, das sind vielleicht ein paar Dutzend gewesen. Und wir haben dann genau fünf Stück von einem, dem Vater, abgleichen können mit dem Kind, aber eben nicht mit dem Onkel des Kindes und nicht mit der Kindsmutter. Und damit war klar: Die beiden gehören zusammen."
    Im Erbgut des Kindes gab es also gerade einmal fünf Tippfehler, die es nur von seinem Vater geerbt haben konnte. Und die haben die Forscher aufgespürt.
    "Wir haben eigentlich zwei Probleme gelöst: Wir haben die beiden Brüder unterscheiden können, was bislang nicht möglich war, und noch eins draufgesetzt und sogar vorhergesagt, wer der Vater ist des Kindes."
    Der Test funktioniert auch mit einer Speichelprobe. Im Prinzip kann jedes Forensikinstitut das Verfahren auch selber anwenden - vorausgesetzt, sie haben die richtigen Sequenzierer und das Fachwissen dazu.
    Die Zeiten, in denen sich Zwillinge gegenseitig aus der Patsche helfen konnten, dürften jedenfalls vorbei sein.