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Genmanipulation am Embryo
Tabubruch ohne Aufschrei

Menschliche Embryonen dürfen genetisch verändert werden. Das erlaubte die britische Embryologie-Behörde kürzlich. Die Forschung soll unter anderem die Erfolgsquote bei künstlicher Befruchtung erhöhen. In der Öffentlichkeit blieb eine Diskussion über den Eingriff in die Keimbahn bisher aus, aber unter Wissenschaftler werden ethische Bedenken laut.

Von Michael Lange | 19.02.2016
    Menschlicher Embryo mit vier Zellen (künstlerische Darstellung)
    Menschlicher Embryo mit vier Zellen (künstlerische Darstellung) (imago/stock&people/Science Photo Library)
    Am Londoner Francis Crick Institute dürfen nun erstmals in Europa menschliche Embryonen genetisch verändert werden – mit dem Ziel, den Erfolg bei der künstlichen Befruchtung zu verbessern. Dabei kommt eine Technik zum Einsatz, die auch in deutschen Labors zum Alltag gehört.
    "Hier ein 1,5 Milliliter Eppi."
    Jana Block, Masterstudentin an der Universität Freiburg, hat bei einem Praktikum gelernt, wie das Gentechnik-Verfahren CRISPR-Cas funktioniert.
    "... dann brauchen wir noch unser Cas 9-Plasmid. Und dann kann man auch gleich in die Zellkultur gehen."
    Einfach wie Textverarbeitung im Computer verändert Crispr-Cas das Erbgut einzelner Zellen. Wissenschaftler können damit das Erbmolekül DNA umschreiben oder editieren, erläutert der Leiter des Instituts Toni Cathomen.
    "Da hat sich innerhalb von zwei Jahren so viel getan. Man muss da wirklich von einer CRISPR-Revolution sprechen. Weil sich die Technologie so schnell verbreitet hat und jedes Labor sie einsetzen kann, und genetische Veränderungen in vielen verschiedenen Organismen herbeiführen kann."
    Toni Cathomen arbeitet mit Körperzellen des Menschen. Seine Arbeitsgruppe manipuliert Blutzellen, um neue Gentherapien gegen die Immunschwächekrankheit Aids zu entwickeln. Was bei Blut- und Körperzellen hilfreich und unumstritten ist, können Forscher aber auch zur Manipulation von Eizellen oder Embryonen einsetzen. Dadurch würden nicht nur ein paar Zellen, sondern ein Mensch an sich würde genetisch verändert – und diese Manipulation könnte weiter vererbt werden. Das wäre eine so genannte Keimbahntherapie.
    "Ich glaube und plädiere auch dafür, dass wir uns jetzt die Zeit nehmen und sagen: Keimbahntherapie und alles, was in die Richtung Veränderung des menschlichen Genoms geht, was dann auch an die Nachkommen weitergegeben werden kann, das ist verboten oder soll verboten werden, bis die gesellschaftliche Debatte geführt worden ist, bis wir wissen: Wo setzen wir die Grenze?"
    Experten können informieren, diskutieren und Vorschläge machen. Allein entscheiden sollten sie nicht, betont der Freiburger Genforscher.
    "Ich glaube, da braucht es eine breite gesellschaftliche Diskussion, eine politische Diskussion. Denn nicht alles, was technisch machbar ist, sollte auch tatsächlich gemacht werden."
    Auch Wissenschaftler fordern eine breite Debatte
    Viele Forscher in Deutschland teilen diese Ansicht, auch die Französin Emmanuelle Charpentier. Sie hat die Crispr-Cas-Technologie mit entwickelt und gilt als Kandidatin für einen der nächsten Medizin-Nobelpreise. Kürzlich wurde sie zur Direktorin am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin ernannt.
    "Ich persönlich finde, dass Keimzellen des Menschen nicht manipuliert werden sollten – und ich bin froh, dass es viele Länder gibt, die sich darauf verständigt haben, dass das genetische Material der Menschheit nicht verändert werden sollte."
    Ein grundsätzliches Verbot der Genmanipulation am Menschen wie in Deutschland existiert aber nicht überall in Europa. In Großbritannien entscheidet die Zulassungsbehörde im Einzelfall. Sie konnte das Projekt des Londoner Francis Crick Institutes genehmigen – ohne politische Debatte.
    Demnächst werden in London Embryonen mit Crispr-Cas gezielt verändert werden, um die Embryonalentwicklung des Menschen besser zu verstehen. Dadurch soll langfristig die niedrige Erfolgsrate der künstlichen Befruchtung zu verbessert werden.
    Es gehe nicht darum, einen genetisch veränderten Menschen zu schaffen oder ein so genanntes Designer-Baby, betonen die Forscher. Aber durch die Zulassung in Großbritannien werden Fakten geschaffen. Dabei hatte eine Diskussion unter Wissenschaftlern gerade erst begonnen. Führende Experten hatten in Fachzeitschriften ein weltweites Moratorium vorgeschlagen – eine Art Denkpause. Erst wenn mögliche Risiken besser untersucht seien, sollte die neue Technik bei menschlichen Eizellen oder Embryonen zum Einsatz kommen, so der Genforscher George Church von der Harvard Medical School in Boston.
    "Mir kommt es so vor, als sei das Moratorium schon in Kraft. Eine neue medizinische Technologie gilt ja grundsätzlich als bedenklich, bevor ihre Unbedenklichkeit bewiesen ist. Das sollte hier nicht anders sein. Bevor es zur Keimtherapie kommt, müssen wir Erfahrungen sammeln bei Gentherapien mit Körperzellen."
    Moratorium ja, Verbot nein
    Bei einer Diskussionsrunde in den USA fand die Idee eines Moratoriums viel Zuspruch. Dennoch wollten die Forscher, die sich dort zu Wort meldeten, nicht grundsätzlich oder dauerhaft auf die umstrittene Forschung verzichten.
    Guoping Feng vom Massachusetts Institute of Technology M.I.T. nutzt die Crispr-Cas Technik bei Experimenten mit Affen. Er erforscht Nervenkrankheiten und wünscht sich, dass seine Forschung bald auf den Menschen übertragen wird.
    "Meiner persönlichen Meinung nach sollte Genmanipulation am menschlichen Embryo in begrenztem Umfang zugelassen werden. Allerdings nur bei schweren Krankheiten, die sich anders nicht heilen lassen."
    Die weltweite Konkurrenz schläft nicht. Chinesische Forscher hatten 2015 bereits die ersten menschlichen Embryonen gentechnisch verändert. Ihr Versuch, nicht überlebensfähige Embryonen zu manipulieren, schlug fehl, aber weitere Versuche sind geplant – oder sie haben hinter verschlossenen Türen bereits begonnen. An der internationalen Diskussion beteiligen sich die Forscher aus China nicht. Sie forschen weiter.
    Ein Sturm der Entrüstung bleibt unterdessen aus. Die von Wissenschaftlern vielfach geforderte öffentliche Debatte über dieses Thema findet nicht statt.