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Genom als Fremdsprache

"Heute lernen wir die Sprache, in der Gott das Lebendige erschaffen hat", formulierte pathetisch US-Präsident Bill Clinton als am 26. Juni 2000 die "Arbeitsversion" des menschlichen Erbguts im Weißen Haus vorgestellt wurde. Das "Buch des Lebens" versprach ein neues Verständnis der Biologie und eine Revolution für die Medizin. Zehn Jahre danach müsste nach den Versprechungen von damals eigentlich das Zeitalter des Genoms begonnen haben. Aber immer noch finden die Genetiker im Datenwust mehr Fragen als Antworten.

Von Michael Lange | 20.06.2010
    A T A G C A T G A T C A T A T C C C A G C A T….

    "Today we are learning the language…"

    "Heute lernen wir die Sprache."

    Lelwa ellaw emchan erstcke awlle wleal hancem…

    "… the language in which god created life."

    "Die Sprache, in der Gott das Leben schuf."

    Lelwa ellaw emchan erstckeu mire indchmem mellov ellawsch…


    "Without a doubt this is the most important, most wondrous map ever produced by human kind."

    "Ohne Zweifel ist dies die wichtigste, wundersamste Landkarte, die die Menschheit jemals hervorgebracht hat."

    Am 26. Juni 2000 im East Room des Weißen Hauses gab US-Präsident Bill Clinton die Entzifferung des menschlichen Genoms bekannt.

    Heute lernen wir die Sprache, in der Gott das Leben geschaffen hat. Und Clinton sagte weiter: Die Wissenschaft werde die Diagnose, Vorbeugung und Behandlung der meisten wenn nicht aller menschlichen Krankheiten revolutionieren. Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer, Diabetes, Krebs könnten in kommenden Jahren bekämpft und vielleicht geheilt werden. … Und Clinton wörtlich:

    "Conceivable that our children´s children will know the word cancer only as a constellation of stars."

    "Es ist vorstellbar, dass die Kinder unserer Kinder das Wort 'Krebs' nur noch als Sternbild kennen werden.


    Das Buch des Lebens. Der Bauplan des Menschen. Eine Landkarte der Menschheit. Entschlüsselt, entziffert, decodiert, gelesen, errechnet. Alle Welt suchte nach Worten für das Unaussprechliche.

    Genom sei der Herr

    Schrieb die Süddeutsche Zeitung. Und die Welt:

    Im Prinzip ist das Leben ein Rechenprozess

    Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, verzichtete auf Interpretationen.

    A T A G C A T G A T C A T T C ….

    Der Code war entziffert. Die Biologie des Menschen lag bereit zur Analyse. Nach diesem Plan könnten - theoretisch - Menschen neu geschaffen werden.

    W A L L E W A L L E M A N C H E S T R E C K E…

    Über drei Milliarden genetische Buchstaben hatten die Forscher den Zellen entrissen und in ihren Computern gespeichert. Immer wieder die gleichen Buchstaben: Die Basen Adenin, A, Thymin, T, Guanin, G, und Cytosin, C, aus dem Innern des Erbmoleküls DNA. Diese Informationen sind der Code zum Aufbau der wichtigsten Biomoleküle: Der Proteine. Dabei kommt es auf die Reihenfolge der Basen an. Wissenschaftler nennen sie "Sequenz". Diese Reihenfolge lag nun vor, wenn auch noch fehlerhaft, voller Lücken – und weitgehend unverständlich.

    D A S K U M M Z W I C K E W A S S F L I E….

    Zur Rechten des Präsidenten stand, um etwas größer zu wirken auf einem kleinen Bänkchen: Craig Venter. Der Wissenschaftler und Biotechnologie-Unternehmer hatte das große öffentliche Human-Genom-Projekt verlassen und ein eigenes Genom-Projekt gegründet.

    "Diese Arbeit hat eine gewaltige Auswirkung für die Behandlung von Krankheiten. Sie sagt uns, wer wir sind und wie wir als Art entstanden sind."

    Mit der Feierstunde beim US-Präsidenten wurde ein Wettrennen zwischen öffentlich geförderter Forschung und Privatwirtschaft beendet. Die von Craig Venter geführte Firma Celera Genomics hatte in weniger als einem Jahr das gleiche geschafft wie die führenden Genom-Forschungsinstitute der Welt in zehn Jahren. Bereits im April 2000 hatte Craig Venter den Abschluss seiner Genom-Entzifferung mitgeteilt. Nun legten beide Konkurrenten 90 Prozent des menschlichen Erbguts vor und erklärten das menschliche Genom für entziffert. Dabei herrschte in den Computern der Wissenschaftler noch ein undurchschaubares Datenchaos. John Sulston, einer der führenden Genomforscher und späterer Nobelpreisträger, hielt sich am 26. Juni 2000 abseits und übte Selbstkritik:

    "Wir haben einfach alles zusammengestellt, was wir hatten, dann haben wir es hübsch verpackt und gesagt: Wir sind fertig. Ja, wir sind ganz einfach eine Bande von Schwindlern."

    Das wollte damals jedoch keiner hören. Der 26. Juni 2000 war der Tag des Feierns und Schulterklopfens. Nur Craig Venter wies auf etwas hin, das später für viel Diskussionsstoff sorgen sollte.

    "Die kleine Zahl von Genen stärkt die Vorstellung, dass wir nicht fest verdrahtet sind."

    An dem Tag, an dem alle Welt von der Macht der Gene sprach, erinnerte Craig Venter an die Macht der Umwelt.

    "Wir wissen jetzt, dass die Umwelt, die auf unsere Biologie einwirkt, uns ebenso prägt wie unser genetischer Code."

    Gene sind zusammenhängende Abschnitte im Erbgut: die genetischen Informationseinheiten. Ein Gen trägt die Information für ein Protein, so lautete seit den 1960er Jahren das molekulare Dogma der Biologie. Nur so – Gen für Gen – glaubte man - ließen sich Wörter und Sätze im Erbgut lesen und verstehen.

    Walle, walle, manche Strecke, dass zum Zwecke Wasser - Ende

    Diese klaren, lesbaren Abschnitte im Erbgut – die einzelnen Gene - erklärten aber nur einen kleinen Teil der DNA Erbinformation. Der große Rest blieb unverständlich. Anton Enright vom Europäischen Bioinformatik-Institut sucht nach Information zwischen den Genen.
    "Nach alt hergebrachter Ansicht sollten Menschen als komplexe Organismen schrecklich viele Gene besitzen. Immerhin sehen wir uns als Herrscher des Planeten. Die Lehrmeinung lautete: Wir brauchen viele Gene mit der Information für viele Proteine. Bevor das Genom entziffert war, schätzten die meisten Experten die Zahl der Gene auf 40.000 bis 80.000. Einige tippten sogar auf über 100.000 Gene."

    Das Europäische Bioinformatik-Institut steht auf einem abgelegenen Campus in Südostengland zwischen Kuhweiden und kleinen Dörfern, etwa 20 Kilometer entfernt von der Universitätsstadt Cambridge. In den 90er-Jahren wurde hier mit dem Geld der Wellcome-Stiftung Europas modernste Anlage zur Erforschung des Genoms aus dem Boden gestampft. Bis heute steht hier das menschliche Erbgut im Mittelpunkt der Forschung. Aber immer mehr Forscher beschäftigen sich nicht mit den Genen selbst. Sie suchen nach Sinn zwischen den Genen, im Niemandsland der DNA außerhalb der lesbaren Erbinformation. Diese Bereiche machen den größten Teil des menschlichen Erbmaterials aus. Vielfach handelt es sich um Informationsfolgen ohne Punkt und Komma. Lange Zeit galten sie als sinnloser DNA-Müll, übrig geblieben aus vier Milliarden Jahren Evolution. Immer wieder das gleiche, scheinbar sinnlose Geplapper.

    Wallewallwallwallwallstreckstreckstrechwallewalle Wallewallwallwallwallstreckstreckstrechwallewalle…

    Enright:

    "Die Leute haben nicht erkannt, dass in den Lücken zwischen den Genen eine Menge los ist. Vielleicht mehr als in den Genen, die herumliegen und nicht viel tun. Für mich ist das der spannendste Bereich in der Genom-Forschung. Ich suche nach so genannten Mikro-RNAs und die sitzen meist in diesen Lücken zwischen den Genen."

    Die Bedeutung der kleinen RNA-Schnipsel wurde erst in den letzten Jahren entdeckt, zunächst bei Pflanzen und Fadenwürmern. Doch mittlerweile steht fest: Auch im menschlichen Erbgut spielen Mikro-RNAs eine Schlüsselrolle.

    Walle walle walle walle walle walle str walle walle walle walle walle

    Enright:

    "RNAs sind sehr klein. Es gibt keinen inneren Code, den man knacken könnte. Meist falten sie sich zu komplizierten Figuren, die wir nicht vorhersagen können. Und weil sie so winzig sind, sind sie kaum zu finden, wie eine Stecknadel im Heuhaufen. Das Genom ist riesig und diese Dinger extrem klein."

    Die winzigen Mikro-RNAs machen nur einen kleinen Teil des ehemaligen Mülls aus. Was der große Rest zu bedeuten hat –keiner weiß es. Anton Enright hält zwei Erklärungen für plausibel.

    "Das Genom ist ständig in Aktion. Und in diesen anscheinend sinnlosen Regionen könnten ständig neue Gene entstehen. Vielleicht verstecken sich dort aber auch funktionierende Gene, die ganz anders aufgebaut sind und anders funktionieren, als wir denken. Vor zehn Jahren kannte man nur Gene mit Bauplänen für Proteine. In den letzten Jahren haben wir entdeckt, dass Gene auch anders aussehen können. Viele Gene neuer Art haben wir wahrscheinlich noch gar nicht gefunden."

    Gleich nebenan, neben dem Europäischen Bioinformatik-Institut, arbeitet das größte Genom-Zentrum Europas: das Sanger-Institut der Wellcome-Stiftung. Wer sehen will, wo und wie dort ständig neue DNA-Sequenzen gelesen werden, muss durch zwei verwinkelte Gebäude hindurch und steht schließlich in einem Raum, nicht größer als ein Klassenzimmer. Zwei Gänge, vier Reihen mit mehreren kühlschrankgroßen DNA-Sequenzier-Maschinen. Nur ein Laborant bei der Arbeit. Er kontrolliert die Anzeigen auf den Flachbild-Monitoren. Je ein Monitor steht vor jedem Sequenzier-Automaten. Don Powell vom Sanger-Institute deutet auf das Farbenspiel auf dem Bildschirm.

    "Rot bedeutet T, C ist blau, G ist gelb und A grün. Das ist der Code."

    T C G A G A T T C A C G G A A T T C A C G G…

    "Hier laufen 96 Proben parallel. Dieses Bild hier zeigt in jeder Reihe eine Probe und jedes farbige Feld steht für eine Base der DNA"

    Das Buch des Lebens als abstraktes Computer-Gemälde aus farbigen Punkten. Die Genome, die hier untersucht würden, gehörten zum "1000-Genome-Projekt", erläutert Paul Flicek vom Sanger-Institut.

    "Das Wort 'Tausend' wurde gewissermaßen als Redensart gewählt – so wie bei 'Ein Bild sagt mehr als tausend Worte' oder ähnlichen Formulierungen."

    Das nahezu vollständige Erbgut eines Menschen, an dessen Entzifferung das Human-Genom-Projekt zehn Jahre arbeitete, kann ein moderner Sequenzier-Automat in zwei Wochen entziffern. Die ersten 1000 menschlichen Genome befinden sich bereits auf den Festplatten des Sanger-Instituts. Die Automaten haben längst das zweite Tausend in Angriff genommen, während sich die Wissenschaftler der Analyse der ersten Genome widmen. Flicek:

    "Bis zum 1000-Genome-Projekt hatten wir keine Ahnung, wie sich das Genom von Mensch zu Mensch unterscheidet. Erst seit wir uns das Erbgut vieler Menschen anschauen, erfahren wir etwas über das Ausmaß und die Orte der Unterschiede."

    Lesen bildet. Wer viel liest versteht irgendwann die Sprache, in der der Text geschrieben steht, so die Hoffnung. Und wer die Sprache beherrscht, kann sie irgendwann nutzen. Um selbst zu schreiben und Neues zu schaffen.

    Walle walle manche Strecke, dass zum Zwecke Wasser fließe.
    Walle walle manche Strecke, dass zum Zwecke Wasser fließe.
    Walle walle manche Strecke…..


    Der Eifer, mit dem die großen Genom-Zentren immer schneller, immer mehr menschliche Genome entziffern, trifft in der Wissenschaft nicht nur auf Zustimmung. Schließlich wird viel Geld für diese Form der Forschung verbraucht.

    "Dadurch, dass man einzelne Individuen, also einzelne Menschen, untersucht hat, die ja in der Regel gesund waren, konnte man auch nicht Aufschlüsse über Krankheiten davon erwarten."

    Hans-Hilger Ropers von Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin hält manche Anstrengung der Genom-Forschung für nutzlos, den Aufwand für übertrieben. Medizinisch verwertbare Erkenntnisse erwartet er vom 1000-Genome-Projekt nicht.

    "Das Ergebnis einer solchen Untersuchung wird entscheidend davon abhängen, ob sich die Untersuchten klinisch unterscheiden. Wenn sie A gesund sind und B bezüglich anderer Merkmale nicht gut untersucht sind, dann kommt dabei gar nichts heraus, jedenfalls nicht im Sinne der Fragestellung."

    In seiner eigenen Forschung konzentriert sich Hans-Hilger Ropers auf konkrete Gen-Defekte, die schwere erbliche Krankheiten auslösen. 3500 solcher meist seltenen Krankheiten haben Forscher bislang ausfindig gemacht. Gentests liefern hier bereits heute exakte, verlässliche Ergebnisse. Ganz anders sei das bei Krankheiten, bei denen die Genetik nicht die Hauptrolle spielt, so Hans-Hilger Ropers.

    "Die komplexen Krankheiten, das sind diese Volkskrankheiten wie hoher Blutdruck, Herz- Kreislaufkrankheiten oder Krebs, aber auch Schizophrenie oder Zuckerkrankheit, das sind sehr komplexe genetische Krankheiten mit einem hohen Anteil nicht genetischer Faktoren. Es versteht sich von selbst, wenn viele genetische Faktoren und viele Umweltfaktoren beteiligt sind, dass die Aufklärung der genetischen Ursachen in einer solchen Situation außerordentlich schwierig ist. Und das ist dann auch herausgekommen. In den letzten fünfzehn Jahren hat sich die Genom-Forschung daran die Zähne ausgebissen."

    Als das erste Gen mit Diabetes II in Zusammenhang gebracht werden konnte, war das ein großer Erfolg für die Wissenschaft. Das zweite und das dritte Gen wurden noch wohlwollend zur Kenntnis genommen. Gen Nummer 12 sorgte nur noch für Achselzucken, und mit jedem neuentdeckten Gen sinkt die Bedeutung aller Gene, die bisher gefunden wurden, weiter. Das gleiche gilt für Bluthochdruck, Asthma oder Schizophrenie. Die meisten dieser Erbanlagen erhöhen das Risiko zu erkranken nur geringfügig. Tests oder sogenannte Genprofile, die im Internet angeboten würden, seien deshalb nutzlos, warnt Hans-Hilger Ropers.

    "Das sind alles diese komplexen genetischen Krankheiten. Da ist ein bisschen Genetik dabei, viel Umwelt und vieles, was wir nicht wissen. Dafür einen Test anzubieten, und das machen zum großen Teil diese Firmen, das halte ich für kriminell. Das ist Geldschneiderei und darauf sollte man nicht hereinfallen."

    Zum Verständnis der menschlichen Biologie leistet die Genom-Forschung seit zehn Jahren wichtige Beiträge, aber Bill Clinton und die verantwortlichen Wissenschaftler hatten mehr versprochen. Unter anderem eine Revolution der Medizin. Der praktische Nutzen der Genom-Forschung für die Gesundheit der Menschen ist allerdings nicht leicht auszumachen.

    "Es geht, glaube ich, viel unmerklicher vor sich, als der eine oder andere sich das erhoffen würde."

    Norbert Paul beschäftigt sich als Professor für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Universität Mainz mit der Genom-Forschung.

    "Da war in der Anfangsphase schon ein ungebremster Enthusiasmus und eine Konzentration auf sehr singuläre Laborbefunde oder einfache Erklärungsmodelle, und das hat sich, glaube ich, nachhaltig gewandelt. Gerade Wissenschaftlern, die seit längerer Zeit in der Genom-Forschung unterwegs sind, wird die zunehmende Komplexität klar, die Relativität des Wissens wird immer stärker deutlich und damit auch die Anforderung, das öffentlich anders zu erklären, was man da macht."

    Zehn Jahre nach der Entzifferung des menschlichen Erbguts verändert sich unser Bild vom Genom immer noch. Ständig zwingen neue Erkenntnisse die Forscher dazu, lieb gewonnene Lehren über den Haufen zu werfen. Paul:

    "Das Genom ist längst nicht mehr als statische Einheit zu betrachten, sondern wir wissen, dass das Genom dynamisch ist, sich anpasst. Es gibt Faktoren um das Genom herum – die so genannte Epigenetik – die wesentlich zu dieser Dynamik beitragen. Und je mehr wir darüber wissen, desto mehr verschwimmt diese Kausalität, die strenge Beziehung zwischen Ursache und Wirkung. Wir verstehen das menschliche Leben besser in seiner Komplexität, aber das bedeutet noch nicht, dass genetische Information den Umgang mit Gesundheitsproblemen handhabbarer macht."

    Alles begann mit der Entdeckung der DNA-Doppelhelix im Jahr 1953. Danach stand 50 Jahre lang der genetische Code im Fokus der Biologie. Mit der vollständigen Entzifferung des Menschen-Genoms erreichte diese Entwicklung ihren Höhepunkt. Von da an begann die Entmachtung der genetischen Information.

    "Ich denke, dass komplexe Erkrankungen wie Diabetes II oder auch Herzkreislauf-Erkrankungen im Wesentlichen durch Epigenetik verursacht werden."

    Anna Starzinski-Powitz arbeitet als Genetik-Professorin an der Universität Frankfurt am Main. Seit einiger Zeit interessiert sie sich zunehmend für Epigenetik: Die Steuerungsmechanismen im und um das Erbgut.

    "Ich finde die Epigenetik auch deswegen spannend, weil sie viele Lücken schließt in unseren Beobachtungen, die wir nicht erklären konnten, die nicht allein durch DNA-Sequenz erklärbar waren."

    Die Epigenetik entscheidet darüber, welche Bereiche des Genoms aktiv sind. Ein bekannter Faktor sind die kleinen RNAs. Ihre Baupläne sind wie die Gene im Erbmolekül DNA gespeichert. Sie tragen Informationen über die Gen-Aktivität.

    In reichem vollem Schwalle! In reichem vollem Schwalle!

    Ein anderer epigenetischer Faktor sind die Methylgruppen. Das sind chemische Anhängsel, kleine Schalter am Erbmolekül DNA. Eine Art Aktivitäts-Fine-Tuning, dachte man zunächst – wie bei der Änderung von Lautstärke oder Betonung.

    Walle, Walle manche Strecke

    Starzinski-Powitz:

    "Finetuning – das hört sich so an, als ob alles da wäre und dann wird nur noch ein wenig am Schräubchen gedreht. Aber die Epigenetik macht schon grundlegende Sachen: Das ist mehr als Finetuning. Das ist An oder Aus. Und wenn bestimmte Gene an sind, kann ein Unglück passieren, und wenn bestimmte Gene aus sind, kann ein Unglück passieren."

    Walle! Walle! Manche... Wasser fließe zu dem Bade

    Jede Körperzelle besitzt das gleiche Genom – bis auf einige wenige Mutationen. Die Epigenetik jedoch unterscheidet sich deutlich von Zelle zu Zelle. Starzinski-Bowies:

    "Nicht in jeder Zelle sind alle Gene aktiv. Das wäre eine sehr große Verschwendung im Organismus. Das heißt: Der Organismus muss in der Lage sein, in Muskelzellen nur die Gene anzuschalten, die er für die Muskelfunktion braucht, im Gehirn die Zellen, die er für die Hirnfunktion braucht und so weiter. Und dieses Anschalten und Abschalten von Genen, das wird letzten Endes durch die Epigenetik gemacht."

    Zur Epigenetik gehört auch die Verpackung. Sie bestimmt unter anderem, welche Bereiche des Erbmoleküls nebeneinander liegen und gemeinsam aktiv werden.

    "Wenn Sie die DNA aus einer Zelle herausnehmen, dann wird der DNA-Strang so lang, dass Sie ihn locker um den Bauch eines fülligen Menschen wickeln können. Wenn man sich vorstellt, wie klein eine Zelle ist, dann hat die Zelle ein großes logistisches Problem, diese DNA zu verpacken."

    Wäre die Zelle so groß wie ein Fußball, würde der DNA-Faden bis zum Mond reichen. Würde der lange Faden in den Fußball hinein geknäuelt, kämen Bereiche des Fadens nebeneinander zu liegen, die eigentlich weit voneinander entfernt sind. Starzinski-Bowies:

    "Man muss sich das so vorstellen: Sie haben einen Wollfaden, den Sie immer wieder zwirbeln und immer weiter zusammen packen, und irgendwann haben Sie ein ganz kleines Päckchen."

    Die wichtigsten DNA-Verpacker sind kugelige Proteine: so genannte Histone. Sie entscheiden darüber, welche Teile der DNA frei zugänglich sind und somit aktivierbar - und welche Bereiche versteckt liegen und inaktiv bleiben. Wenn eine Gen-Variante, die das Risiko für Diabetes, Bluthochdruck oder Übergewicht erhöht, so verpackt ist, dass sie nicht aktiviert wird, bleibt sie wirkungslos. Aber die Verpackung kann sich ändern: Durch Hungersnöte, Stress, Übergewicht. Und dann ändert sich indirekt auch der Sinn der Erbinformation, wie bei einer neuen Betonung.

    Walle walle manche Strecke, dass zum Zwecke Wasser fließe.
    Dass zum Zwecke Wasser fließe. Dass zum Zwecke Wasser fließe.


    Viele neue Forschungsergebnisse belegen die Wirkung der Epigenetik. Wie sie funktioniert, ist jedoch erst in Ansätzen bekannt. Eines steht aber bereits fest: Die Genom-Entzifferung kann nur einen Teil der erhofften Informationen liefern. Die Macht des Erbguts ist begrenzt. Eine gute Nachricht, meint Anna Starzinski-Powitz. Wir sind nicht die Sklaven unserer Gene.

    "Ich glaube, dass man durch eine positive Grundhaltung durchaus sein Epigenom beeinflussen kann. Da bin ich überzeugt von."

    Das Genom alleine macht keinen Menschen. So lassen sich die ersten zehn Jahre Genom-Forschung zusammenfassen. Die kodierte Erbinformation kann die Biologie des Menschen nicht vollständig erklären. Einen Organismus aus künstlicher Erbinformation zu schaffen, schien vor diesem Hintergrund eine Utopie. Ein Wissenschaftler jagte ihr dennoch nach und arbeitete konsequent an ihrer Verwirklichung.

    A T A G G C A T G A A C...

    "Was ich nicht bauen kann, kann ich nicht verstehen."

    Diesen Satz des Physikers Richard Feynman zitiert Craig Venter, als er am 20. Mai 2010 erneut vor die Öffentlichkeit der Welt tritt. Er hat ihn sogar in das Erbgut eines Bakteriums eingraviert - ein Buchstabentext chiffriert als Erbinformation.

    "Wir sind heute hier, um die Existenz der ersten synthetischen Zelle bekannt zu geben. Aus einem digitalen Code im Computer und vier Flaschen mit Chemikalien schufen wir das vollständige Erbmolekül eines Bakteriums. Wir haben es in eine Empfängerzelle verpflanzt und diese so in eine neue Bakterienart verwandelt."

    Ein Team um Craig Venter hat zehn Jahre nach der Entzifferung des menschlichen Bauplans ein wesentlich kleineres Genom selbst zusammen gebaut und zum Leben erweckt. Ein natürliches Genom diente den Forschern als Vorlage. Es stammte von einem Bakterium namens Mycoplasma mycoides, das bei Ziegen, Schafen und Rindern eine Lungenerkrankung auslöst. Dieses Bakterien-Genom hatten die Forscher entziffert und in ihren Computern gespeichert: Insgesamt eine Million genetische Buchstaben.

    "Das ist die erste sich selbst fortpflanzende Art auf unserem Planeten, die von einem Computer abstammt. "

    Nach dem Plan aus dem Computer haben die Forscher die Bausteine des Erbmoleküls zusammen gebaut. Kleine Abschnitte erzeugten sie durch chemische Synthese im Labor. Mit Hilfe von Hefezellen setzen sie dann die kleinen Abschnitte zu größeren Abschnitten zusammen und schließlich zum vollständigen Bakterien-Chromosom. Dieses künstliche Erbmolekül schleusten sie in ein anderes Bakterium, und das menschgemachte Erbgut übernahm das Kommando. In einem Interview mit der Wissenschaftszeitschrift "Science" erklärte Craig Venter.

    "Es ist schon erstaunlich. Wenn man die DNA eines Lebewesens austauscht und eine neue Software installiert, dann verschwindet das ursprüngliche Lebewesen und ein neues entsteht – als Ergebnis eines Informationsaustausches. Das beweist: Der genetische Code ist unsere Software."

    Immer neue Güsse bringt er schnell herein,
    Ach! und hundert Flüsse stürzen auf mich ein.


    Craig Venter verspricht künstliche Mikroben, die CO2 aus der Luft filtern, Öl produzieren oder abbauen, oder Impfstoffe produzieren. Viele Biologen halten das für verfrüht. Bis Wissenschaftler nach eigenen Plänen Leben am Reißbrett konstruieren können, sind noch viele Hürden zu überwinden, meint Christina Smolke, Bio-Ingenieurin an der Stanford-Universität.

    "Was wir jetzt beobachten, die Forschung im Labor von Craig Venter, beweist, dass die Bautechnik zur Konstruktion von Lebewesen bereit steht. Aber es gibt nach wie vor eine große Kluft zwischen dem Bauen und dem Gestalten von Lebewesen."

    Craig Venter hat etwas gebaut, das er nicht versteht. Schon deshalb sei er kein "Schöpfer" sagt Christoph Rehmann, Professor für Theorie und Ethik der Biowissenschaften an der Universität Lübeck.

    "Diese Assoziation zwischen einem Biotechnologen und Gott, die ist sehr weit hergeholt. Gott mag, wie wir alle wissen, keinen langen weißen Bart haben, aber er hat auch keinen kurzen weißen Bart, wie Craig Venter ihn hat."

    Der künstliche Mensch ist auch durch die neuen Forschungen nicht näher gerückt. Das Erbgut eines Menschen ist nicht nur 6000 Mal größer als das Genom einfacher Bakterien, es ist auch wesentlich komplexer. Die Epigenetik spielt in höheren Organismen wie Mäusen und Menschen eine viel größere Rolle als bei Bakterien. Viele Zusammenhänge im Genom und um das Genom sind nach wie vor unverstanden.

    Ach, ich merk es! Wehe! Wehe!
    Hab ich doch das Wort vergessen!
    Ach, das Wort, worauf am Ende
    Er das wird, was er gewesen


    Lelwa ellaw emchan erstcke awlle wleal hancem