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Genozid in Namibia

Als "Genozid" bezeichnet Andreas Mehler, Direktor des Instituts für Afrikakunde in Hamburg, den Feldzug des Deutschen Kaiserreichs gegen die aufständischen Hererors. Der Aufstand habe aber auch die Identität der Hereros neu definiert.

11.01.2004
    Köhler: Wer die Schönheit von ehemals Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania, bewundert oder die Natur von einstmals Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, denkt kaum an die Kolonialisierung, die genau vor 100 Jahren einsetzte. Sie währte scheinbar nur so kurz. Über deren nachhaltige Wirkung möchte ich mit Andreas Mehler, dem Direktor des Instituts für Afrikakunde in Hamburg, sprechen, denn vor 100 Jahren, Herr Mehler, am 11. Januar 1904, fand so etwas, man kann das vielleicht sagen, wie der erste deutsche Völkermord im 20. Jahrhundert statt?

    Mehler: Das kann man wahrscheinlich schon so sagen. Es gab ja eine Reihe von großen Völkermorden in den letzten Jahrzehnten, und der Herero-Genozid ist bestimmt der erste wichtige. Er ist möglicherweise nicht von der Tragweite ganz vergleichbar, aber für das kleine Volk der Herero hat es natürlich genauso dramatische Folgen gehabt wie für andere Völker dann in der Folge.

    Köhler: Die Bevölkerung der Herero leistete zunächst erfolgreich Widerstand gegen die Kolonisatoren. Hat sich die Herero-Nation nach dem Aufstand neu formiert oder vielleicht sogar erst ex negativo daraus heraus bestimmt?

    Mehler: Es ist ganz bestimmt so, dass ein so gravierendes Ereignis auf die kollektive Identität eine große Auswirkung hat. Wenn zuvor Clans eine große Rolle in der Strukturierung gespielt haben, mag es hinterher ein stärkeres Wir-Gefühl gegeben haben als gemeinsame Opfergruppe.

    Köhler: Anders gefragt, hat die Kolonialzeit politische Spuren hinterlassen oder Veränderungen bewirkt, die noch spürbar sind?

    Mehler: Ohne Zweifel gibt es ja immer noch sehr viele sichtbare kolonialen Hinterlassenschaften, darunter einige problematische, dass nun eben auch Grenzen sind oder auch die Prägung von einseitig ausgerichteten Wirtschaftsstrukturen, all das ist ja kolonial geprägt. Nun hatte aber afrikanische Regierungen, auch die Namibische Regierung, die eher kürzer an der Macht ist – das Land ist ja noch nicht so lange unabhängig -, dennoch ausreichend Zeit, daran etwas zu ändern, und einigen wenigen Regierungen ist es auch tatsächlich geglückt. Insofern ist natürlich auch die Frage, wer ist daran schuld, dass diese kolonialen Prägungen immer noch so dominant sind.

    Köhler: Die Organisation Afrikanischer Staaten ist ja sehr divergent. Wir neigen dazu, manchmal aus Unkenntnis von Afrika als Ganzes, als Kontinent zu sprechen. Was sind alte Probleme, was sind neue politische Probleme, die Sie sehen? Stichwort Despotenstaaten, in Kenia Daniel Arap Moi, in Sambia trat Frederik Chiluba ab, so auch Robert Mugabe in Simbabwe. Kurz: Ethnographieren wir, aus Europa heraus gesehen, das Problem ein bisschen?

    Mehler: Nun gut, es ist richtig, Afrika ist in der Tat keine homogene Einheit. Ganz im Gegenteil: Es gibt große Flächenstaaten und Ministaaten. Es gibt ethnisch und religiös weitgehend homogene und auch heterogene Staaten. Es gibt Länder, wo es kein staatliches Monopol der Gewalt mehr gibt, und es gibt eher starke Staaten. Es gibt wirtschaftlich leiblich erfolgreiche Staaten und sogenannte poor performers . Insofern ist es vollkommen richtig zu sagen, das ist nicht alles so homogen, der Kontinent bietet von allem etwas. Oft wäre es sinnvoller, sich die Subregionen gemeinsam anzuschauen. Sie haben Nordafrika genannt, genau das Gleiche gelte auch für Ostafrika, Westafrika und das südliche Afrika, auch Zentralafrika. Das sind eben Räume, wo gemeinsame Dynamiken eine Rolle spielen, und man sollte sich möglicherweise besser auf diese beziehen, das ist leider nicht so. Sie hatten eine Reihe von anderen Fragen angerissen. Also die Frage nach den Diktaturen auf dem Kontinent, es ist ja so, die Zahl der harten Diktaturen hat in den neunziger Jahren dramatisch abgenommen, die der Demokratien auch zugenommen, aber wichtig bleibt vor allem das breite Mittelfeld der sogenannten Hybridregime, die weder das eine noch das andere sind.

    Köhler: An welche Staaten denken Sie da?

    Mehler: Da denkt man an so Staaten wie beispielsweise Burkina Faso oder Gabun, wo die Demokraten in den letzten zehn Jahren müde und zynisch geworden sind, sich ins Privatleben zurückziehen, wo Parteienpluralismus nur der Fassade nach besteht. Hier bedarf es dringend eines zweiten Schubs von Demokratie, und da muss man auch sehen, die jungen Demokratien, ob das jetzt Benin, Mali oder möglicherweise Ghana ist, das sind auch gefährdete Demokratien, sehr oft von der Tendenz zum Staatsverfall gefährdet, und wenn eine Zentralgewalt am Ende nur die Hauptstadt und ein paar Kernzonen kontrolliert, wird es auch schwierig, eine glaubhafte Demokratie für alle aufzuziehen.

    Köhler: Anlass unseres Gesprächs ist dieser hundertjährige Aufstand der Hereros. Leben die alten Konflikte eigentlich noch auf irgendeine Weise nach wie eine Art kollektives Gedächtnis? Könnte man das sagen?

    Mehler: Das ist äußerst gefährlich, das immer so stark zu historisieren. Die Konflikte, die wir heute auf dem Kontinent erleben – und es sind sehr zahlreiche Konflikte -, sind durchaus moderner Natur. Zum Teil werden sie noch mit alten Waffen ausgetragen, und zum Teil ist es natürlich richtig, dass ethnische Identitäten, die auch wieder kolonial geprägt wurden, da aufeinander schlagen, aber die Konfliktgegenstände sind meistens sehr modern. Im Wesentlichen geht es ja um Legitimität und Effizienzdefizite von Regierungen. Das ist immer noch der wichtigste Konfliktgrund, massive Menschenrechtsverletzungen, sehr aktuell, da muss man nicht in die Vergangenheit für gehen. Die Beschneidung der Rechte von Minderheiten, das ist sicher auch eine Sache, die auch schon lange geprägt ist. Soziale Ungerechtigkeiten können auch schon lange wirken, aber auch das ausbleibende Wachstum, also ökonomische Fragen spielen doch auch eine große Rolle, und da ist es sehr oft so, dass man sagen kann, es ist ein sehr moderner Konflikt.

    Köhler: Sie sagen, moderne Konflikte werden mit alten Waffen ausgetragen. Das heißt, dieser Import hat offenbar funktioniert, der Konfliktimport. Kanzler Schröder reist, wenn er nicht krank ist, in den nächsten Tagen nach Kenia, Äthiopien, Südafrika. Was, denken Sie, erwartet die Bevölkerung und mit ihr die Regierungen von dem Besuch des deutschen Regierungschefs?

    Mehler: Nun, man muss sich die Stationen noch mal etwas anschauen. Südafrika, das ist sozusagen immer dabei, dazu müsste man fast nichts sagen, wenn es nicht eben zehn Jahre nach Ende der Apartheid wäre. Also hier wären sicher ein paar Worte fällig. Man wird es honorieren müssen, was Südafrika geleistet hat. Auf der anderen Seite gibt es ja durchaus auch ein paar problematische Dinge, ob es die Aids-Politik über längere Zeit war, und natürlich hat auch das liberale Klima etwas gelitten in den letzten Monaten. Äthiopien, hier geht es ja in erster Linie um den Besuch der neuen African Union. Hier muss man klarmachen, dass Europa an einer handlungsfähigen African Union Interesse hat, die dann mehr ist als ein Club von Staatspräsidenten wie die Vorgängerorganisationen der ORU. Bei Kenia und Ghana, denke ich, wurde es wirklich Zeit, dass man sie hochrangig besucht. Das ist etwas spät geschehen. Man muss hier wirklich würdigen, dass ein sehr später demokratischer Übergang friedlich möglich war und gleichzeitig wenigstens auch in Kenia darauf hinweisen, dass es durchaus Risiken gibt, die darin bestehen, dass das Pro-Demokratie-Bündnis dort nun beginnt, sich selbst zu zerfleischen. Also es gibt da schon einige Worte, die Herr Schröder lassen kann.

    Köhler: Vielen Dank für das Gespräch.