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Gentech-Lebensmittel
Obama-Administration will Kennzeichnungspflicht verhindern

Die Regierung Obama hält gentechnisch veränderte Lebensmittel für unbedenklich. Das sehen allerdings viele US-Bundesstaaten anders, die nun eine verbindliche Kennzeichnungspflicht einführen wollen - in Washington will man das mit einem neuen Gesetz unbedingt verhindern.

Von Heike Wipperfürth | 09.11.2015
    Eine Spritze samt Injektionsnadel mit roter Flüssigkeit steckt in Maiskörnern.
    Auch in Amerika sind gentechnisch veränderte Lebensmittel umstritten. (picture-alliance / dpa / Thomas Eisenhuth)
    Ganz vorne dabei in der Diskussion um Gentech-Lebensmittel ist der kleine Bundesstaat Vermont im Nordosten der USA. Er will am 1. Juli nächsten Jahres für diese eine Kennzeichnungspflicht einführen.
    "Weil es keinen Konsens gibt, ob Gentech-Lebensmittel sicher sind oder nicht, will der Gesetzgeber in Vermont es den Verbrauchern überlassen, ob sie gentechnisch-veränderte Nahrung kaufen wollen oder nicht."
    Sagt Laura Murphy, Juraprofessorin an der Vermont Law School, eine Universität, die sich auf Umweltrecht spezialisiert hat. Murphy berät die Landesregierung von Vermont. Sie weiß: Erst nach der Einführung des Gesetzes kann überhaupt erforscht werden, ob GVO-Produkte neue Allergien auslösen, weil mögliche Auslöser ohne Label gar nicht identifiziert werden können. Oder wie sich der ausgiebige Gebrauch des Pflanzenschutzmittels Glyphosat, das zusammen mit Gentech-Saatgut eingesetzt wird, auf die Gesundheit auswirkt. Dafür ist es höchste Zeit, sagt Tim Wise, der nachhaltige Entwicklungen an der Tufts Universität in Massachusetts erforscht.
    "In Zeiten wissenschaftlicher Unsicherheit muss mehr geforscht werden. Ergebnisse, die auf Gefahren hinweisen, sollten in größerem Rahmen wiederholt werden, aber das passiert bei uns nicht."
    90 Prozent der Amerikaner wollen Kennzeichnungspflicht
    Über 90 Prozent der US-Amerikaner wollen gentechnisch-veränderte Lebensmittel gekennzeichnet sehen. Weil die Zentralregierung in Washington aber untätig bleibt, haben mehr als 30 US-Bundesstaaten Gesetzentwürfe vorgelegt, um Gentech-Lebensmittel zu kennzeichnen oder zu verbieten. Aus gutem Grund, sagt Tim Wise.
    "Die Öffentlichkeit ist äußerst skeptisch aufgrund ihrer Erfahrung mit Konzernen, die die Sicherheit ihrer Produkte verfälscht darstellen und einem Regulierungssystem in Washington, das sie nicht beschützt."
    Anders als die US-Bundesstaaten lehnt die Obama-Administration eine verbindliche Regulierung ab. Sie überlässt es den Biotechfirmen, dafür zu sorgen, dass von ihren Produkten keine Gesundheitsgefährdung ausgeht. Eine unabhängige Überprüfung gibt es nicht. Und die US-Regierung vertritt die Ansicht, gentechnisch veränderte Produkte bräuchten kein Label, weil sie ebenso sicher seien wie konventionelle Lebensmittel.
    Gesetz soll Kennzeichnungspflicht in Bundesstaaten vereiteln
    Washington versucht sogar, die Kennzeichnungspflicht in den Bundesstaaten zu vereiteln: Die Aktion kommt in Form eines Gesetzentwurfes für eine sichere und günstige Lebensmitteletikettierung daher – englisch: Safe and Affordable Labeling Act -, der bereits im US-Repräsentantenhaus verabschiedet wurde. Der Inhalt: National soll eine freiwillige Etikettierung eingeführt werden, die mit dem Verbot für die US Bundesstaaten einhergeht, strengere eigene Regeln einzuführen. Demnächst soll auch der Senat über diesen Gesetzentwurf abstimmen.
    Befürworter strengerer Gentech-Regeln nennen den Gesetzentwurf deshalb auch "The Dark Act" – das "dunkle Gesetz". Tim Wise ist entsetzt.
    "Der Orwell'sche Titel des Gesetzentwurfes tut so, als wolle er die von den Amerikanern verlangte Gentechnik-Kennzeichnung einführen. Das stimmt aber nicht. Er will die Reformen der Bundesstaaten illegal machen und eine freiwillige Kennzeichnung einführen, die nur Nahrung ohne Gentechnik betrifft."
    Der "Dark Act" ist nicht die einzige Waffe, mit der sich die Biotech-Branche wehrt. Ein Gericht in New York will noch in diesem Jahr entscheiden, ob Vermont mit seiner Kennzeichnungspflicht gegen die Meinungsfreiheit der Unternehmen verstößt, wie der mächtige Dachverband der US-Lebensmittelhersteller in einer Klage behauptet.
    Robert Paarlberg überrascht das nicht. Die Biotechbranche wolle ein ähnliches Debakel vermeiden, wie sie es in Europa erlitten habe, sagt der Professor für Politikwissenschaften an der Harvard Universität – und Gegner der Kennzeichnungspflicht.
    "Als Europa eine Kennzeichnungspflicht einführte, haben die Lebensmittelunternehmen die Gentechnik aus ihren Produkten entfernt. Europa hat sehr strenge Kennzeichnungsgesetze, aber gibt den Bürgern erst gar nicht die Chance, zwischen beiden Varianten zu wählen."
    Nächstes Jahr wird die US-Akademie der Wissenschaften eine große Studie zum Streit veröffentlichen und bestimmt für neuen Zündstoff sorgen – auf beiden Seiten.