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Gentechnik am Embryo
CRISPR-Cas-Technik entfacht ethische Debatte um Keimbahntherapie

Das relativ neue Gentechnik-Verfahren CRISPR-Cas wirft ethische Fragen: Kann es akzeptabel sein, auch den Menschen genetisch zu verändern? Dazu liegt nun eine Stellungnahme der internationalen Wissenschaftler-Vereinigung Hinxton Group vor.

Von Michael Lange | 16.09.2015
    Das neue Gentechnik-Verfahren CRISPR-Cas ermöglicht den Eingriff in das menschliche Erbgut, schnell und effizient. Punktgenau können Wissenschaftler damit einzelne Positionen im Erbmolekül DNA ansteuern, schneiden und verändern.
    So lassen sich Stammzellen oder Körperzellen des Menschen einfach reparieren. Die Hinxton Group - eine internationale Vereinigung von Genetikern, Stammzellenforschern, Ethikern und Juristen - äußert sich in einer Stellungnahme geradezu euphorisch.
    "Wir stimmen überein, dass die neue Technik einen großen Wert für die Grundlangenforschung darstellt und einen enormen Nutzen für die Therapie mit somatischen Körperzellen bringen wird. Aber sie ist noch nicht ausreichend entwickelt für die Anwendung in der Fortpflanzungsmedizin."
    Durch die Verknüpfung von CRISPR-Cas und künstlicher Befruchtung ließen sich Erbkrankheiten wie Mukoviszidose oder Muskelschwund heilen, bevor Symptome entstehen. Dazu wäre jedoch eine genetische Veränderung menschlicher Eizellen oder Embryonen nötig. In Deutschland verbietet das Embryonenschutzgesetz solche Experimente, denn das wäre eine Keimbahntherapie.
    In den USA, China und auch einigen Ländern Europas ist die Keimbahntherapie nicht verboten. Sie soll aber laut Stellungnahme der Hinxton Group auch dort nicht stattfinden. Vorerst. Aber die Experten befürworten Experimente mit Embryonen zu Forschungszwecken.
    "Die Bedenken gegen den Einsatz der Genchirurgie in der Fortpflanzungsmedizin sollten nicht die Grundlagenforschung behindern - sofern wissenschaftlich vertretbar."
    Die Hinxton Group weist darauf hin, dass Forschung an menschlichen Embryonen nötig sei, um die embryonale Entwicklung besser zu verstehen. Auch Risiken des Verfahrens CRISPR-Cas müssen intensiver erforscht werden, auch bei Embryonen. Toni Cathomen, Professor am Institut für Zell- und Gentherapie der Universität Freiburg, gehört nicht zur Hinxton Group. Er stimmt aber diesem Teil der Stellungnahme zu:
    "Die Technologie ist da. Sie funktioniert in Primaten. Sie würde höchstwahrscheinlich auch im Menschen funktionieren. Wir müssen die Debatte jetzt führen. Was wollen wir machen? Was dürfen wir machen? Wo setzen wir die Grenze? Was ist ethisch nicht mehr vertretbar?"
    In den von der Hinxton Group befürworteten Experimenten geht es um frühe Embryonalstadien. Die winzigen Embryonen sollen nicht weiter heranreifen und sich in Richtung Mensch entwickeln. Dennoch handelt es sich bei solchen Experimenten um verbrauchende Embryonenforschung. Denn die Embryonen können nicht weiter heranreifen oder müssen getötet werden.
    In China finden solche Experimente bereits statt. Sie können nach Aussage der Wissenschaftler helfen, die CRISPR-Cas-Methode zu verbessern und eine zukünftige Keimbahntherapie sicherer zu machen. Darüber will die Hinxton Group jetzt diskutieren, was nicht nur auf Zustimmung trifft. Boldt:
    "Jetzt zurzeit halte ich die Diskussion tatsächlich für verfrüht und auch für ein wenig frivol."
    An Zellkulturen oder in Tierversuchen lasse sich noch vieles erforschen, bevor Experimente mit menschlichen Embryonen auf der Agenda stünden, gibt der Ethiker und Philosoph Joachim Boldt von der Universität Freiburg zu bedenken:
    "Die Keimbahn des Menschen ist ein Forschungsobjekt, wenn man darin etwas verändert, dann verändert man ... auch die Nachkommen eines Menschen. Und solange wir nicht sehr genau oder so genau wie möglich wissen, was das alles bedeuten kann, sollten wir das nicht tun."
    In Deutschland hat die Diskussion um die neue CRISPR-Cas-Gentechnik gerade erst begonnen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung stellt 3,5 Millionen Euro zur Verfügung, um die gesellschaftlichen Auswirkungen zu erforschen.