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Gentechnische Methode CRISPR-Cas9
Ethische Bedenken bei der "Gen-Schere"

Krankheiten bekämpfen, Epidemien verhindern – das erhoffen sich die Befürworter einer neuen gentechnischen Methode. Ihr kryptischer Name: CRISPR-Cas9. Dabei handelt es sich um eine so genannte "Gen-Schere", die es ermöglicht, einzelne DNA-Bausteine gezielt zu verändern. Viele Wissenschaftler jubeln. Kritiker sind beunruhigt.

Von Burkhard Schäfers | 18.10.2016
    DNA-Strang
    Mit der Methode "CRISPR/CAS9" können einzelne DNA-Bausteine gezielt verändert werden. (imago/stock&people/Science Photo Library)
    Manche nennen es eine medizinische Revolution – mit ungeahnten Chancen für die Menschheit. Vor vier Jahren stellten Biologinnen die so genannte CRISPR-Cas-Methode vor. Seither sind Wissenschaftler aus aller Welt elektrisiert: Mit der Gen-Schere könnten sich schwere Erbkrankheiten wie Mukoviszidose behandeln lassen, womöglich auch erbliche Krebs-Erkrankungen oder Aids, sagt Brigitte Schlegelberger, Direktorin des Instituts für Humangenetik an der Medizinischen Hochschule Hannover.
    "Für mich ist es ganz klar ein Grund zum Jubeln. Denn dieses neue Verfahren hat auch die Grundlagenwissenschaft revolutioniert. Und so ist es jetzt mit dieser neuen Methode – mit CRISPR-Cas möglich, ganz präzise das Genom zu schneiden. Das ermöglicht uns, Genfunktionen zu verstehen. Und diese Dynamik, diese Schnelligkeit, auch dass es extrem kostengünstig ist, das bringt einen rasanten Zuwachs an Erkenntnis."
    Kein Allheilmittel
    CRISPR-Cas sei eine große Chance, denn bisher würden genetisch bedingte Krankheiten in der Bevölkerung gleichgesetzt mit "nicht heilbar", sagt Humangenetikerin Schlegelberger.
    "Wir können bei erblich bedingten Krebserkrankungen heute schon sehr viel tun in Form von Früherkennung. Aber die eigentliche Therapie, sprich die Elimination dieses Gendefekts – das können wir heute nur mit sehr schwierigen Instrumenten und natürlich noch nicht mit einer hohen Präzision. Und das wird mit Sicherheit in den nächsten Jahren greifbar werden."
    Die Gen-Schere weckt also bei vielen Menschen mit Erbkrankheiten große Hoffnungen. Doch seriöse Wissenschaftler betonen: CRISPR-Cas sei kein Allheilmittel. Je mehr verschiedene Gene als Auslöser einer Krankheit gelten und je komplexer die Wechselwirkungen im Körper, desto schwieriger ist die Behandlung. Das gilt gerade für häufige Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Leiden oder Demenz. Und: Bei allem Jubel berge das neue Verfahren auch seine Schattenseiten, räumt die Genetikerin ein:
    "Viele Genvarianten haben auf der einen Seite einen positiven, aber auf der anderen Seite auch einen negativen Effekt. Das Gen, was am allerhäufigsten in menschlichen Tumoren Mutationen zeigt, das ist TP 53. Und natürlich würde man sagen, es ist wunderbar, wenn man dieses Gen ausschaltet. Aber der Effekt ist, dass man dann in ein vorzeitiges Altern kommt, und ich glaube, das würde sich keiner wünschen."
    Moraltheologe: Eine "Reise ins Ungewisse"
    Indes gibt es noch sehr viel grundlegendere ethische Fragen zu CRISPR-Cas: Das neue Verfahren kann einerseits bei bestimmten Körperzellen angewandt werden, etwa bei Haut- oder Muskelzellen. Es macht aber andererseits auch einen Eingriff in die menschliche Keimbahn möglich: Auch Spermien, Eizellen oder Embryonen könnten manipuliert werden, erklärt Eberhard Schockenhoff, Professor für Moraltheologe an der Universität Freiburg.
    "Die Keimbahnintervention, das ist eine Reise ins Ungewisse. So wie wenn Sie in einen Zug steigen, und Sie wissen nur, Sie kommen nie wieder zurück an den Punkt, an dem Sie eingestiegen sind, aber Sie wissen nicht, wo das hinführt. Wenn das überhaupt in Frage kommt, dann eben nur, wenn man sicher ausschließen kann, dass es unvorhersehbare Wirkungsketten gibt. Und das sagen alle beteiligten Wissenschaftler, das ist derzeit nicht möglich."
    Deswegen fordern etliche Wissenschaftler ein Moratorium, das die Keimbahn-Intervention in den nächsten Jahren verbietet. In Deutschland wären solche Versuche – so die verbreitete Auffassung – ohnehin durch das Embryonenschutzgesetz verboten. Andernorts aber, etwa in China, gibt es erste, vielbeachtete Experimente an menschlichen Embryonen. Was die Ethiker auf den Plan ruft, sind so genannte Enhancement-Strategien, sprich die Optimierung des Menschen, sagt Moraltheologe Schockenhoff:
    Eberhard Schockenhoff, Theologe und Mitglied im Deutschen Ethikrat.
    Eberhard Schockenhoff, Theologe und Mitglied im Deutschen Ethikrat. (picture alliance / dpa / Uli Deck)
    "Wenn Sie jetzt sagen, Sie wollen einen Menschen, der nicht mehr von Stimmungsschwankungen abhängt, oder der viel größer ist als bisher, viel stärker. Da muss man fragen: Wer sagt eigentlich, dass das wünschenswerte Merkmale des Menschen sind?"
    Hier werde das Maß überschritten, das bedrohe die Freiheit des Menschen und sei im Ansatz totalitär, so Schockenhoff:
    "Da gibt es eben in einer demokratischen, plural verfassten Gesellschaft keine Instanz, die die Deutungshoheit hätte über das, was erwünschtes menschliches Leben ist."
    Sich nicht unter Druck setzen lassen
    Hinzu kommt: Etliche Wissenschaftler sehen bislang kaum einen medizinischen Nutzen darin, mit der Gen-Schere in die menschliche Keimbahn einzugreifen. Und: Solch grundlegende Veränderungen des Genoms lassen sich nicht einfach korrigieren, sie wirken sich auch auf nachfolgende Generationen aus. Vor diesem Hintergrund fordert Humangenetikerin Brigitte Schlegelberger von der Medizinischen Hochschule Hannover, Forscher sollten sich im Bereich der Keimbahn-Intervention zurückhalten. Denn die Folgen könnten massiv und unvorhersehbar sein.
    "Da kann ich Ihnen nur sagen, dass wir jeden Tag weniger wissen und die Sicherheit der Vorhersage mit jedem Tag geringer wird, je mehr wir über Genetik lernen. Wir haben Menschen, die den gleichen Gendefekt tragen, und trotzdem vollkommen unterschiedliche schwere oder weniger schwere Verlaufsformen haben. Es sind viele zusätzliche Effekte, die eine Rolle spielen und die wir noch lange nicht verstanden haben."
    Deswegen sagt auch Moraltheologe Schockenhoff mit Blick auf Experimente an der Keimbahn: Genetiker und Biologen dürften sich durch einzelne, besonders ehrgeizige Wissenschaftler im Ausland nicht unter Druck setzen lassen.
    "Aufhalten lässt es sich sicher nicht. Aber es lässt sich verantwortlich gestalten, wenn man rechtzeitig auch ethische Überlegungen in die Formulierung der Forschungsstrategien mit einbezieht."
    Die Medizin setzt große Hoffnungen in das neue Verfahren CRISPR-Cas. Alle Fehler im unvollkommenen Menschen wird aber auch die Gen-Schere nicht herausschneiden können.