Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Gentelligente Produktion
Wie Maschinen und Bauteile das Denken lernen sollen

In Hannover schmieden Wissenschaftler Pläne für die Produktion von morgen: Bei ihrer Vision einer Industrie 4.0 sind Bauteile mit Sensoren ausgestattet, sie speichern Informationen über ihren Fertigungszustand und kommunizieren mit ihren Fabrikationsanlagen. Auf der Tagung "Gentelligente Produktion" stellte der 40 Millionen Euro schwere Sonderforschungsbereich 653 der Uni Hannover das Konzept Vertretern der Maschinenbau-Branche vor.

Von Michael Engel | 27.01.2015
    Karl Doreth drückt auf den Startknopf: Der Fräskopf, den der Doktorand startet, bewegt sich auf einen armdicken Metallstab zu. Gleich fliegen die Späne.
    "Also hier fräst im Prinzip die Maschine gerade ringsherum um dieses Aluminium-Bauteil und fräst dieses Quadrat aus diesem runden Halbzeug heraus."
    Eigentlich ein ganz normaler Vorgang, wie er millionenfach in der metallverarbeitenden Industrie passiert. Doch diese Fräsmaschine hier ist etwas Besonderes - sie kann fühlen, sagt Doreth:
    "Die fühlende Maschine ist quasi dem Werker nachempfunden, der von Hand ein Bauteil bearbeitet und durch den Druck seiner Hand beispielsweise mit seiner Schleifmaschine oder einer Handbohrmaschine das Feedback in seiner Hand spürt und den Prozess quasi automatisch anpassen kann, um die Qualität des Bauteils zu verbessern. Etwas Ähnliches haben wir hier im Prinzip geschaffen: Die Maschine erfasst selbstständig die wirkenden Kräfte im Prozess und ist dann in der Lage, den Prozess so anzupassen, dass im Prinzip die Bauteilqualität den gewünschten Anforderungen entspricht."
    Sensoren für Druck, Dehnung und Temperatur machen aus einer stur nach Programm gesteuerten Maschine ein "sensibles" Pendant. Die Forscher versprechen sich dadurch eine noch höhere Präzision der hergestellten Bauteile, denn die fühlende Maschine ist auch lernfähig. Sie wird mit jedem Fräsvorgang immer besser.
    Bauteile mit Selbstbewusstsein
    Doch nicht nur die Maschinen, auch die Werkstücke selbst liefern in Zukunft Informationen - dies sogar in doppelter Hinsicht. Christian Demminger nimmt einen sehr leichten "Radträger" aus Magnesium in die Hand:
    "Also wir haben auf Basis von Reinmagnesium das Magnesium mit Kobalt legiert. Kobalt ist ein ferromagnetischer Werkstoff. Durch die Verbindung von Magnesium mit dem Kobalt entstehen im Magnesium ferromagnetische Phasen, die den Werkstoff mit magnetischen Eigenschaften ausstatten, die dann eben genutzt werden können im Weiteren."
    Der Radträger, ein Bauteil für Autos, kann mit einem Lese-Schreib-Kopf wie die Festplatte eines Computers beschrieben werden. 100 Bit pro Quadratzentimeter sind zwar nicht viel, aber für die Seriennummer und für die Dokumentation der Bearbeitungsschritte reicht es allemal. Hilfreich zum Beispiel für die Interaktion mit der fühlenden Fräsmaschine, sagt Demminger:
    "Das wandert dann irgendwann in die Maschine. Dort wird es ausgelesen, welches Bauteil es ist sozusagen. Und dass die Maschine dann sozusagen weiß, welche Fertigungsschritte weiter erfolgen müssen."
    Informationen für die Optimierung
    Neben dem Einspeichern von Daten erzeugt das Werkstück aber auch selbst Informationen. Später dann im Betrieb. Wird das Bauteil im Auto oder im Flugzeug belastet, entstehen Verzerrungen im Kobalt-Kristallgitter - analog zur mechanischen Beanspruchung - die nun ausgelesen werden können. Für Konstrukteure sind das wichtige Daten - für die Optimierung der nächsten Bauteilgeneration - aber auch für Wartungsingenieure.
    "Man weiß eben, wie der Zustand des Bauteils ist, und kann dann eben auf diesen Zustand reagieren. "Zustandsgesteuerte Instandhaltung" sozusagen. Je nach Zustand kann ich dieses Teil dann eben länger im Einsatz lassen, bis es an die Versagensgrenze kommt, anstatt es zu früh auszutauschen."
    Natürlich ist auch der umgekehrte Fall denkbar: Das Bauteil auszutauschen, obwohl die im Wartungshandbuch festgelegte Lebensdauer noch nicht erreicht ist. Und das wäre ein großer Sicherheitsgewinn. Industrie 4.0 verspricht eine Menge solcher Innovationen. Das Meiste davon ist noch Grundlagenforschung. Professor Berend Denkena - Sprecher des Sonderforschungsbereiches "Gentelligente Bauteile" - plant aber schon den nächsten Schritt:
    "Wir müssen unbedingt das, was wir in der Grundlagenforschung gemacht haben, in die Praxis bringen. Das heißt, wir wollen Unternehmen interessieren mit uns zusammenzuarbeiten. Wir wollen nicht nur von uns zu den Unternehmen transferieren, sondern wir wollen auch mehr lernen und das dann in anderen Forschungsprogrammen umsetzen. Darum geht es!"