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Gentransfer
Bakterien können fossile DNA-Fragmente in ihr Erbgut einbauen

Bakterien haben die Fähigkeit, mit anderen Bakterien - und sogar über Artgrenzen hinweg - Gene auszutauschen. Dieser sogenannte horizontale Gentransfer findet normalerweise zwischen lebenden Organismen statt. Dänische Forscher haben jetzt herausgefunden, dass Bakterien kleinste Gen-Fragmente aus der Umwelt in ihr Erbgut integrieren können.

Von Lucian Haas | 19.11.2013
    Das Zentrum für Geogenetik der Universität von Kopenhagen ist spezialisiert auf genetische Analysen von schon lange verstorbenen Organismen. Forscher wie Søren Overballe-Petersen suchen in Knochen- und Bodenproben nach DNA-Überresten, die Jahrtausende alt sein können.
    "Es gibt enorm viel DNA in der Umwelt – in den unterschiedlichsten Stadien der Zersetzung. Und der Anteil alter, fragmentierter DNA ist weitaus größer als der von frischer, intakter DNA."
    Im Boden sind freilich nicht nur DNA-Überreste, sondern auch viele lebende Bakterien zu finden. Diese kommen ständig in Kontakt mit den DNA-Fragmenten in ihrer Umwelt. Die Nukleinsäuren und Zuckerphosphate, aus denen DNA aufgebaut ist, dienen den Bakterien auch als Nährstoffe. Bisher gingen Biologen davon aus, dass aufgenommene DNA-Bruchstücke, die so kurz sind, dass sie keine funktionellen Gene mehr darstellen, in den Zellen der Mikroorganismen schnell abgebaut werden. Søren Overballe-Petersen fragte sich allerdings, ob alte DNA nicht doch Einfluss auf das Erbgut der Bakterien nehmen könnte.
    "Wenn diese alte DNA ins Innere einer Zelle gelangt, kommt sie in Kontakt mit der DNA der Bodenlebewesen. Wenn sich nun ein Bakterium vermehrt und bei der Zellteilung die eigene DNA kopiert, könnte bei diesem Prozess die fremde DNA in das bakterielle Erbgut mit eingebaut werden."
    Gemeinsam mit Kollegen machte Søren Overballe-Petersen entsprechende Versuche. Er hielt Bodenbakterien der Gattung Acinetobacter in einer Nährlösung mit speziell markierten, kurzen DNA-Fragmenten. Diese stammten unter anderem aus einem 43.000 Jahre alten Mammutknochen. Dabei konnten die Forscher genau das postulierte Verhalten beobachten: Die Bakterien integrierten die alte DNA in ihr Erbgut. Die fossilen DNA-Bruchstücke bestanden teilweise aus nur noch 20 sogenannten Basenpaaren als Grundbausteinen. Zum Vergleich: Komplette Gene bestehen in der Regel aus mehreren tausend Basenpaaren. Doch mit Blick auf die Evolution sind gerade auch die kleinen Veränderungen entscheidend.
    "Im Ergebnis erscheint der Einbau der kurzen Fremd-DNA-Fragmente wie eine natürliche Mutation. Das ist auch einer der Gründe, warum dieser Mechanismus bisher übersehen wurde. Wichtig ist in diesem Fall allerdings, dass die übernommenen DNA-Sequenzen nicht nur eine, sondern gleich mehrere Veränderungen mit sich bringen können. Die Bakterien brauchen nicht mehr eine Mutation, und dann noch eine und noch eine, um in ihrer Entwicklung mehrere Schritte voran zu kommen. Dank der Fremd-DNA kann die Evolution mit größeren Abschnitten arbeiten."
    Neuer Begriff: Die anachronistische Evolution
    Anders gesagt: Die Evolution von Bakterien kann durch den Rückgriff auf die fremde DNA schneller verlaufen, als man sie nur auf Basis von natürlichen Mutationen erwarten würde. Außerdem bekommt sie eine überraschende zeitübergreifende Dimension.
    "DNA von Organismen, die vor Tausenden von Jahren lebten, kann plötzlich wieder in heutigen Populationen auftauchen. Bisher gingen wir davon aus, dass Bakterien nur mit anderen, lebenden Bakterien DNA austauschen können. Aber jetzt zeigt sich: Solange nur irgendwelche Reste von DNA in der Umwelt vorhanden sind, kann es zu einem Transfer von Genmaterial kommen. Mit einem Mal müssen wir also einen riesigen zeitlichen Rahmen bei den Modellen der Bakterienevolution berücksichtigen."
    Søren Overballe-Petersen führt dafür sogar einen neuen Begriff ein: die anachronistische Evolution. Wie groß die Bedeutung dieses Phänomens für die Entwicklung der Bakterien tatsächlich ist, lässt sich beim aktuellen Wissensstand noch kaum abschätzen. Es werden viele weitere Studien nötig sein, um den Einfluss alter DNA-Fragmente auf die verschiedensten Bakterienarten genauer zu erfassen.