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Geologie
Bangladeschs verborgene Gefahren

Wie hoch ist das Erdbebenrisiko in Bangladesch? Diese Frage ist nicht einfach zu klären, denn die Region ist geologisch sehr komplex: Unter dem gewaltigen Flussdelta von Ganges und Brahmaputra könnten sich tektonische Überraschungen verbergen. Deshalb haben Geowissenschaftler das Gebiet fünf Jahre lang genau beobachtet.

Von Dagmar Röhrlich | 17.12.2014
    Überschwemmungen in Bangladesch, Dhaka, Oktober 2010.
    Überschwemmungen in Bangladesch, Dhaka, 2010 (picture alliance / dpa / Abir Abdullah)
    Nirgends auf der Welt leben so viele Menschen so dicht beieinander wie in Bangladesch. Gleichzeitig gibt es auch nur wenige Regionen, in denen die geologischen Risiken größer sind als dort, wo die beiden Flüsse Ganges und Brahmaputra ein gewaltiges Delta aufbauen. Um das Erdbebenrisiko in dem Gebiet der Erde besser zu erfassen, musste der geologisch komplexe Aufbau von Bangladesch entschlüsselt werden. Auf der Jahrestagung der Amerikanischen Geophysikalischen Union haben Wissenschaftler nun die Ergebnisse eines Fünfjahresprogramms vorgestellt.
    Es geschah am Nachmittag des 2. Aprils 1762: Ein Erdbeben der Stärke 8,8 erschütterte die Küste von Chittagong im heutigen Bangladesch und löste einen Tsunami aus, der rund 200 Menschen tötete. Heute wären die Folgen eines so schweren Bebens ungleich gravierender, denn die Region zählt zu den am dichtesten besiedelten der Erde. Außerdem ist das nicht der einzige Superlativ, erklärt Leonardo Seeber vom Lamont-Doherty Earth Observatory in Palisades, New York:
    "Das Delta von Ganges und Brahmaputra ist das größte des Planeten. Die Massen an Sediment, die die beiden Flüsse aus dem Himalaja herab spülen, lassen den Untergrund absinken. Diese Sedimente begraben alles unter sich: Selbst große, aktive tektonische Störungen sind nicht an der Erdoberfläche zu erkennen. An großen Störungen können jedoch heftige Erdbeben entstehen."
    Im Golf von Bengalen lagern sich die Sedimente von Ganges und Brahmaputra auf einer Subduktionszone ab. Dort sinkt die indische Erdkrustenplatte unter die burmesische, erklärt Leonardo Seeber:
    "Auch das Erdbeben von 1762 ereignete sich an dieser Subduktionszone, und zwar in einem Bereich, der der sich gerade noch unter Wasser befindet. Unserer Meinung nach läuft diese Subduktionszone jedoch nördlich dieses 1762 gerissenen Bereichs weiter - und zwar nicht mehr im Meer, sondern ungewöhnlicherweise an Land. Sie ist von den Sedimenten der beiden Flüsse zugeschüttet worden und liegt unter dem Delta. Dieser Teil der Störung hat in historischer Zeit nicht gebebt. Dabei ist gerade er kritisch, weil in diesem Gebiet sehr viele Menschen leben."
    Diese bizarre, "verlandete" Subduktionszone unter Bangladesch und Nordindien wäre 300 bis 400 Kilometer breit:
    "Wir haben angefangen, mithilfe von GPS die Bewegungen an dieser verborgenen Zone zu verfolgen. Demnach bewegen sich die beiden Kontinentalplatten mit rund 14, 15 Millimetern pro Jahr aufeinander zu."
    Hohe Spannungen zwischen den Platten der Erdkruste
    Längs dieser Subduktionszone habe sich ein komplexes System von tektonischen Verwerfungen entwickelt, beschreibt Leonardo Seeber. Und an vielen dieser Verwerfungen können sich so hohe Spannungen aufbauen, dass sie Erdkrustenplatten schlagartig um 20 Meter gegeneinander versetzen:
    "Wir wissen, dass dadurch Flüsse ihren Lauf verlagern - und der Brahmaputra ist 20 Kilometer breit. Ungeheuer viele Erdrutsche werden ausgelöst, vor allem, wenn sich das Beben während des Monsuns ereignet. Und diese Erdrutsche können Flüsse aufstauen. Bricht dann der Damm, sind katastrophale Überflutungen die Folge."
    Dazu kommen die klassischen Folgen von Erdbeben: zerstörte Brücken und Straßen und vor allem zusammengebrochene Häuser. Besonders problematisch ist dabei, dass sich die Menschen in den Städten von Bangladesch und Nordindien bis heute an die überlieferten Bauweisen halten. Nur, dass sie die Häuser nicht mehr aus Bambus errichten, sondern aus schlechtem Stahlbeton und außerdem viel höher als früher. Deshalb legen Risikoabschätzungen nahe, dass die Folgen selbst bei einem - für diese tektonische Situation moderaten - Beben der Stärke 7 verheerend wären, so Seeber:
    "Am beunruhigendsten ist jedoch, dass die Stadt Aizawl, für die wir eine Untersuchung durchgeführt haben, nach einem Beben isoliert wäre. Die Straßen wären blockiert, es könnte weder Wasser herangeschafft werden, noch Medikamente noch Lebensmittel oder Treibstoff."
    Bei Bürgern und Behörden müsse deshalb das Bewusstsein für diese Probleme geschärft werden, fordert Leonardo Seeber - und zwar nicht nur in dieser Stadt, sondern in der gesamten Region.