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Geologie
Methanfreisetzungen im sibirischen Meer

Nicht nur an Land, sondern auch im Schelfmeer der Arktis gibt es Böden, die durchgehend gefroren sind. Sollten diese Unterwasservereisungen auftauen, könnten große Mengen Methan freigesetzt werden - und damit die Klimaerwärmung zusätzlich befeuern.

Von Volker Mrasek | 25.11.2013
    Natalia Shahkova arbeitete lange am Meeresforschungsinstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften. Dann wechselte sie an die Universität von Alaska in Fairbanks in den USA. Ihr Forschungsthema blieb allerdings dasselbe: Es sind die Meeresböden vor der Küste Sibiriens. Sie könnten auftauen, wenn sich die Arktis weiter erwärmt - genauso wie die Permafrostböden an Land. Und dann große Mengen des Treibhausgases Methan freisetzen. Das ist schon länger die Sorge der russischen Geochemikerin.
    "Vor zehn Jahren begannen wir mit unseren Forschungen. Damals wusste man noch gar nichts über die Freisetzung von Methan aus diesen Meeresregionen. Wir haben tatsächlich bei Null angefangen. Und wir waren die einzige Forschergruppe, die in dieser entlegenen, ungemütlichen Region der russischen Arktis arbeitete."
    Jetzt legt Natalia Shakhova eine neue Studie vor, zusammen mit Fachkollegen aus Russland, Schweden und den USA. Es sei ihre bisher wichtigste, sagt die Forscherin. In die Arbeit flossen Messdaten von mehreren Expeditionen aus den letzten drei Jahren ein. Sie führten ins Delta des Flusses Lena. Das Kontinentalschelf fällt dort sehr flach ab. Der Meeresgrund ist auch weit vor der Küste höchstens 50 Meter tief.
    Während der Arbeit vor Ort wurde erstmals der gefrorene Meeresboden in diesem Gebiet der Arktis angebohrt und beprobt - auf einer 2000 Kilometer langen Schiffsroute:
    "Diese Veröffentlichung bringt uns auf jeden Fall einen großen Schritt weiter. Bisher nahm man an, der Permafrostboden unter dem küstennahen Schelfmeer sei besonders stabil und werde nicht so schnell auftauen. Unsere Bohrungen belegen jetzt aber das Gegenteil. Der Meeresgrund vor der sibirischen Küste bröckelt, und er ist näher am kritischen Taupunkt als der Permafrostboden an Land."
    An seiner Oberfläche war der Boden demnach nirgends mehr gefroren. An vielen Stellen stiegen Gasblasen in das darüber liegende Meerwasser auf. Und in ihnen Methan, das die Klimaerwärmung zusätzlich forcieren könnte, weil es so ein potentes Treibhausgas ist.
    Die Forscher benutzten ein mobiles Sonar-Gerät, um die Gasblasen mit akustischen Methoden erstmals genauer zu erfassen. Danach mussten sie ihre Schätzungen für die Freisetzung von Methan aus dem Meeressediment stark nach oben korrigieren, wie Natalia Shakhova sagt. Im Küstenabschnitt vor dem Lena-Delta entweiche Methan in einer Menge, wie sie vorher für das komplette sibirische Küstenschelf veranschlagt worden sei. Die Emissionen in der gesamten Region seien viel höher als bisher vermutet:
    "Sie liegen wahrscheinlich in der gleichen Größenordnung wie die Methan-Freisetzung an Land, in der arktischen Tundra. Und sie gilt als eine der stärksten natürlichen Quellen für Methan auf der Nordhalbkugel."
    Das Methan in den Gasblasen muss nicht zwangsläufig in die Atmosphäre gelangen. Marine Mikroorganismen in der Wassersäule bauen es normalerweise ab.
    Doch Schelfmeere wie das vor Sibirien sind sehr flach. In ihnen ist der Weg vom Sediment bis zur Wasseroberfläche nicht weit, nur ein paar Dutzend Meter – wenn überhaupt. Die Gasbläschen legen ihn schnell zurück. Für die Meeresmikroben bleibt dann nicht genügend Zeit, um das Methan zu erwischen. Erst recht nicht, wenn Stürme auftreten und das Wasser im Küstenschelf kräftig durchmischen. Dann geht das marine Methan noch schneller in die Atmosphäre, wie sich bei den Messungen zeigte.
    "Die Temperatur des Meerwassers in der Arktis steigt. Gleichzeitig nimmt das Packeis ab, und Stürme über dem offenen Wasser häufen sich. Das alles sind Rückwirkungen des Klimawandels, die die Freisetzung von Methan begünstigen. Und wir sind sicher: Sie wird weiter zunehmen!"
    Natalia Shakhova will die Situation auf jeden Fall weiter im Auge behalten. Ihre Arbeitsgruppe nimmt dafür Einiges in Kauf. Die Forscher gehen inzwischen zweimal im Jahr auf Expedition – auch im Winter, wenn Sibirien zu einer lebensfeindlichen Eiswüste erstarrt.