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Geophysik
Minischwarm erkundet das irdische Magnetfeld

Geophysik. - Das Erdmagnetfeld gehört für Geophysiker nach wie vor zu den Herausforderungen. Drei neue Satelliten von Europas Raumfahrtagentur ESA sollen es nun genauer unter die Lupe nehmen als je zuvor. Ihr Start erfolgte heute um 13:02 Uhr vom russischen Weltraumbahnhof Plessezk aus.

Von Karl Urban | 22.11.2013
    Im März 1989 ereignete sich in Kanada einer der größten Stromausfälle der Geschichte – im Herbst 2003 traf es dann den Süden Schwedens. – In beiden Fällen war die Ursache identisch: Die Sonne schleuderte jeweils eine gewaltige Eruption aus geladenen Teilchen direkt in Richtung Erde. Solche verstärkten Teilchenströme sind gar nicht sonderlich selten – zu Stromausfällen kommt es dabei nur in Extremfällen. Denn normalerweise ist die Erde dank ihrer Atmosphäre und über ihr Magnetfeld weiträumig vor den geladenen Teilchen aus dem All geschützt. Doch der für das Magnetfeld verantwortliche Dynamo im Erdkern schwächelt zurzeit.
    "Mit den vorhergehenden Missionen hat man schon festgestellt, dass der magnetische Nordpol wandert – zehn bis maximal 65 Kilometer pro Jahr – und dass auch das Magnetfeld langsam schwächer wird. An einigen Stellen, zum Beispiel der südatlantischen Anomalie bis zu zwölf oder mehr Prozent in den letzten 20 Jahren. Also das sind schon erhebliche Abschwächungen des Magnetfeldes. Und da ist natürliche eine Intention unserer Mission herauszufinden: Wie verändert sich das?"
    Frank-Jürgen Diekmann ist im europäischen Weltraumkontrollzentrum in Darmstadt für SWARM zuständig, eine neue Mission der europäischen Raumfahrtagentur ESA, die das irdische Magnetfeld genauer als je zuvor unter die Lupe nehmen soll. Mit einem Schwarm – aus gerade mal drei Satelliten. Diekmann:
    "Es ist ein kleiner Schwarm, das muss ich zugeben. Ursprünglich war der Wunsch der Wissenschaftler, dass man sogar vier Satelliten baut. Aber das ist dann aus verschiedenen Gründen auf drei zusammengeschrumpft und man ist bei der Bezeichnung Schwarm geblieben."
    Für die Ingenieure im Kontrollraum ist schon so ein kleiner Schwarm herausfordernd. Während einer der drei Satelliten einsam seine Bahnen ziehen soll, werden sich die beiden anderen extrem nahe kommen – und gerade einmal vier bis sieben Sekunden hintereinander herfliegen.
    "Das ist auch eine Herausforderung für unsere Flugdynamiker. Die müssen diese Position sehr akkurat im Laufe der Mission weiter verfolgen, beobachten und auch kontrollieren. Das heißt, sobald die irgendwie auseinanderdriften oder zu nah zueinander kommen, müssen diese Orbits korrigiert werden."
    Die komplexen Manöver im Erdorbit sind nötig, weil das Erdmagnetfeld kein ganz einfaches Gebilde ist. Es ist auf der sonnenabgewandten Seite der Erde in die Länge gezogen. Um dieses Feld zu vermessen, befinden sich an Bord aller drei SWARM-Satelliten hochgenaue Magnetometer, die die jeweilige Stärke und Richtung des Magnetfelds ausmessen sollen. Denn mit der Zeit verändert sich die Form der Feldlinien, je nachdem wie stark die Teilchen des Sonnenwindes es gerade verformen.
    Wie Erdmagnetfeld und Sonnenwind zusammenspielen, versucht auch eine andere ESA-Mission herauszufinden, die bereits seit über 13 Jahren aus Darmstadt gesteuert wird: die vier Cluster-Satelliten fliegen auf weit höheren Bahnen um die Erde – und könnten den ankommenden Sonnenwind schon vorher erkennen und somit die Messungen von SWARM ergänzen. Diekmann:
    "Die SWARM-Mission ist also sehr niedrig fliegend, in der Ionosphäre, während die Cluster-Mission im Magnetfelds der Erde beziehungsweise außerhalb des Magnetfelds der Erde fliegt. Die fliegen also bis zu 120.000 Kilometer von der Erde entfernt auf einer hochelliptischen Bahn. Und da gibt es Flüsse von der Sonne, die von Cluster gemessen werden und erst später auf der Erde ankommen und hier von SWARM vermessen werden können."
    Im irdischen Magnetfeld dürfte SWARM auch Informationen über den Erdkern finden, wo vielleicht die Antwort für die magnetische Abschwächung der letzten Jahrzehnte zu finden ist. Das Wissenschaftlerteam hofft, dass die Sensoren an Bord auch genau genug sind, um noch viel schwächere Effekte abzubilden. Etwa bewegen sich gelöste Salzionen der Ozeane ständig durch das Erdmagnetfeld und verändern es dabei geringfügig. Somit könnte SWARM erstmals auch tief reichende Hinweise über die globalen Meeresströmungen aus dem All liefern.