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Geplanter Polen-Gedenkort in Berlin
Hoffnung für deutsch-polnische Beziehungen

Ein separater Gedenkort für polnische NS-Opfer in Berlin zur Erinnerung und Aussöhnung – das hat der Bundestag im Herbst 2020 beschlossen. Während Skeptiker darin ein falsches Zeichen für die Gedenkkultur sehen, hoffen Befürworter auf eine Vertiefung der Beziehungen zwischen den Nachbarländern.

Von Florian Kellermann und Peter Sawicki | 26.01.2021
Eine ältere Frau wirft eine Rose zum Gedenken in das Wasser des Schwedtsees am 19.04.2015 in der Mahn- und Gedenkstätte des früheren Konzentrationslagers Ravensbrück bei Fürstenberg (Brandenburg), anlässlich der Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag der Befreiung des Lagers.
Aussöhnung mit Polen, die Wahrnehmung des Nachbarlandes in Deutschland verändern – auch das soll der geplante Gedenkort leisten (picture alliance / Patrick Pleul)
"Ich begrüße ganz herzlich auf der Ehrentribüne unsere ehemalige Bundestagspräsidentin Frau Professor Rita Süssmuth."
Es war keine spektakulär wirkende Debatte, die Bundestagsvizepräsident Hans-Peter Friedrich am 30. Oktober 2020 eröffnete. Für die Beziehungen Deutschlands zu Polen war sie dennoch von Bedeutung.
Nicht nur Rita Süssmuth lauschte aufmerksam. Sie gehört zu einer Reihe von Personen des öffentlichen Lebens, die sich für die Aussöhnung zwischen Deutschland und Polen einsetzen. Um diese zu vertiefen, gab es eine Diskussion um einen gesonderten Gedenkort für die polnischen Opfer des nationalsozialistischen Regimes.
Bisher existiert so ein Ort nicht. An diesem Tag legte das Parlament aber dafür den Grundstein. Paul Ziemiak, CDU-Generalsekretär und selbst in Polen geboren, formulierte die Beweggründe. Ziemiak:
"Polnische Erde ist bis heute getränkt in dem Blut der Opfer dieses Rassenwahns. Deutsche errichteten auf polnischem Boden Konzentrationslager. Auschwitz-Birkenau ist ein Synonym für diese Verbrechen. Wir wollen diesen Ort schaffen, weil wir der jungen Generation etwas mitgeben wollen. Deswegen bitte ich Sie, dem Antrag zuzustimmen."

Polnischer Ex-Außenminister als Ideengeber

Bis auf die AfD, die sich enthielt, stimmten alle Fraktionen geschlossen zu. In Berlin soll nun ein "Ort des Erinnerns und der Begegnung" entstehen, koordiniert vom Auswärtigen Amt. Die Befürworter waren sich einig: Die historische Verflechtung und Nachbarschaft mit Polen rechtfertigten ein solches Projekt.
Der Beschluss verwirklichte damit eine Idee von Wladyslaw Bartoszewski. Der frühere polnische Außenminister hatte sich zeitlebens trotz seiner Erfahrung als Auschwitz-Insasse für die Aussöhnung zwischen Polen und der Bundesrepublik eingesetzt.

Porträt des im April 2015 verstorbenen Professor Wladyslaw Bartoszewski, dem ehemaligen Außenminister Polens, Journalist, Historiker und Konzentrationslager-Überlebender.
Setzte sich zeitlebens für eine Aussöhnung zwischen Deutschland und Polen ein: Wladyslaw Bartoszewski (picture alliance / Michael Fludra)
Bartoszewski starb im April 2015. In Deutschland erfuhr die Idee ab 2017 neuen Schwung. Initiiert vom Ex-Präsidenten des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung, Florian Mausbach, riefen 140 Personen aus Politik und Wissenschaft ursprünglich zur Errichtung eines "Polen-Denkmals in der Mitte Berlins" auf.
Einer der Unterzeichner war Manuel Sarrazin. Er ist Sprecher für Osteuropapolitik der Grünenfraktion im Bundestag und Vorsitzender der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe. Sarrazin glaubt, dass sich der Blick auf den östlichen Nachbarn erst vor Kurzem gewandelt hat – und ein gewisses Schamgefühl überwunden scheint.
"Vielleicht ist es ja bezeichnend, dass auch jüngere Abgeordnete aus dem Bundestag dieses Thema aufgenommen haben", sagt Sarrazin. "Weil man jetzt eine Generation sieht, die sagt: ‚Wir haben keine Angst vor Geschichte in der deutsch-polnischen Beziehung, sondern das Bewusstsein für Geschichte.‘ Es gibt deswegen auch ein wichtiges Signal mit diesem Polen-Gedenkort, dass wir in dieses neue Berlin, nach den großen Debatten um das Holocaust-Mahnmal, doch noch mal einen Anlauf unternehmen, die bisher nicht ausreichend belichteten Stellen unserer Geschichte in die Öffentlichkeit zu rücken."

Polnische Kontroversen über den Zweiten Weltkrieg

In Polen fallen die Reaktionen auf die deutsche Initiative parteiübergreifend positiv aus. Auch Vertreter der nationalkonservativen Regierungspartei PiS, aus der immer wieder Deutschland-kritische Töne kommen, zeigen sich erfreut. Zum Beispiel der Sejm-Abgeordnete Bartlomiej Wroblewski:
"Ich denke, alle Polen bewerten diesen Beschluss sehr positiv. Wir freuen uns, dass diese Diskussion zu einem gewissen Ende gekommen ist. Es ist wichtig, dass die polnischen Opfer, zwischen fünf und sechs Millionen Opfer des Zweiten Weltkrieges, einen Ort der Erinnerung in Berlin haben werden", so Wroblewski.
In kaum einem anderen Land sorgt der Zweite Weltkrieg noch heute für so viele Kontroversen. Ein Beispiel ist das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig. Dessen Ausstellung stellt das Leiden der Zivilbevölkerung in den Vordergrund – in verschiedenen Ländern. Die PiS-Regierung setzte einen neuen Direktor ein, der das Leiden der Polen in den Fokus rückte – und den polnischen Verteidigungskampf.
Bartlomiej Wroblewski nennt einen Grund, warum der Krieg noch heute, 76 Jahre nach seinem Ende, Diskurse bestimmt: "Jede polnische Familie hat jemanden verloren. Der Bruder meiner Großmutter ist im Konzentrationslager Groß-Rosen gestorben. Wir kennen die genauen Umstände nicht. Meine Großmutter hat bis zu ihrem Tod im Jahr 2012 Informationen gesucht, aber nichts gefunden."

Ein Gedenkort allein für Polen?

Das ist nur einer von mehreren Fällen, die der PiS-Abgeordnete aus seiner Familie aufzählen kann. Ob sich daraus aber ein gesonderter Polen-Gedenkort ergeben sollte, ist in Deutschland auch umstritten, etwa auf diplomatischer Ebene.
Am deutlichsten hat das Andrij Melnyk, der Botschafter der Ukraine in Berlin, ausgedrückt. Melnyk hatte auf eine Verschiebung der Abstimmung im Bundestag gedrängt. Er vermisste eine ähnliche Initiative zu Ehren ukrainischer NS-Opfer. Darauf reagierte sein polnisches Pendant Andrzej Przylebski mit einem wenig diplomatischen Brief. Dieser relativierte indirekt die Kriegsleiden ukrainischer Zivilisten. Vielmehr, so Przylebski, hätten Ukrainer umfassend mit den Nazis kollaboriert. Im "Spiegel" empörte sich Melnyk, dass Polen eine "Monopolstellung als Hauptopfer" im Zweiten Weltkrieg beanspruche.

Ein Problem: die Nationalisierung des Gedenkens

Markus Meckel dürfte von diesem Disput nicht überrascht sein. Er sieht den Bundestagsbeschluss vom 30. Oktober 2020 skeptisch.
"Wenn ich ein polnisches Denkmal mache, komme ich gar nicht umhin, dass ich auch ein Denkmal für die belarussischen, die ukrainischen, die russischen Opfer mache. Und ich komme dann sofort in die zynische Frage: Machen wir in Deutschland nur ein Denkmal, wo die Opfer nach Millionen zählen?", sagt der frühere DDR-Bürgerrechtler und SPD-Bundestagsabgeordnete 2019 im Deutschlandfunk Kultur.

Am Telefon betont Meckel, dass er das Erinnern an Polens Leiden unter der NS-Diktatur mitnichten relativieren will. Meckel befürchtet aber eine Nationalisierung des Gedenkens. Er befürwortet ein Projekt, das die Opfer sämtlicher Staaten in den Blick nimmt und spricht von einer "integrativen Erinnerung". Ein solches Vorhaben hat der Bundestag in der Tat im Oktober 2020 ebenso gebilligt.
Das Deutsche Historische Museum soll im Auftrag von Kulturstaatsministerin Monika Grütters eine Dokumentationsstätte zur Historie der Besatzung Hitler-Deutschlands in Europa konzipieren. Der dazugehörige Beschlusstext erwähnt auch die polnischen Opfer explizit.
Dieses Doppelprojekt ist als Kompromiss in einer langen Debatte gedacht. Die Dokumentationsstätte und den Polen-Gedenkort parallel zu realisieren, dürfte gleichwohl eine Herausforderung und ein Anlass für weitere Diskurse über die Gedenkkultur in Deutschland sein, wie differenziert an die NS-Zeit erinnert werden soll. Und wie wird eine Hierarchisierung von Opfern verhindert?
Eine deutsche und eine polnische Fahne wehen nebeneinander
Historiker: Mahnmal für die NS-Opfer wäre "wichtiges Signal"
Ein deutsches Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Polen wäre eine Möglichkeit zu zeigen, dass Deutschland seine Täterrolle im Zweiten Weltkrieg nicht vergessen wird, sagt Peter Oliver Loew.
Der Einwand, ein Erinnerungsort für polnische Opfer könnte das Gedenken nationalisieren, stößt beim deutschen Nachbarn auf viel Unverständnis. Auch beim Historiker Krzysztof Ruchniewicz von der Universität Breslau. Er erklärt, Nazi-Deutschland habe in Polen einen besonderen Feind gesehen.
"Wir haben es im Falle des Angriffs auf Polen mit einem Vernichtungskrieg zu tun", so Ruchniewicz. "Er war von vorneherein so und nicht anders geplant. Und in der deutschen Öffentlichkeit ist es so, trotz aller Bemühungen vonseiten der Historiker, dass ein Durchschnittsbürger recht wenig darüber weiß. Vielleicht haben wir keine Sprache gefunden, um diesen Durchschnittsbürger dafür zu interessieren."

Deutsche wissen wenig über Polen im Zweiten Weltkrieg

Gut bekannt seien die deutschen Verbrechen im Zusammenhang mit dem Holocaust, so Ruchniewicz. Schlechter sei es um das Wissen der deutschen Besatzung bis 1942 bestellt, auch um die Zusammenarbeit zwischen Hitler-Deutschland und der Sowjetunion. Ähnlich sieht es Wladyslaw Teofil Bartoszewski. Er ist Parlamentarier, Historiker und Sohn des ehemaligen Außenministers Wladyslaw Bartoszewski, des Ideengebers eines Polen-Gedenkorts:
"Im Holocaust-Museum in Washington gibt es ein Foto. Es stammt vom 1. September 1939, dem Tag des Kriegsbeginns. Das Foto zeigt einen toten Pfarrer. Er musste nur deshalb sterben, weil er eine herausgehobene Position in der polnischen Gesellschaft hatte. Die Nationalsozialisten wollten den polnischen Staat und die polnische Kultur vernichten. Deshalb haben sie auch gezielt polnische Baudenkmäler zerstört."
Ein historisches Schwarz-weiß-Foto zeigt Wehrmachtsoldaten bei einer Parade in Waschau in Polen im September 1936.
Zerstörung Polens: die Wehrmacht 1939 in Warschau (imago / Courtesy Everett Collection)
Auch im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, das vor 76 Jahren befreit wurde, starben Polen wegen ihrer politischen Bedeutung für die Nation. Zwar waren die meisten Opfer des Lagers Juden, aber auch etwa 100.000 nichtjüdische Polen wurden dort umgebracht.
Dass vieles davon in Deutschland nicht bekannt ist, bemerkt auch Peter Oliver Loew. Er ist Historiker und Direktor des Deutschen Polen-Instituts, DPI, das die Idee des Polen-Gedenkorts mitentwickelt hat. Es soll auch an der inhaltlichen Ausgestaltung beteiligt werden. Loew wünscht sich, mithilfe des Projekts, die Wahrnehmung des Nachbarlandes in der Bundesrepublik zu verändern – hin zu einer Auseinandersetzung auf Augenhöhe:
"Das geht zurück bis ins 18. oder 17. Jahrhundert, als die preußischen Eliten sich anschickten, Teile Polens zu annektieren. Und man hat dann immer wieder gesagt, Polen sei ein verlottertes Land. Man hat sich aber überhaupt nicht die Mühe gemacht, Polen zu verstehen. Polen spielt in der deutschen öffentlichen Wahrnehmung so ein wenig die Rolle des nicht ganz so wichtigen Nachbarlandes. Diesen Eindruck gilt es zu korrigieren. Deutsche wissen auch relativ wenig über Tschechien, die Ukraine. Aber irgendwo müssen wir ja anfangen. Lasst uns mit Polen anfangen, dem größten Nachbarland Deutschlands im Osten."

Ein Ort der Begegnung

Auch Peter Oliver Loew betont, dass sich die ebenfalls geplante NS-Dokumentationsstätte nicht zu stark mit dem Polen-Gedenkort überschneiden sollte. Seiner Ansicht nach könnten sie sich aber sinnvoll ergänzen. Der Gedenkort hätte dabei die Chance, so Loew, stärker in die Tiefe zu gehen – mit einer Art thematischen Dreiklangs:
"Wir haben daran gedacht, dass es einen symbolischen Ort geben muss", so Loew. "Ursprünglich startete das Projekt als ‚Polen-Denkmal‘. Als zweite Ebene, eine dokumentarische Ebene, wo die Ereignisse während des Zweiten Weltkriegs in Polen in den Kontext der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte gestellt werden. Und als dritte Ebene einen Ort der Begegnung."
Letzterem misst das DPI eine zentrale Bedeutung zu. Emilie Mansfeld ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut. Nach ihrer Vorstellung könnte eine neue Bildungsstätte entstehen, mit Seminaren etwa für deutsche und polnische Studierende und Schüler, die außerdem dezentral mit anderen Einrichtungen der politischen Bildung kooperieren könnte. Mansfeld greift als historisches Vorbild die "fliegende Universität" auf:
"Das ist eine Praxis des Studierens vor allem im polnischen Untergrundstaat. Das hatte seine Anfänge im 19., Anfang des 20. Jahrhunderts, und hat auch in der kommunistischen Zeit in Polen eine Rolle gespielt, wo man auch Demokratieerziehung durch oppositionelle Kreise in dieser Form hat stattfinden lassen. In gewisser Weise könnte so eine Akademie in verschiedene Institutionen hineinwirken."

Kritik: Großes Zugeständnis an die nationalkonservative Regierung

Viele zentrale Punkte der Umsetzung des Projekts sind aber noch unklar, darunter die Mitwirkung polnischer Fachleute sowie der genaue Ort. Im Gespräch ist beispielsweise der Askanische Platz in Berlin-Mitte, direkt an der Ruine des Anhalter Bahnhofs. Allerdings soll genau dort auch das neue Exilmuseum entstehen. Es soll Menschen porträtieren, die wegen der NS-Herrschaft Deutschland verlassen haben. Ein weiterer Gedenkort sei am Askanischen Platz deshalb kaum vorstellbar, so der Breslauer Historiker Krzysztof Ruchniewicz:
"Wenn man sich die Ruine des Anhalter Bahnhofs anschaut und dann das Projekt des zukünftigen Emigrationsmuseums, dann steht das wirklich in keinem Verhältnis. Es wird alles überschattet. Da ist sicherlich kein Platz mehr für eine Stelle, wo man sowohl gedenken als auch erinnern kann."
Dieter Bingen (Direktor des Deutschen Polen-Instituts) während der Gedenkveranstaltung Gedenken aus Anlass des 80. Jahrestags des deutschen Überfalls auf Polen und des Beginns des Zweiten Weltkriegs auf der Rückseite des Anhalter Bahnhofs in Berlin zu sehen. 
Die Standortfrage: Im Gespräch ist der Askanische Platz, an der Ruine des Anhalter Bahnhofs (imago / Christian Spicker)
Das Auswärtige Amt dürfte demnächst Näheres zur Ausgestaltung bekanntgeben. Die Federführung des Außenamts zeigt, dass mit dem Gedenkort auch ein politisches Zeichen gesetzt wird. Skeptiker in Deutschland sehen darin eine zu große Konzession zugunsten der nationalkonservativen Regierung in Polen.

Dort allerdings wird der politische Charakter des Gedenkorts ausdrücklich begrüßt, auch durch den Oppositionspolitiker Wladyslaw Teofil Bartoszewski. Er vertritt im Sejm die Bauernpartei PSL. Bartoszewski hebt dabei den Beschlusstext des Bundestags hervor:
"Besonders wichtig waren für mich die Worte, dass Polen neben Frankreich ein zentraler Partner Deutschlands in Europa ist. Polen auf der gleichen Ebene wie Frankreich, das seit Jahrzehnten, seit Adenauers Zeiten, ein enger Partner der Bundesrepublik ist – das ist eine außergewöhnliche Geste."

Allerdings erwartet in Polen kaum jemand, dass mit dem Gedenkort die weiter bestehenden Probleme im deutsch-polnischen Verhältnis verschwinden werden.

Deutschland und Polen: schwieriges Verhältnis

Ein Dauerstreitthema, und derzeit wieder aktuell, ist das deutsch-russische Pipelineprojekt Nord Stream 2. Es soll noch mehr russisches Gas durch die Ostsee direkt nach Deutschland transportieren. In Polen sprechen sich alle Parteien dagegen aus und sehen es als politisches Projekt.
Russland wolle demnach die Ukraine als Transitland für sein Gas ausschalten, um künftig mehr politischen Druck auf das polnische Nachbarland auszuüben. Für Warschau, das die Ukraine näher an die EU anbinden möchte, eine bedrohliche Entwicklung. Auch Deutschland gegenüber wohlgesinnte Politiker werfen Berlin hier mangelnde Solidarität vor.

Ein weiteres Thema: Die Warschauer Regierung pocht darauf, dass Polen in Deutschland mehr Rechte bekommen. Der PiS-Abgeordnete Bartlomiej Wroblewski fordert die "Verwirklichung des deutsch-polnischen Vertrages von 1991. Das war vor 30 Jahren und nicht alle Verpflichtungen wurden erfüllt, zum Beispiel was das Lernen der polnischen Sprache von Polen in Deutschland anbelangt."
Das müsse auch an Schulen angeboten werden, meint die PiS-Regierung. Berlin sieht das anders und verweist darauf, dass Polen in Deutschland nicht den Status einer Minderheit haben.

Streit um Reparationszahlungen

Zu Spannungen zwischen Berlin und Warschau führte in den vergangenen Jahren zudem, dass die polnische Regierung über Reparationen diskutiert – etwa für Schäden, die Deutschland im Zweiten Weltkrieg angerichtet hat.
In der vergangenen Legislaturperiode gab es dazu einen Ausschuss im Sejm. Dessen Bericht wurde zwar bis heute nicht veröffentlicht. Führende PiS-Politiker erklärten aber, Deutschland müsse Polen hunderte Milliarden Euro zahlen.
Auch Wladyslaw Teofil Bartoszewski meint, Deutschland sei Polen noch etwas schuldig: "Aus moralischer Sicht ist es für mich klar, dass sich Deutschland hier zu einer Geste durchringen sollte. Polen hat unter dem Krieg außergewöhnlich gelitten. Und wir haben praktisch keine Entschädigungen bekommen. Darüber sollten wir ruhig reden, aber keinesfalls einfach eine Rechnung nach Deutschland schicken. Das wäre kontraproduktiv."
Zerstörte Altstadt Warschaus
Reparationen - "Moralisch hat Polen einen Anspruch darauf"
Polen habe 1990 nicht die Möglichkeit gehabt, einen echten Friedensvertrag mit Reparationszahlungen durchzusetzen, sagt die Journalistin Aleksandra Rybinska. Das Land sei damals politisch zu schwach gewesen.
Die Position der Bundesregierung war bislang stets klar. Sie betrachtet diese Causa als abgeschlossen, weil Polen unter anderem 1953 auf Reparationen verzichtet habe. Auch der Grünen-Politiker Manuel Sarrazin sieht keinen rechtlichen Spielraum für neue Ansprüche. Er plädiert aber für einen neuen Ansatz in dieser emotionalen Streitfrage.
Sarrazin: "Ich denke, bei aller Strittigkeit der juristischen Frage, dass es ein starkes Signal wäre, wenn man trotzdem Bereiche findet, in denen man zu diesem Themenfeld zusammenarbeiten kann. Im Interesse der Menschen, die noch leben, und die auch nicht mehr lange leben werden. Um moralisch Verantwortung zu übernehmen."
Vergangenen Sommer hat Sarrazin dazu einen Plan mit sechs Vorschlägen vorgelegt. Er enthält unter anderem die Idee eines neuen Hilfsfonds für polnische Kriegsüberlebende und deren Nachkommen. Außerdem sollen Orte, an denen deutsche Kriegsverbrechen stattfanden, symbolisch entschädigt werden. Grünen-Chef Robert Habeck unterstützt Sarrazins Initiative. Ob sie langfristig auch in der Bundespolitik auf Resonanz stößt, bleibt aber abzuwarten.

Umfangreiche wirtschaftliche Beziehungen

Polens Botschafter in Berlin Andrzej Przylebski hat vor wenigen Wochen abermals auf eine Lösung der Reparationsfrage gedrungen. Der PiS-Abgeordnete Bartlomiej Wroblewski deutet an, dass er die scharfen Worte, die mitunter aus seiner Partei kommen, so nicht wiederholen würde.
Auf die Frage nach den Reparationen antwortet er ausweichend. Schließlich sei es Polen noch nicht einmal gelungen, die meisten der Kunstwerke nach Polen zurückzuholen, die Deutsche während des Zweiten Weltkriegs gestohlen haben. Wroblewski hebt lieber einen anderen Aspekt der beidseitigen Beziehungen hervor. Die aus seiner Sicht im Übrigen besser als ihr Ruf seien.
"Wir sprechen gerne über die Probleme, über eine gute Zusammenarbeit schweigen wir. Wahrscheinlich, weil wir denken, das ist so offensichtlich. Der Umfang der wirtschaftlichen Beziehungen beträgt im Moment schon über 110 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist sehr viel, und das wächst jedes Jahr, unabhängig von allen anderen Faktoren."
Auch Wladyslaw Teofil Bartoszewski betont das Positive. So sei die polnische Regierung inzwischen davon überzeugt, dass das so genannte Weimarer Dreieck wiederbelebt werden sollte – also die außenpolitische Zusammenarbeit zwischen Deutschland, Polen und Frankreich.
Ein Gedenkort werde die Probleme, die es zwischen Berlin und Warschau gibt, zwar nicht aus der Welt räumen. Er werde aber, ist sich der Politiker und Historiker Bartoszewski sicher, helfen, dass sich die beiden Nationen künftig noch besser verstehen: "Symbole zählen auch in der Tagespolitik. Sie geben Impulse. Sie können die aktuellen Beziehungen verbessern."