Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Geplanter Verschleiß
Elektrogeräte mit kurzem Haltbarkeitsdatum

Ein Fernseher, der 15 Jahre hält? Mittlerweile schwer vorstellbar! "Geplante Obsoleszenz", geplanter Verschleiß, heißt das im Fachjargon. Der Berliner Autor Stefan Schridde beleuchtet in seinem neuen Buch dieses ärgerliche Phänomen, das der Wirtschaft auf Kosten des Konsumenten zu Profit verhilft, und gibt praktische Tipps.

Von Mirko Smiljanic | 15.12.2014
    Mann im Anzug hat ein Smartphone in der Hand
    Geht ein Elektrogerät kaputt, ist es meist billiger ein neues zu kaufen - anstatt das defekte zu reparieren. (picture alliance / dpa)
    Geahnt haben wir es schon lange, jetzt liegen Belege auf dem Tisch: Unternehmen versehen Drucker und Schuhe, Bohrmaschinen und Möbel mit Sollbruchstellen, die nach ziemlich genau definierten Zeiträumen zum Totalschaden führen. Geplante Obsoleszenz heißt dieser Vorgang, "Obsoleszenz" leitet sich aus dem Lateinischen "obsolescere" ab‚ was "sich abnutzen" bedeutet, "alt werden", "aus der Mode kommen". Wobei der Begriff in diesem Zusammenhang irreführend ist: "Abnutzen" und "alt werden" sind langsame Prozesse, "geplante Obsoleszenz", wie sie Stefan Schridde in seinem Buch "Murks? Nein danke!" beschreibt, passiert plötzlich. Zum Beispiel wenn Elektrolytkondensatoren – kurz Elko – Computerbildschirme einfach ausschalten:
    "Wenn solche Elkos auf den Platinen an Stellen verbaut werden, wo der heißeste Ort auf der Platine ist, obwohl es jede Menge andere Möglichkeiten gäbe auf der Platine, sie an anderer Stelle zu bauen, dann führt das zu einer Kurzlebigkeit des Elkos. Denn der verträgt keine Hitze, zehn Grad mehr halbieren seine Lebensdauer. Und jeder Elektroplatinenplaner sagt, das kann man unter sonst gleichen Kosten anders bauen, und in der Produktentwicklung kann man davon ausgehen, dass sehenden Auges hier billigend in Kauf genommen wird, dass die Haltbarkeit der Platine deutlich reduziert wird."
    Nun mögen muckende DVD-Rekorder, geknickte Schuhsohlen, klappernde Klappstühle und Handmixer, die "Zahnräder fräsen, statt Kuchen zu rühren" ärgerlich sein, wirklich neu ist das nicht. Glücklicherweise verharrt Stefan Schridde aber auch nicht beim Jammern, sondern bietet aktive Selbsthilfe. "Murks? Nein danke! – Was wir tun können, damit die Dinge besser werden" ist ein Arbeitsbuch voller hintergründiger und nützlicher Informationen.
    Markennamen sind keineswegs Garant für langlebige Produkte
    Es ist unterhaltsam geschrieben, Info-Kästen und Grafiken lockern das Layout auf, außerdem verweist der Autor auf Links und QR-Codes – das sind quadratische Buttons aus schwarz-weißen Punkten und Linien, die mit Smartphones gescannt, zu weiterführenden Internetseiten führen. Beim Lesen des Papierbuches ist das leider etwas umständlich. Wer E-Books nutzt, sollte sich "Murks? Nein danke!" besser in der digitalen Version kaufen, erst dann spielt es sein ganzes multimediales Potenzial aus. Da wird dann mit so manchem Mythos über den alltäglichen Murks aufgeräumt. Zum Beispiel, dass bekannte Markennamen keineswegs Garanten für langlebige Produkte sind. Immer wieder erlebe man, so Stefan Schridde:
    "Dass unter derselben Marke sowohl Haltbares wie auch nicht Haltbares produziert wird, zum Beispiel im Notebookbereich, wo es dann Notebooks gibt, die man gut warten kann, den Staub gut von der Lüfterplatine wegbekommt. Bei anderen ist der Lüfter dann so verbaut, dass er den Staub gegenbläst, schnell überhitzt und man keine Wartungsmöglichkeiten hat, und das unter demselben Dach."
    In sieben Kapiteln listet Schridde praktische Beispiele der geplanten Obsoleszenz auf, macht mit den Lesern Exkursionen in die Geschichte des "Murksvirus". Er erläutert juristische Fragen – was ist Vorsatz, was arglistige Täuschung und so weiter – und er beleuchtet die ökonomischen Bedingungen der geplanten Obsoleszenz. In diesem Zusammenhang interessant ist das Ergebnis einer vom Autor initiierten Umfrage, an der knapp 10.000 Menschen teilnahmen. 86 Prozent sind der Meinung, dass "Gier" verantwortlich ist für den Einsatz der geplanten Obsoleszenz. Ebenfalls interessant in diesem Zusammenhang ist eine Liste von Werbeslogans, mit denen die Industrie technische Produkte anpreist.
    "Aus Erfahrung gut."
    "Feel the difference."
    "Erst der Mensch, dann die Maschine."
    "Immer besser."
    "Designed for life."
    "Alles bleibt besser."
    "Born to perform."
    Gewinnsteigerung statt Kundenzufriedenheit
    Was soll man halten von solchen Werbeslogans vor dem Hintergrund, dass Käufern gezielt Waren angedreht werden, die rasch kaputt gehen? Wenig! Wenig hält Stefan Schridde auch von dem immer wieder geäußerten Argument, der Kunde reguliere mit seinem Kaufverhalten den Markt, er sei schließlich König:
    "Es gibt im Management mehr Applaus für Gewinnsteigerung als für konsequente Kundenorientierung. Geld fließt schnell und in alle Richtungen, manchmal in Millisekunden, rund um den Erdball. Der Finanzmarkt wird so zu Treiber für kurzlebige Produktqualität. Der Kunde ist zum letzten Zwischenlager kurz vor der Müllhalde geworden."
    Damit verlässt Stefan Schridde die kleinräumige Auseinandersetzung zwischen Produzent und Kunde. Murks sei in letzter Konsequenz ein weltwirtschaftliches Phänomen, das üblicherweise mit dem Begriff "Wachstum" einhergeht. Der Zwang zu immer mehr Umsatz führt in gesättigten Märkten notgedrungen zu zwei Maßnahmen: Erstens werden die Kosten gesenkt und zweitens der Verkauf angekurbelt – womit Stefan Schridde den Bogen zur geplanten Obsoleszenz geschlagen hat:
    "Man merkt eben: Was passiert eigentlich, wenn ein Markt gesättigt ist? Warum soll man denn nicht irgendwann eine Waschmaschine, wenn sie in allen Haushalten steht, so bauen, dass sie dort stehen bleibt und nicht dauernd repariert werden muss? Da sind die Betriebe hilflos, sie haben keine Antwort darauf, was nach Sättigung kommt."
    "Murks? Nein Danke!" ist auch eine Fundamentalkritik neoliberaler Wirtschaft. Aber das ist nur eine Seite des Buches, die andere betrifft die Kunden. Und da bietet Schridde praktische Hilfe:
    "Derjenige, der einkauft, kann erst mal für sich selbst überlegen: Warum kaufe ich schon wieder neu, warum nicht gebrauchte Dinge, die runderneuert sind, die meistens deutlich haltbarer sind, als die Dinge, die neu im Regal sind? Viele überlegen gar nicht mehr über die Reparatur. Wir haben ja schon viele Repair Cafés in Deutschland initiieren können. Es sind schon mehr als 100, da kann man auch mal hingehen und schauen, ob man nicht eigene Dinge selbst reparieren kann."
    "Murks? Nein danke! Was wir tun können, damit die Dinge besser werden" ist ein überfälliges Buch. Ein hervorragendes Geschenk im weihnachtlichen Kaufrausch!
    Stefan Schridde: "Murks? Nein danke! Was wir tun können, damit die Dinge besser werden"
    Oekom Verlag, 256 Seiten, 19,95 Euro.