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Rügen
Bürgerentscheid gegen Ferienhäuser

Ein Hamburger Investor wollte Ferienhäuser auf einem Naturcampingplatz auf Rügen bauen. Die Bürger sprachen sich dagegen aus. Die Beteiligung beim Bürgerentscheid war ungewöhnlich hoch, die Ablehnung ebenfalls. Jetzt soll der Naturcampingplatz vollständig erhalten bleiben.

Von Silke Hasselmann | 30.08.2019
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Blick von der Halbinsel Zudar im Süden Rügens auf den Strand. Hier herrscht kein Massentourismus. Für die Bürger ein ruhiger Fleck auf der Boddenseite. ((Deutschlandradio / Silke Hasselmann))
"Wenn es diesen wahnsinnigen Aufschrei, den wirklich dieser Ort - und ich glaube die ganze Insel - noch nie erlebt hat, wenn es diesen Aufschrei nicht gegeben hätte, wäre das Ding hier sang- und klanglos zugepflastert worden"- "Das wäre so passiert", erzählen Andreas Meyer und Eike Lüth bei einem Spaziergang auf Rügens idyllischer Halbinsel Zudar, wo sich seit dem 1960er-Jahren der Naturcampingplatz Pritzwald befindet. Eike Lüth leitet einen Agrarbetrieb, arbeitet ehrenamtlich in der Stadtvertretung von Garz und gründete vor fast zwei Jahren eine Bürgerinitiative. Warum?
Das erschließt sich rasch auf dem gemeindeeigenen Grund des Campingplatzes direkt am Bodden und mit der Kiefer als vorherrschendem Baum. Darunter weiträumig verteilt: Zelte, Campingwagen mit Vordach, Chalets. Eine Familie aus Sachsen, die zum vierten Mal hier ist, lobt das Campen mitten in der Natur sowie das gute Preis-Leistungsverhältnis.
"Wir haben 156 Euro bezahlt für drei Personen mit Wohnwagen. Eine Woche. Ist eben nicht so eingegrenzt mit Hecken und kleinen Buchsbäumen. Man kann sich ein bisschen breiter machen als normal, noch."
Einheimische hätten keinen Zugang mehr gehabt
Auch sie haben davon gehört, dass der Campingplatzbetreiber hier 44 Ferienhäuser plus große Schotterplätze für Wohnmobile plant. Ein Problem womöglich nicht nur für weitgereiste Besucher, sondern vor allem für die Einheimischen, die diesen öffentlichen Strandzugang seit je als Naherholungsgebiet nutzen, sagt Eike Lüth und weist mit ausgestreckten Armen auf die beiden geplanten Bauareale.
"Also hier rum, relativ dicht am Wasser, sollten kleinere Häuser stehen. Mit 80 Quadratmetern ist das ja nicht ganz klein. Und da hinten in dem Bereich sollten 22 Häuser mit 120 Quadratmetern Grundfläche stehen. Die Häuser sollten 7,50 Meter hoch werden. Das Gelände hätte man angehoben, und dann wären die natürlich über die Baumwipfel gekommen. Und da haben wir gesagt: `Das geht gar nicht. Das passt ja überhaupt nicht zum Campingplatz! ` Und es ging hier ja um die Ausweisung von Sondergebieten. Es hieß auch nicht mehr `Campingplatz`, sondern es sind richtig `Ferienhausgebiete`".
Investor argumentiert mit hohen Kosten
Investor ist der Campingplatzbetreiber. Der eher medienscheue Hamburger teilt mit, dass er erst nach dem Abschluss des Pachtvertrages mit der Stadt Garz von der Forderung der Forstverwaltung erfahren habe, mehr für den Brandschutz und gegen den hier und da entstandenen Wildwuchs mit befestigten Behausungen tun zu müssen. "Umgestalten oder schließen" - so habe die Alternative gelautet. Um die nötigen Investitionen "wuppen" zu können, wolle er nun Ferienhäuser bauen und müsse einige davon auch verkaufen.
Das Problem: Diese Absicht und ihre Dimension blieben lange im Verborgenen. Erst als bereits an einem Bebauungsplan gearbeitet wurde, bekam Stadtvertreterin Eike Lüth durch beharrliches Nachfragen Wind von der Sache und gründete die Bürgerinitiative. Mit dabei, weil das Schicksal vieler anderer Insel-Gegenden vor Augen: Andreas Meyer, Betriebsleiter einer Rügener Wäscherei.
Eike Lüth und Andreas Meyer stehen vor dem Naturcampingplatz Pritzwald.
Eike Lüth und Andreas Meyer sind in der Bürgerinitiative für den Erhalt des Naturcampingplatzes aktiv. (Deutschlandradio / Silke Hasselmann)
"Wir verschandeln die Insel mit riesigen Ferienhaussiedlungen. In manchen Gebieten stehen über hundert solcher Häuser auf der grünen Wiese. Da stehen nur diese Ferienhäuser, und das heißt: zehn Monate im Jahr sind die Rollläden unten. Das sind tote Dörfer."
Hohe Wahlbeteiligung bei Bürgerentscheid
Der Bürgerinitiative gelingt eine kleine Sensation: Obwohl es in Mecklenburg-Vorpommern hohe rechtliche Hürden für einen Bürgerentscheid gibt, dürfen die Wähler im Amtsbereich Garz am Tag der Europa-, Kommunal- und Bürgermeisterwahl am 26. Mai auch über die Zukunft des Naturcampingplatzes Rügen-Pritzwald abstimmen.
Nach langer Zeit politischer Lethargie auf der Insel endlich wieder so etwas wie Demokratie von unten, sagt Andreas Meyer: "86,5 Prozent haben in unserem Sinne mit Ja geantwortet. Also: `Soll der Campingplatz auch in Zukunft Campingplatz bleiben? ` Die Wahlbeteiligung lag bei über 70 Prozent, und das ist diesem Bürgerentscheid geschuldet."
Zu Gast im Rathaus Garz bei dem neugewählten ehrenamtlichen Bürgermeister Sebastian Koesling. Auch für den CDU-Mann hängt die hohe Wahlbeteiligung im Mai mit der Chance zusammen, dass die Leute parallel über ein konkretes lokales Problem abstimmen durften.
"Wo hat man das heutzutage in Deutschland noch: eine Stunde angestanden vor den Wahllokalen! Eine Stunde, um ihr demokratisches Grundrecht in Anspruch zu nehmen! Selbst bei meiner Bürgermeister-Stichwahl 50 Prozent Wahlbeteiligung, wo wir sonst bei Landratswahlen bei 20 Prozent manchmal eine peinliche Wahlbeteiligung haben, wo man sagt: `Ist das überhaupt eine legitime Wahl von der Beteiligung her? `Da sieht man, dass Demokratie auch in Deutschland manchmal noch so gut funktioniert. Man muss die Leute nur mitnehmen."
Notfalls wird neuer Investor gesucht
Und man müsse anschließend seine Versprechen halten, so Bürgermeister Koesling, der das Thema "Naturcampingplatz statt Ferienhaussiedlung" eigentlich schon vor zwei Wochen abräumen wollte. Um jedes Klagerisiko für die Gemeinde Garz auszuschließen, lässt er jedoch derzeit noch an der entsprechenden Beschlussvorlage für die Stadtvertreterversammlung feilen. Grundsätzlich bleibe es dabei: "Das ist selbstverständlich, dass ich gerade bei über 80 Prozent den Entscheid umsetze."
Dem jetzigen Campingplatzbetreiber wolle man helfen, die Auflagen zu erfüllen. Doch sollte er den Campingplatz auf Rügens Halbinsel Zudar tatsächlich schließen, weil er dort keine Ferienhäuser bauen darf, suche man einen Nachfolger.