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Geraubte Schätze
Opfer des Opiumkriegs

Die Zerstörung des Kaiserlichen Palastes am Ende des Zweiten Opium-Krieges 1860 ist eine der großen historischen Wunden Chinas. Umso größere Freude löste nun die feierliche Rückkehr zweier Bronzestatuen aus: Sie sind aus chinesischer Sicht zum Symbol für die Ansprüche des aufstrebenden Landes geworden.

Von Ruth Kirchner | 03.01.2014
    Es war für China ein großer Moment. Im Staatsfernsehen wurde verkündet, dass die französische Industriellenfamilie Pinault zwei Bronze-Statuen aus dem Sommerpalast – einen Hasenkopf und einen Rattenkopf – an China zurückgeben würde. Ohne Bedingungen
    "China heißt diese Aktion willkommen", sagte die Sprecherin im Fernsehen. Das sei eine freundliche Geste gegenüber dem chinesischen Volk. Und es werde dazu beitragen, weitere kulturelle Schätze nach China zurückzuholen.
    Das Fernsehen war dabei, als die beiden Köpfe in Peking ankamen und ausgepackt wurden. Es gab Applaus, Händeschütteln und warme Worte vom Direktor des staatlichen Poly-Museum, Wang Liqun.
    "Der historische Wert liegt darin, dass diesen Skulpturen chinesische Geschichte eingeschrieben ist – vom Niedergang zu neuem Wohlstand. Sie sind Zeugen der Geschichte. Daher sind sie für die Menschen wichtig."
    Bevor der Ratten- und der Hasenkopf nach China zurückkehrten, gehörten sie zum Nachlass des französischen Modeschöpfers Yves Saint Laurent. Als sie 2009 vom Auktionshaus Christie’s versteigert werden sollten, gab es in China eine Welle des Protests. Die Bronzen seien nationale Schätze und China der rechtmäßige Besitzer, hieß es. Erst versuchte Peking den Verkauf zu stoppen. Als das scheiterte, bot ein chinesischer Geschäftsmann 31 Millionen Euro und bekam den Zuschlag. Nur: Cao Mingchao weigerte sich zu zahlen. Er habe lediglich aus patriotischen Gründen mitgeboten:
    "Ich dachte, jeder Chinese muss jetzt seine Stimme erheben. Die Möglichkeit ergab sich einfach – ich wollte einfach nur meiner Verantwortung nachkommen. Aber ich muss betonen: Bezahlen werde ich nicht."
    Die Skulpturen blieben in Frankreich. Im Besitz der Familie Pinault. Francois Henri Pinault ist Chef der Firmen, denen Luxusmarken wie Gucci und das Auktionshaus Christie’s gehören. Das ist wichtig. Denn so ganz uneigennützig hat die Familie Pinault wohl nicht gehandelt, als sie Skulpturen der Volksrepublik schenkte. Christie’s ist seit diesem Jahr das erste internationale Auktionshaus, das ohne chinesischen Partner in China Geschäfte machen darf. Die ganze Geschichte habe einen Beigeschmack, sagt der Autor Wu Shu im chinesischen Fernsehen.
    "Wenn Du Dinge von mir klaust, solltest du sie zurückgeben. Ich muss sie nicht zurückkaufen. Es sollte dabei keine Geschäfte geben. Trotzdem denke ich, ist die Rückkehr der Skulpturen eine gute Sache. Das Wichtigste ist doch, dass sie jetzt wieder hier sind."
    Aber die Geschichte ist damit noch längst nicht zu Ende. Denn von den 12 Tierköpfen, die einst einen Brunnen im Lustgarten des Sommerpalastes zierten, sind bislang erst sieben wieder aufgetaucht. Fünf sind weiter verschollen. Niemand weiß, ob es sie überhaupt noch gibt. Und wer sie 1860 bei der Plünderung des Sommerpalastes mitgenommen hat.
    Die Zerstörung des Palastes am Ende des Zweiten Opium-Krieges ist eine der großen historischen Wunden Chinas – und wird in Filmen wie diesem nachgespielt. Die Zerstörung des Palastes von Kaiser Qianglong durch britische und französische Truppen gilt in China als DIE Demütigung durch den Westen. Eine Demütigung, die bis heute in die chinesische Psyche eingebrannt hat – als Beispiel für die Arroganz des Westens. Gerne unterschlagen wird dabei, dass auch Chinesen bei der der Plünderung des Palastes mitgemacht haben.
    Die Tierköpfe waren Teil eines Brunnens im Palast-Garten. Jeder einzelne Kopf konnte Wasser speien und damit die Zeit anzeigen. Das mag ganz hübsch gewesen sein, nur chinesisch war es nicht. Den Brunnen hatte ein französischer Jesuitenpater entworfen, den Garten ein Italiener. So stelle sich bis heute die Frage, was an dem Kulturerbe eigentlich chinesisch sei, sagt der Künstler Ai Weiwei.
    "Das hat doch mit nationalen Schätzen überhaupt nichts zu tun, sagt Ai. Von einem Italiener und einem Franzosen im 18. Jahrhundert entworfen für einen Kaiser der Qing-Dynastie, die China erobert hat. Wenn wir also von einem Nationalschatz sprechen, von welcher Nation reden wir dann eigentlich?"
    Ai Weiwei, weltberühmt aber fest in der chinesischen Kultur verankert, hat seinen eigene Version der Tierskulpturen entworfen. Chinesische Geschichte als Remake. Was ist echt, was Kopie? Und wer darf nationale Kulturgüter für sich reklamieren? Fragen, die nicht einfach zu beantworten sind. Unbestritten ist jedoch unter Kunsthistorikern, dass die Bronzeköpfe nicht besonders wertvoll sind. Und nicht besonders schön.
    "Sie haben symbolische Bedeutung, was aber nicht heißt, dass sie künstlerische Bedeutung haben, sagt Kunstexperte Gong Jisui. Es geht um eine kombinierte soziale und historische Sinngebung. Im Jahr 2000 hat China erstmals drei Köpfe zurückgekauft – das war bereits wichtig für die patriotische Erziehung."
    Dass China heute in der Lage sei, die Köpfe zurückzuholen sei das Entscheidende, sagt Gong. Und das ist das eigentliche Problem der Bronzeköpfe. Sie sind aus chinesischer Sicht zum Symbol geworden für die Ansprüche des aufstrebenden Chinas. Die Demütigung von 1860 sitzt so tief, dass China sich bis heute fast immer als Opfer sieht. Das gepaart mit einem neuen Nationalstolz macht eine rationale Debatte über die Bronzeköpfe bis heute so gut wie unmöglich.