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Geraubte Schätze
Wundersame Rückkehr einer Cranach-"Madonna"

"Die Madonna unter den Tannen" von Lucas Cranach war jahrzehntelang verschollen. Weihnachten 2012 ist eines der bedeutendsten Marienbilder der deutschen Renaissance an seinen Platz zurückgekehrt - nach Breslau, ins erzbischöfliche Museum.

Von Martin Sander | 01.01.2014
    Weihnachten 2012. Nach einer sechseinhalb Jahrzehnte währenden Irrfahrt ist eines der bedeutendsten Marienbilder der deutschen Renaissance an seinen Platz zurückgekehrt, nach Breslau, ins erzbischöfliche Museum neben dem Dom.
    "Die Madonna unter den Tannen", ein hochformatiges Gemälde von Lucas Cranach dem Älteren, zeigt die Gottesmutter im blauen Umhang, den Blick innig auf das Jesuskind gerichtet, im Hintergrund Berg-, Burg- und Baumlandschaft. 1510, als Breslau gerade dem König von Böhmen unterstand, kam das Cranach-Bild in den Besitz der Diözese – und blieb dort bis Ende des Zweiten Weltkriegs. Dann verschwand es spurlos.
    Verantwortlich waren indes nicht die neuen polnischen Machthaber, auch nicht die Trophäenjäger der Roten Armee, sondern ein deutscher Geistlicher. Der damals in Breslau tätige Kaplan Siegfried Zimmer, Kunstkenner und leidenschaftlicher Sammler, reparierte zunächst die bei einer kriegsbedingten Auslagerung gebrochene Holzplatte der Breslauer "Madonna". Ohne Genehmigung der Kirchenbehörden schmiedete er sodann einen Plan. Er beauftragte einen angehenden Kunstmaler mit einer Kopie, um das Bild – wie er selbst erklärte – "vor den Kommunisten zu retten". Der Heidelberger Cranach-Forscher Michael Hofbauer hat da seine Zweifel:
    "Dieser Kaplan Zimmer, der maßgeblich wohl an dieser Aktion beteiligt war, hat wohl nicht uneigennützig gehandelt. Wie es wirklich war, ich glaube, das werden wir nicht mehr wirklich herausfinden."
    1946 musste Zimmers Kopiergehilfe Breslau verlassen. Daraufhin vollendete Zimmer die Kopie. Ein Jahr später wurde er selbst aus Breslau vertrieben. Cranachs "Madonna" soll er als Reisetablett getarnt über die Grenze geschmuggelt haben. In Breslau, nunmehr Wrocław, blieb die Fälschung. Wojciech Kowalski, Rechtsexperte und Beutekunstspezialist des polnischen Außenministeriums, erklärt:
    "Die Kopie bekam damals noch einen speziellen Stempel. Sie hing fortan an einem dunklen Platz in einer Kapelle, sodass sie niemand genau anschaute. Anfang der sechziger Jahre bat der französische Flammarion-Verlag, der eine Cranach-Monographie plante, um eine Fotografie des Bildes. Dabei stellte sich heraus: Es handelte sich um eine Fälschung."
    Anzeige der Deutschen Bischofskonferenz
    Unterdessen war Kaplan Zimmer – den echten Cranach offenbar stets im Gepäck – über die sowjetische Besatzungszone nach München und schließlich ins oberbayerische Traunstein gelangt, um dort als Religionslehrer am Gymnasium zu wirken. Ein ehemaliger Lehrerkollege, dem Zimmer die "Madonna" einmal gezeigt haben soll, schildert ihn als hochgebildeten Eigenbrötler, ganz auf seine Kunstsammlung konzentriert – und nicht im allerbesten Einvernehmen mit seinen Kirchenoberen. Zimmer starb 1979, doch schon zu seinen Lebzeiten wurde das Bild auf dem grauen Kunstmarkt privaten Sammlern und Museen angeboten. Als auch die Deutsche Bischofskonferenz eine Offerte erhielt, erstattete sie Anzeige. Die Ermittlungen liefen aber ins Leere. 1971 hatte der Basler Kurator und Kunsthistoriker Dieter Koepplin das Madonna-Bild eindeutig als echten Cranach erkannt. Danach verlor sich abermals die Spur des Bildes. Irgendwann, wohl überreicht von den Erben eines Sammlers, fand sich Cranachs "Madonna" im Schweizer Bistum St. Gallen wieder. 2012 kam plötzlich Bewegung in den Fall. Wojciech Kowalski, der Beutekunstexperte des polnischen Außenministeriums, erinnert sich:
    "Es war einer der interessantesten Anrufe meines Lebens. Als ich gerade in Italien auf Skiurlaub Seilbahn fuhr, klingelte es. Hochwürden Józef Pater aus Wrocław sagte, der Cranach sei gefunden, und der Rechtsexperte der Diözese St. Gallen wolle mit mir die Rückgabe organisieren."
    Über Einzelheiten möchte keiner der Beteiligten sprechen. Angeblich soll bei der Rückgabe – letztendlich – kein Geld geflossen sein. Dass das Cranach-Bild aus der Schweiz nach Polen zurückkam, dürfte die Angelegenheit vereinfacht haben. Sind doch die deutsch-polnischen Verhandlungen über die Rückführung von geraubten, erbeuteten oder verlagerten Kulturgütern seit Jahren festgefahren. Geraubte Kunst aus deutschem Privatbesitz zurückzuerhalten gilt überdies als besonders schwierig, so der polnische Journalist und Beutekunstexperte Włodzimierz Kalicki:
    "Bei der Rückgabe von geraubter Kunst ist Deutschland in Europa der schwierigste Fall. Denn das deutsche Recht privilegiert diejenigen, die Kunstwerke aus der Hand von Dieben und Kriegsräubern übernommen haben. Wenn ein Werk länger als dreißig Jahre in Händen einer Familie geblieben ist, besteht keine Chance mehr auf Rückführung."
    Bleibt das Grundproblem: Handelt es sich bei dem einst verschleppten Cranach überhaupt um Raubkunst? Die Meinungen sind geteilt. Manch einer lässt das edle Motiv der Rettung vor den Kommunisten gelten. Dann muss man sich aber fragen, warum Kaplan Zimmer das Bild auch der deutschen Kirche nie übergeben hat, sondern es verbarg – und offensichtlich damit Handel trieb. Der Cranach-Spezialist Michael Hofbauer sieht es so:
    "Ganz gleich, wer sie nun entwendet hat oder gerettet haben will: In jedem Fall war Habgier im Spiel. Den damaligen Verlust der "Madonna" sollte man meiner Meinung nach nicht zu einer politischen Tat stilisieren."