Donnerstag, 28. März 2024

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Gergely Péterfy: "Der ausgestopfte Barbar"
Geliebt und verachtet

Gergely Péterfys Roman "Der ausgestopfte Barbar" spielt in der Wiener Gesellschaft des 18. Jahrhunderts. Der schwarze Kammerdiener Soliman wurde dort zum Musterbeispiel des "edlen Wilden" - bewundert, beneidet, gehasst. Nach seinem Tod ließ man ihn häuten und ausstopfen.

Von Lerke von Saalfeld | 21.12.2016
    Denkmal von Kaiser Franz II. im inneren Burghof der Hofburg Wien.
    Auf Geheiß von Kaiser Franz II. wurde Soliman gehäutet und ausgestopft. (imago / INSADCO)
    Zehn Jahre hat der ungarische Schriftsteller und Altphilologe Gergely Péterfy, geboren 1966, an seinem Roman über den Afrikaner Soliman, der in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts die Wiener Gesellschaft in Erregung versetzte, gearbeitet. Schaurig ist der Titel: "Der ausgestopfte Barbar" – so lautet auch der ungarische Originaltitel – und noch schauriger ist, dieser Titel ist ganz wörtlich zu nehmen: Als Soliman 1796 in Wien starb, wurde er auf Geheiß von Kaiser Franz II. gehäutet, ausgestopft und im Naturalien-Cabinett, dem Vorläufer des Naturkundemuseums, wie eine Jahrmarktbudenfigur zur Schau gestellt.
    Alle historischen Dokumente belegen, Soliman war eine hinreißend schöne Erscheinung, elegant und gebildet, die europäischen Höfe beneideten Wien wegen dieses Exoten, nur hatte er für das Wiener Publikum ein großes Manko, seine Hautfarbe war schwarz. Mit Hingabe und wundervollen Ausschmückungen beschreibt der Autor das Auftreten und das Aussehen dieser singulären Person, die auch an Bildung der Hofgesellschaft weit überlegen war.
    Zwiespältiger Held der Hofgesellschaft
    Der erfahrene Übersetzer György Buda verleiht dem Text im Deutschen eigenen Glanz und Würde. Schon in der Zeit der Aufklärung wurde das Bild vom "edlen Wilden" geprägt, Soliman war ein Musterbeispiel dafür. Und ihm widmet der Ungar Péterfy einen ganzen Roman, macht ihn zum zwiespältigen Helden der damaligen Hofgesellschaft, die ihn liebte und verachtete. Péterfy gesellt noch eine zweite Person hinzu, den ungarischen Baron Ferenc Kazinczy. Auch der ist historisch verbürgt.
    Kazinczy war ein aufgeklärter Geist, war ein Philosoph und Sprachreformer und Spracherneuerer. Die beiden lernten sich kennen und schlossen auf Anhieb Freundschaft, als Ferenc 27 Jahre alt war und Soliman bereits 65 Jahre zählte. Eines hatten beide gemeinsam, sie waren Freimaurer und gehörten der Loge "Zur wahren Eintracht" an, zu der auch Mozart Verbindung hielt, ebenso wie der Kaiser Joseph II. Logenbruder zu sein, bedeutete damals, "anders" zu sein, sich als Außenseiter in der Gesellschaft zu bewegen, ja sogar als Hochverräter verdächtigt zu werden. Der ungarische Baron büßt für sein Bekenntnis zum Jakobinismus mit sieben Jahren Kerkerhaft.
    Roman spielt nur an einem Tag
    Der Roman beginnt und endet am selben Tag, es ist der 27.Oktober 1831. Die Ehefrau von Kazinczy, der kurz zuvor an der Cholera gestorben war, ist nach Wien gereist, sie will dem ausgestopften Soliman im Naturalien-Cabinett persönlich in die Augen schauen. Erst in den letzten Tagen vor seinem Tod hat ihr Mann ihr die Lebensgeschichte von Soliman erzählt. Ferenc Kazinczy wollte diese kostbare Freundschaft nicht mit ins Grab nehmen, sie musste erzählt werden als Andenken und Erinnerung an einen besonderen Menschen, der die Hauptrolle in seinem Leben gespielt hatte.
    In Rückblenden und Einschüben erfährt der Leser die ganze Absurdität dieser Existenz: Von Sklavenhändlern nach Europa gebracht, erst in Diensten des Fürsten Lobkowitz auf Sizilien, dann verkauft an den Fürsten Liechtenstein in Wien. Sein Schicksal war es, als Hätschel- und Wunderkind der Gesellschaft gefeiert zu werden und gleichzeitig Ziel übelster Intrigen und Gemeinheiten zu sein. Ähnlich erging es auch dem ungarischen Ehepaar Kazinczy. Durch die Gefängnishaft des Mannes und seine aufklärerischen Gedanken verliert er sein gesellschaftliches Ansehen und wird ebenfalls zum Objekt infamer Intrigen.
    Soliman und Kazinczy, der eine Afrikaner, der andere Ungar, haben viel gemeinsam, fühlen sich als Brüder. Die Ehefrau Sophie ist nicht eifersüchtig. Als sie in einem mit rotem Stoff ausstaffierten Schrank den lebendigen Toten sieht, da fühlt sie – und dies sind die letzten Worte des Romans, "dass ich vor mir selber stand".
    Umgang mit dem Fremden
    Péterfy hat aus diesem Stoff keinen gewöhnlichen historischen Roman geformt, er erzählt vielmehr, sehr raffiniert verschlungen, wie eine Gesellschaft mit dem Fremden umgeht, was sie anzieht und was sie abstößt. Dabei ist nicht nur Soliman der Ausgegrenzte, auch Ferenc Kazinczy gerät mehr und mehr an den Rand der Gesellschaft und wird von seiner ungarischen Verwandtschaft verstoßen und in Armut gestürzt. Die Merkwürdigkeit beim Schreiben an diesem Roman ist, aus der historischen Kulisse schält sich durch den Umgang mit Flüchtlingen in Ungarn heute unter Viktor Orbán mehr und mehr ein reales aktuelles Szenario heraus – eine Lesart, die der Autor nicht zurückweist, aber er betont, "ich hoffe, dass diese Aktualität des Buches schnell vergeht. Ich bin trotz allem optimistisch. Ich sehe ein System, das unter der eigenen Last zusammenbricht."
    Übrigens, der ausgestopfte Soliman ist nicht mehr zu besichtigen. In den Wirren der Revolution von 1848 vernichtete eine Feuersbrunst dieses Denkmal der Grausamkeit.
    Gergely Péterfy: "Der ausgestopfte Barbar", aus dem Ungarischen von György Buda, Nischen Verlag, Wien 2016, 556 Seiten, 28 Euro