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Gericht hat "das Seil wieder etwas lockerer gelassen"

Die für diese Woche angekündigte Entscheidung zum Suhrkamp-Verlag ist überraschend bis September aufgeschoben worden. Was sind die Gründe für die Vertagung? Branchenexperte Joachim Güntner glaubt, dass der Richter eine "gewisse Scheu" davor hatte, ein Urteil zu fällen, das die Existenz des Verlags bedroht hätte.

Dina Netz im Gespräch mit Joachim Güntner | 13.02.2013
    Dina Netz: Wenn ich am Computer "Suhrkamp" tippe, dann schleicht sich inzwischen fast automatisch am Ende des Worts ein "f" ein, das ich dann wieder löschen muss. Da führt wohl Freud den Finger. Seit Monaten schon steht Suhrkamp weniger für qualitätsvolle Literatur, denn für einen substanziellen Streit. Und heute hätte eine entscheidende Etappe in dieser Auseinandersetzung sein können. Aber: Das Landgericht Frankfurt hat die Verhandlung über die Zukunft des Verlags vertagt bis September. Bis dahin sollen sich beide Anteilseigner außergerichtlich einigen. In dem Prozess geht es darum, dass die Familienstiftung und der Minderheitsgesellschafter Hans Barlach sich gegenseitig ausschließen wollen. Und Hans Barlach hatte bereits angekündigt, sollte er unterliegen, die Auflösung der Kommanditgesellschaft zu beantragen. Damit könnte das gesamte Verlagsvermögen von Dritten übernommen werden. Dazu kommt es nun - vorerst - also nicht. - Frage an Joachim Güntner, der die Verlagsszene bestens kennt: Was schätzen Sie, warum hat der Richter das Urteil verschoben?

    Joachim Güntner: Einmal sicherlich hatte er eine gewisse Scheu davor, ein Urteil zu formulieren, das die Liquidierung von Suhrkamp zur Folge hätte. Einen solchen Fall einer Verlagsliquidierung hat es noch nicht gegeben. Er wäre in der deutschen Verlagsgeschichte einmalig. So ein Urteil muss dann sehr gut begründet werden, weil natürlich die unterlegene Partei sofort in die Berufung gehen wird. Und man muss natürlich auch sagen: Indem der Richter im Dezember angekündigt hatte, es könnte möglicherweise Suhrkamp aus der Verlagsszene verschwinden und er werde den Parteien ein Urteil servieren, hat er Druck gemacht. Nun hat es in jüngster Zeit Bewegung hinter den Kulissen gegeben. Der Richter kann sich sagen, mein Druckmittel, diese Terminsetzung, hat offenbar funktioniert. Jetzt hat er das Seil wieder etwas lockerer gelassen.

    Netz: Genau. - Die Pressemitteilung des Gerichts spricht von "neuen Anträgen der Klägerin" und "beiderseitigen Mediationsbemühungen". Ist da also tatsächlich Bewegung in die Sache gekommen?

    Güntner: Ja es sieht so aus. Mir ist jetzt nicht der Name des Mediators oder der Vermittler bekannt, aber soweit mir Hans Barlach sagte, hat es also in der letzten Woche erstmalig auch ein Gespräch mit der Familienstiftung, also mit dem Anwalt Peter Raue, mit Ulla Unseld-Berkewéwicz und Hans Barlach gegeben. Die drei sind auch mal zusammengekommen, es sind nicht einfach nur die Emissäre zwischen ihnen hin- und hergelaufen. Das ist das eine. Das zweite ist: Im Wesentlichen geht es wohl um einen Antrag, einen Hilfsantrag, der am 9. Januar von der Unseld-Familienstiftung gestellt worden ist, nämlich dass man zusätzlich zum wechselseitigen Ausschluss oder zum Ausschluss Hans Barlachs wünscht oder zusätzlich beantragt, ihn hilfsweise gegen Zahlung einer Abfindung oder Entschädigung - der genaue Terminus ist mir jetzt nicht bekannt - auszuschließen. Und dieses Angebot, was gemacht worden ist, soll bei 3,9 Millionen Euro für die Geschäftsanteile von Hans Barlach liegen.

    Netz: Ist dieser Antrag denn irgendwie geeignet, die Sache aufzulösen? Heute ist ja zum Beispiel auch von der Frankfurter Kammer der Streitwert des Verlags geschätzt worden auf 20 Millionen; demnach wären die Anteile von Hans Barlach 7,8 Millionen wert. Aber der schätzt den Verlagswert weit höher ein. Also für wie realistisch halten Sie diesen Antrag?

    Güntner: Das sind beides natürlich strategische Zahlen. Als damals der Sohn des 2002 verstorbenen Patriarchen Siegfried Unseld, als Joachim Unseld seine Verlagsanteile verkauft hat, war ein Wert von Suhrkamp im Spiel von 18 Millionen. Da liegen also die 20 Millionen des Gerichts ziemlich dran. Die Familienstiftung hat jetzt mit ihrer Ausschlussforderung im Grunde nur die Hälfte dessen geboten, Barlach verlangt ein Vielfaches. Es ist enorm schwierig, so ein Verlagsvermögen oder so einen Verlagswert einzuschätzen, ob man da nach Umsatz geht oder nach den Erträgen geht. Ich glaube, es ist weiterhin ein Druckmittel des Richters, und er hofft nach wie vor darauf, dass die sich irgendwie außergerichtlich einigen, und das ist sehr schwer, weil da jeder über seinen Schatten springen muss.

    Netz: Ein anderer Vorschlag ist einer von Hans Barlach, nämlich der hat im "Spiegel" die Hoffnung geäußert, man könne sich auf einen sogenannten "weißen Ritter" einigen, also dass beide Anteilseigner Anteile abgeben zugunsten dieses weißen Ritters. Wie stehen denn da in Ihren Augen die Erfolgsaussichten?

    Güntner: Es ist nachvollziehbar, dass Hans Barlach sich das wünscht, aber ich kann mir unmöglich vorstellen, dass Ulla Unseld-Berkéwicz sich darauf einlässt. Es war ja lange Zeit früher so, dass die alten Gesellschafter, die Familie Reinhart in Winterthur, die Schweizer, die am Anfang 50.000 Mark gegeben haben, damit Siegfried Unseld den Verlag überhaupt gründen konnte, dass in der Auseinandersetzung mit denen Siegfried Unseld immer bestrebt war, sich aus dieser Abhängigkeit zu lösen und Mehrheitsgesellschafter zu werden. Das ist ihm gelungen. Heute hat Ulla Unseld 69 Prozent, sie ist die Mehrheitsgesellschafterin, sie kann im Grunde wie ein Verleger alten Schlages durchregieren von oben bis unten. Und dass sie nun sozusagen unter 50 Prozent wieder rutscht durch Veräußerung eigener Anteile und sich darauf einlässt - schwer zu glauben.

    Netz: Welchen Fortgang des Suhrkamp-Konflikts halten Sie denn nun für am wahrscheinlichsten?

    Güntner: Hans Barlach hat ja im "Spiegel"- Interview jetzt am letzten Montag gesagt, wenn er das vorher gewusst hätte, auf welchen Streit er sich einlässt und auf welche Kosten, hätte er nicht investiert. Die Frage ist, welche Chance man ihm gibt, aus der Sache rauszugehen, ob dafür auch die finanziellen Mittel vorrätig sind aufseiten Suhrkamps. Vielleicht bedarf es da eines Investors, der aber wahrscheinlich im Grunde wie ein Mäzen oder Sponsor mit dieser Großzügigkeit agieren müsste, dass man einfach Hans Barlach ein Angebot macht, was er auch annehmen kann. Ein solches liegt bislang nicht vor.

    Netz: Einblicke und Einschätzungen von Joachim Güntner zum Suhrkamp-Streit.


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