Jérôme Leroy: "Der Schutzengel"

Der Killer, der nun selber sterben soll

03:10 Minuten
Jérôme Leroy Der Schutzengel
Eine paranoide, aber schrecklich plausibel anmutende Geschichte, aus drei Blickwinkeln erzählt: Der neue Roman von Jérôme Leroy. © Edition Nautilus / Deutschlandradio
Von Thomas Wörtche · 17.04.2020
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In seinem Politthriller "Der Schutzengel" analysiert Jérôme Leroy mit säureklarem Blick Heuchelei und Korruption der französischen Eliten – und tritt dabei mit Witz und großer Meisterschaft in alle Richtungen.
Wie ein Schutzengel wirkt Berthet wahrlich nicht. Er ist Killer für die "Unité", eine dem französischen Innenministerium unterstehende Geheimorganisation, die alle "schmutzigen" Angelegenheiten der Republik final erledigt.
Sie ist der sprichwörtliche "Tiefe Staat", so gut wie nicht zur Verantwortung zu ziehen, gottgleich in ihren unerforschlichen Ratschlägen. Die Unité sieht alles, weiß alles und tötet alles, was irgendwem nicht in den Kram passt.

Auf eisig-perverse Weise "ideologiefrei"

Sie hat sich in allen Institutionen eingenistet, hat Polizei, Geheimdienste, das Militär, die Wirtschaft und die Presse infiltriert. Sie ist auf eisig-perverse Weise "ideologiefrei" – wenn es ihr passt, stützt sie äußerste nationale Rechte (die bei Leroy immer "der Block" heißt), manchmal aber auch die Linke und ganz sicher die Sozialisten.
Berthet hat immer brav getan, was man von ihm verlangt hat, gemordet, gefoltert, betrogen. Jetzt ist er selbst an der Reihe. Warum genau, das weiß er nicht, die tiefschwarzen Rankünen der Unité versteht niemand mehr.
Was er aber weiß: Bei den Sozialisten macht gerade Kardiatou Diop Karriere. Die junge Frau mit senegalischen Wurzeln steigt kometenhaft zur Staatssekretärin im Kultusministerium auf. Deswegen ist sie in den Augen der Partei das ideale Opfer für ein Attentat, das man dem Block anhängen könnte.

Eine schwarze Frau auf dem Weg nach oben

Denn der Block wird den Sozialisten gerade gefährlich, und eine schwarze Frau auf dem Weg nach oben sehen auch die alteingesessen sozialistischen Eliten nicht gern.
Weil aber Berthet seit 1992 seine schützende Hand über Diop hält – das einzige Sentiment, das er sich gönnt – will er wenigstens dieses Attentat verhindern. Unterstützt wird er dabei von dem Kriminalschriftsteller Martin Joubert, den sich Berthet als Chronist seines Lebens auserkoren hat, als er merkt, dass man seinen Tod will.
Jérôme Leroy, der sich seit jeher mit dem Aufstieg und der Struktur des Front National und dem Versagen der Sozialisten beschäftigt, erzählt diese paranoid, aber schrecklich plausibel anmutende Geschichte aus drei Blickwinkeln: Der erste Teil dreht sich um Berthet, wobei Leroy schon fast pastiche-artig den sarkastisch-lakonischen Erzählton von Jean-Patrick Manchette anschlägt (dem Godfather des französischen Néo-Polar).
Der zweite Teil leuchtet die Figur des Intellektuellen Joubert aus, der vom aufrechten linken Lehrer zum Lohnschreiberling ohne Prinzipien verkommen ist, und der dritte Teil ist Kardiatou Diop gewidmet, an deren Aufstieg Leroy das ganze Versagen, die Heuchelei und die Korruption der französischen Politik demonstriert.

Die tiefe Verderbtheit des französischen Staates

"Der Schutzengel" ist ein hundsgemeines, in alle Richtungen tretendes Buch, das eine tiefe, historisch bedingte Verderbtheit des französischen Staates vorführt, der alle Werte schon längst dem Neoliberalismus in den Rachen geworfen hat, dessen gesellschaftspolitischen Konsequenzen nicht mehr Herr wird und deswegen ultrabrutal um sich schlägt, um wenigsten eine oberflächliche Friedhofsruhe herzustellen.
Leroy tut das mit großer Meisterschaft, mit Witz und säureklarem Blick - und sogar mit einem Vorschein von Utopie am Schluss.

Jérôme Leroy: Der Schutzengel
Aus dem Französischen von Cornelia Wend
Edition Nautilus, Hamburg 2020
352 Seiten, 20,00 Euro

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