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German Bionic
Superkraft durch Akku und Anzug

Wo menschliche Muskelkraft nicht ausreicht, um Schweres zu heben, sollen Exoskelette helfen. Roboter-Anzüge, die Muskelkraft verstärken. Solche Anzüge baut das Unternehmen German Bionic. Einsetzbar sind sie am Bau, in der Logistik und vielleicht demnächst sogar beim Ballett.

Von Klaus Lockschen | 08.02.2019
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    Mit dem Exoskelett zu mehr Muskelkraft (German Bionic)
    Eine Verwandlung zum Superman beschert Cray x dem Nutzer allemal nicht, aber nach dem Anlegen des Exoskeletts laufen einige Bewegungsabläufe deutlich leichter ab als allein gespeist durch die Kraft der menschlichen Natur.
    "Was wir machen wollten, ist, dem Menschen ein schlaues, gutes Hilfsmittel an die Hand zu geben, eben so eine Art assistierenden Roboter, der aber so nah schon assistiert, das er eben direkt am Menschen angebracht ist",
    sagt Peter Heiligensetzer, Gründer und technischer Geschäftsführer des Augsburger Unternehmens German Bionic, das nun als Pionier seit gut einem Jahr den anziehbaren Roboter in Serie baut. Eine Idee, vom Tierreich abgeschaut.
    "Das ist auch so ein bisschen der Grund unseres Firmennamens: German Bionic, weil es eben auch Tiere gibt mit einem Exoskelett, also quasi die die Krafteinleitung um den Körper herum aufbringen, so, wie verschiedene Meerestiere. Da kam auch der Ursprung unseres Produktes Cray, der Krebs. Da ist es so ein bisschen angelehnt".
    Mensch, Maschine und die Tierwelt
    Was 2011 in einem EU-Forschungsprojekt innerhalb eines internationalen Konsortiums begann und mit Prototypen, noch weit entfernt von einem Serienprodukt, endete, das verfolgte der Mittvierziger weiter, gründete 2016 das Unternehmen und machte sich mit Investoren aus Deutschland, Japan und Taiwan an den Feinschliff. Mit im Koffer: seine 20-jährige Erfahrung in der Entwicklung von Industrierobotern.
    Der Anwendungsbereich war klar umrissen: dort, wo kraftzehrende Arbeitsabläufe nicht sinnvoll durch vollautomatisierte Robotersysteme ersetzt werden können, wo also in der industriellen Fertigung beim Heben schwerer Lasten besonders der Lendenwirbelbereich stark beeinträchtigt wird, etwa im Autobau, Baugewerbe, letztlich im gesamten Logistikbereich.
    Mit dem Akku huckepack
    "Unser Ansatz der aktiven Exoskelette: Wir bringen aktiv Energie von außen ein. Sie haben einen Akku auf dem Rücken. Also nicht nur die eigene Energie des Menschen wird verwendet, sondern gerade punktuell im unteren Rücken, da hat er Energie, die von außen zugeführt wird. Es hilft einem dann, wenn man quasi gezwungen ist, unergonomisch zu heben. Zum Beispiel man sich nach vorne beugen muss und aus einer Gitterbox etwas rausnehmen, und dann wird er unterstützt, und der Oberkörper wird aufgerichtet"
    Rund ein Viertel aller krankheitsbedingten Fehlzeiten in den Unternehmen sowie Frühverrentungen sind laut Bundesamt für Arbeitsschutz auf Muskel- und Skeletterkrankungen zurückzuführen.
    "Cray x" ist ein auf dem Rücken getragenes System, bestehend aus einer Magnesiumschale und Alu-Gestängen, die mit Gurten fixiert werden. Das Herzstück, der mechatronische Antriebsstrang, besteht aus Akku, Sensoren, Steuerplatine und jeweils einem im Drehpunkt der Hüftgelenke platzierten kleinen Servomotor. An den Oberschenkeln klemmen zur Kraftübertragung faustgroße Platten.
    "Es wiegt aktuell so gute acht Kilo. Man kann es sich so ein bisschen wie einen Trekkingrucksack vorstellen. Alson vielleicht klingt es erst einmal nicht wenig, aber das Gerät ist sehr eng am Körper, die Motoren, die ganze Elektronik ist sehr eng am Körper, und das Gewicht liegt auf den Hüftknochen auf. Also wie bei einem guten Trekkingrucksack".
    Superkräfte für Katastrophenhelfer
    Das Anlegen geschieht in wenigen Sekunden. One size fits for all, sagt Heiligensetzer über den 39.000 Euro teuren Roboter, der auch in Japan vertrieben wird. Absatz- und Umsatzzahlen will er in dieser frühen Unternehmensphase nicht nennen. Hineingeschlüpft in das Trägersystem, dann ist Cray einsatzbereit und kompensiert ein Gewicht von 15 Kilogramm. In medizinischen Daten ausgedrückt, bedeutet das 40 Prozent weniger elektrische Muskelspannung und 40 Prozent weniger Kompression der Bandscheiben. Und mittlerweile ist Cray auch als noch potenterer Kraftanzug für den Katastropheneinsatz erhältlich.
    "Bei den Rescue Cray plus ist der Fokus jetzt weniger die Dauerbelastung, sondern eher die starke Unterstützung im kurzzeitigen Einsatz. Das heißt, die Motore sind noch etwas stärker, er wird damit 20 bis 25 Kilo unterstützt und mehr heben können. Das Gerät ist robuster, so dass wir voll outdoor-tauglich sind, und es wird erweiterte IOT-Funktionalitäten geben wie GPS, so dass man sieht, wo der Retter denn gerade ist und eine übergeordnete Leitstelle da vielleicht was koordinieren kann".
    Bei der Pflege fehlt noch das Produkt
    Der Firmenchef führt durch die Etage, überwiegend ein Großraum mit augenscheinlich mehr Büro- denn Produktionsambiente. Der Blick nach außen fängt ein anachronistisches Bild ein. Hier Hochtechnologie, vis-à-vis Industriegeschichte von vor 100 Jahren. Denn in Wurfweite imponiert das bereits vor 40 Jahren stillgelegte Augsburger Gaswerk mit seinen Gasometer-Skeletten. Die Fertigung der Exoskelette erfolgt in zwei, drei separaten Räumen und ist reine Montage.
    "Ich montier momentan den Antriebsstrang und führe da einfach den Motor mit Flansch, Dichtungen und Getriebe zusammen. Und dann werden natürlich noch die Kabel richtig abgelängt und auf die Motorplatinen gelötet. Und dann kann das einfach alles an die Stützstruktur geschraubt werden",
    kommentiert einer der Beschäftigten. Alles platze aus den Nähten, sagt Heiligensetzer. Deshalb hat er eine benachbarte Halle angemietet, in der schon bald auf 1.000 Quadratmetern eine "gläserne Produktion" entstehen soll. Marktprognosen lassen eine steile Nachfrageentwicklung erwarten. Und so steht schon die nächste Anwendungsanpassung für die 50-köpfige Belegschaft auf der To-do-Liste.
    "Wo wir auch sehr viele Anfragen gerade haben, wo wir aber jetzt aktuell noch nicht das passende Produkt haben, ist der Bereich Pflege. Also viele, die ihre Angehörigen, also auch Privatleute, die Angehörige pflegen wollen und sagen: ich schaff das nicht, weil ich den nicht hochheben kann, weil der Rücken nicht mit macht, hätten da gerne im Bereich der Pflege eine Unterstützung".
    Auch scheinen sich ungeahnte Einsatzbereiche zu eröffnen: Eine Choreographin hat angefragt, ob sie den Tanz mit dem Anziehroboter wagen dürfe. Ob da wohl für einen schwergewichtiger Tanzpartner externe Hilfe benötigt wird?