Freitag, 19. April 2024

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Germanist zur Framing-Debatte
"Souverän sind wir ja immer noch"

Seit 2.500 Jahren kreise die Kulturgeschichte um die gleichen Probleme, sagte der Germanist Manfred Geier im Dlf. Es sei daher nicht verwerflich, im Rahmen der Sprachpolitik Fachleute zurate zu ziehen. Schwierig werde es nur, wenn nicht mehr der eigene Verstandesgebrauch durch Anleitung geschult werde.

Manfred Geier im Gespräch mit Birgid Becker | 03.03.2019
Illustration: Kommunizierende Personen.
Denken durch Sprache umdeuten? Das „Framing-Manual“ - ein internes Papier zur Kommunikationsstrategie der ARD - hat in der Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit erregt. (imago/Ikon Images)
Denken durch Sprache umdeuten: Das Framing-Manual - eine Art Rhetorik-Gebrauchsanweisung im Auftrag der ARD - hat für Aufregung gesorgt. Dazu sagte der Germanist und Philosoph Manfred Geier im Dlf-Interview, der Diskurs über Sprache wiederhole sich seit der Antike:
"Dass immer wieder ähnliche Probleme auftauchen, ähnliche Fragen gestellt werden - allerdings sind die Lösungsvorschläge dann anders - und das finde ich interessant. Weil es zeigt ja auch, was eine Kulturgeschichte für eine Bedeutung besitzt, dass sie seit 2.500 Jahren immer wieder um die gleichen Probleme kreist."
"Ich sehe gar nicht die große Dramatik"
Man gehe davon aus, dass "diejenigen, die verantwortlich sind, als Politiker oder beim Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk, so gut ausgebildet sind, dass sie mit einer klaren Sprache das vermitteln können, was sie sagen wollen. Das Problem nur dabei ist: Warum soll man nicht verbessern können? In anderen Bereichen des Lebens lernen wir ja auch immer wieder dazu. Und warum sollte man nicht auch im Rahmen der Sprachpolitik im weitesten Sinne kompetente Fachleute zu Rate ziehen, wenn sie einem zur Lösung der Probleme helfen können, mit denen man es zu tun hat. Ich sehe gar nicht die große Dramatik, dass man Berater hinzuzieht - auch im Fall der Vermittlung von Gedanken über sprachliche Möglichkeiten."
"Wenn einem vorgeschrieben wird, was man zu sagen hat"
"Das Manipulative - da muss man äußerst vorsichtig sein. (...) Die Grenze liegt dort, wo es nicht mehr um den richtigen Verstandesgebrauch geht und um die Vermittlung der Möglichkeiten des Denkens für andere, sondern wenn einem vorgeschrieben wird, was man zu sagen und wie man es zu sagen hat. Wenn es ins Diktatorische geht oder wenn es in ein autoritäres Beraten hinein geht und nicht mehr der eigene Verstandesgebrauch durch Anleitung geschult wird - das ist eine sehr schwierige Gratwanderung."
"Welchen großen Raum lässt man diesen Empfehlungen"
"Es war nie so, dass man sagte, die Begriffe sind neutral und beschreiben sachlich und entemotionalisiert einen Sachverhalt oder einen Tatbestand. (...) Die ganze Rhetorik der Antike basiert auf der Wirkung und eine Wirkung wird erreicht natürlich über Emotion und nicht nur über ein sachliches Argument. (...) Die Frage ist nur, welchen großen Raum lässt man diesen Empfehlungen oder diesen Maßnahmen heute im öffentlichen Diskurs. (...) Ich glaube, wir sind nicht so weit, dass wir hier Marionetten sind, Sprach-Marionetten, die an den Bändern von irgendwelchen Beratern sind, die uns irgendwie zu sagen haben, wie wir sprechen sollen."
Hirnforschung als "modisches Accessoire"
Die Einflüsse der Hirnforschung in das Framing halte er für ein modisches Accessoire, dass man draufsetze, um die Sache wissenschaftlich abzusichern, so Geier. Doch letztlich gehe es um die Begriffe, die man seit der Antike kennt. Es gehe um Beeinflussung, um Wirkung und die direktive Funktion der Sprache.
"Wir leben in Bildern, aber an die haben wir uns gewöhnt ... ab und zu muss man auch mal darüber nachdenken, in welchen Bildwelten wir uns befinden. Aber so souverän sind wir ja immer noch."
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