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Germanwings-Absturz
"Untersuchungsstellen arbeiten unabhängig"

Der Luftfahrt-Experte Elmar Giemulla erwartet eine objektive Aufklärung des Absturzes des Germanwings-Flugs. Die Ermittlungsbehörden arbeiteten unabhängig, sagte er im DLF. Aufschluss über die Ereignisse an Bord werde vor allem der Cockpit Voice Recorder geben.

Elmar Giemulla im Gespräch mit Bettina Klein | 25.03.2015
    Der Voice-Recorder der in Frankreich abgestürzen Germanwings-Maschine 4U 9525.
    Der Voice-Recorder der in Frankreich abgestürzen Germanwings-Maschine 4U 9525. (BEA/dpa)
    Bettina Klein: Niemanden hierzulande, der sich gelegentlich in ein Flugzeug setzt und das auch in Zukunft noch tun möchte, niemanden kann unberührt lassen, was sich gestern über den französischen Alpen abspielte. Nach Jahren der gefühlten Sicherheit nicht nur ein Absturz über Europa, nicht nur mit einer Maschine auf dem Weg nach Deutschland, sondern ein Unglück einer Maschine einer deutschen Fluggesellschaft, bei der sich bisher viele sicher fühlten. Ein Flugzeug zerschellt an einem Bergmassiv in unzählige kleine Trümmerteile, ganze Bergzüge übersät mit Überresten, die Bergung, die derzeit läuft, entsprechend schwierig wie auch die Identifizierung der 150 Opfer.
    Wir haben es gehört: Erst nach der Auswertung der Flugschreiber werden wir etwas belastbarere Informationen zur Verfügung haben. Eine erste Pressekonferenz dazu ist für heute Nachmittag angesetzt. - Am Telefon begrüße ich Professor Elmar Giemulla, Flugexperte von der Technischen Universität Berlin. Ich grüße Sie.
    Elmar Giemulla: Guten Tag.
    Klein: Wir haben noch mal gehört: Ausgeschlossen werden kann als Ursache bisher gar nichts. Das bleibt auch Ihrer Meinung nach dabei?
    Giemulla: Das ist in der Tat so, denn es ist ja so, dass für die Auswertung der Cockpit Voice Recorder, der Recorder insgesamt die Flugunfall-Untersuchungsstelle BEA zuständig ist. Das sind Experten, die können das. Das ist die offizielle Stelle, die dann auch feststellt, was da wirklich gelaufen ist. Wir hoffen natürlich alle, dass das in naher Zukunft festgestellt werden kann, denn wir sind das alle den Hinterbliebenen schuldig, sie nicht allzu lange in Ungewissheit zu lassen, warum denn ihre Verwandten gestorben sind.
    "Unfalluntersuchungsbüros sind unabhängig"
    Klein: Sie haben gestern schon relativ frühzeitig darauf hingewiesen, dass es einen relativ langen Sinkflug der Maschine gegeben hat von etwa acht Minuten, kurz nachdem erst die Reisehöhe erreicht war, und dass die Piloten dennoch keinen Notruf abgesetzt haben. Für Sie gibt es im Laufe der letzten 24 Stunden auch keine weiteren Indizien, die auf etwas hindeuten?
    Giemulla: Bisher nicht. Ich verspreche mir sehr viel von der Auswertung des Cockpit Voice Recorders. Die letzten acht Minuten, die ja entscheidend sind für die Feststellung der Unfallursache, die sind ja aufgenommen worden. Wir hoffen, dass auch unbeschädigt das aufgenommen worden ist, dass man es wirklich auslesen kann. Die beiden Piloten haben natürlich miteinander geredet. So etwas nimmt man ja nicht schweigend hin, dass man sinkt und es nicht beeinflussen kann und sehenden Auges in ein Bergmassiv hineincrasht. Das heißt, was immer da gesprochen sein mag, das wird einen sehr deutlichen Aufschluss über die Unfallursache geben. Und selbst wenn kein Wort gefallen ist, dann kann man daraus auch seine Rückschlüsse ziehen.
    Klein: Wir haben es gehört: Erste Erkenntnisse werden möglicherweise noch heute bekannt gegeben werden. Insgesamt soll die Auswertung aber vielleicht sogar Wochen dauern. Jetzt gibt es schon Leute, die fragen: Wer entscheidet denn am Ende, wenn es aus welchen Gründen auch immer sehr brisante Erkenntnisse gibt, wer entscheidet eigentlich darüber, was da veröffentlicht wird? Wer wacht darüber, dass die Öffentlichkeit tatsächlich die ungeschminkte vollständige Wahrheit erfährt?
    Giemulla: Glücklicherweise ist das international geregelt: Erstens, dass es solche Unfalluntersuchungsbüros geben muss - auch Deutschland hat eine solche Stelle -, und zweitens, nach welchen Regeln die arbeiten. Der Sinn dieser Stellen ist, dass solche Katastrophen genutzt werden, um daraus Lehren zu ziehen, um die Mängel, die da sichtbar werden, abzustellen, damit anderen dasselbe Schicksal erspart bleibt, die Luftfahrt insgesamt sicherer wird. Da ist keine eigenständige und zusätzliche Entscheidung irgendeines Politikers nötig. Diese Stellen sind unabhängig, sie arbeiten unabhängig und veröffentlichen ihre Ergebnisse aus sich heraus, und zwar auch unabhängig von politischen Weisungen und ungeschminkt. Das ist ganz wichtig und der Sinn dieser Unfalluntersuchungen. Deswegen dürfen wir darauf vertrauen, dass das, was am Ende hoffentlich sehr bald veröffentlicht wird, tatsächlich auch der Wahrheit entspricht.
    "Können wirklich eine objektive Aufklärung erwarten"
    Klein: Vielleicht ist politischer Einfluss, den man ja in anderen Zusammenhängen mitunter befürchtet, gar nicht so entscheidend, als - auch das ist ja eine Vermutung im Augenblick - der mögliche Einfluss der Anwälte von Fluggesellschaften, die sich sehr genau angucken werden, was da rauskommt.
    Giemulla: Das werden die sich sicherlich angucken und unter Umständen - das wird man sehen - natürlich Fakten, die gegen ihre eigenen Mandanten sprechen, verkleinern, verniedlichen wollen. Es bleibt aber dabei, dass die Fakten, wenn sie denn von der Unfalluntersuchungsstelle festgestellt werden, einfach in der Welt sind, mitgeteilt werden, der Öffentlichkeit, den Medien mitgeteilt werden, der Politik mitgeteilt werden, und da ist natürlich der Grat für Anwälte, das wegzudiskutieren, ganz, ganz schmal. Wir können hier wirklich erwarten und hoffen, dass wir eine objektive Aufklärung haben.
    Klein: Wir erwarten und wir hoffen. Wir müssen uns quasi darauf verlassen, dass die Behörden sich nicht von Anwälten zum Beispiel beeinflussen lassen?
    Giemulla: Das wird so sein. Die Behörden werden ja nicht von Anwälten bezahlt. Die Behörden können keinen Schaden durch Anwälte erleiden. Sie sind Staatsbedienstete, die nicht weisungsunterworfen sind irgendeinem Minister gegenüber. Alles das ist bewusst so eingerichtet worden, um genau die Gefahren, von denen Sie reden und von denen es ja andere geben mag, nämlich die Gefahren, die Möglichkeit und die Interessen, Fakten zu unterdrücken, dass das wirklich ausgeschlossen wird. Denn wenn das möglich wäre, dann wäre es keine objektive Untersuchung, dann würde es auch keine Verbesserung geben können.
    Klein: Aber gab es nicht in der Vergangenheit immer wieder Beispiele dafür, dass verschiedene Interessengruppen doch eine Weile darüber gestritten haben, wie jetzt Informationen von diesen Flugschreibern interpretiert werden und für wen oder gegen wen das eigentlich spricht. Das haben wir doch schon erlebt in der Vergangenheit, oder nicht?
    Giemulla: Das ist auch so. Natürlich gibt es Beobachter, die herangezogen werden, Beobachter des Produzenten, des Erbauers des Luftfahrzeuges. Airbus wird mit dabei sein, aber nicht als entscheidende Stelle, sondern als Beobachter, nicht jetzt unbedingt, um Dinge zu verschleiern, sondern natürlich auch, um Kommentare zu geben zu Dingen, die herausgefunden werden, um die aus Sicht des Produzenten in diesem Falle auch erläutern zu können. Aber die entscheiden nicht mit. Die haben einen Beobachterstatus, genau wie zum Beispiel die Vertreter der deutschen Flugunfall-Untersuchungsstelle auch ja herangezogen werden, aber auch nur Beobachterstatus haben, weil die entscheidende Stelle, die das Verfahren durchführt und am Ende auch den Bericht veröffentlicht, ist die französische BEA.
    "Den Kollegen der verstorbenen Crew Geduld gegenüberbringen"
    Klein: Herr Giemulla, ich würde gerne noch auf einen weiteren Punkt schauen. Es sind auch heute Morgen und wohl gestern schon Flüge bei Germanwings gecancelt worden, weil Piloten und Crews nicht bereit waren, einzusteigen und ihren Dienst anzutreten. Wie ordnen Sie das ein? Geht es da einfach um eine persönliche Betroffenheit, darum, dass Kollegen sagen, wir möchten uns das am Tag danach nicht antun, oder kann man davon ausgehen, dass es möglicherweise begründete Sicherheitsbedenken von der Fluggesellschaft selbst gibt?
    Giemulla: Ich glaube eher, dass es eine emotionale Frage ist. Man muss sehen, dass das ja immerhin auch Kollegen und Kolleginnen waren, die jetzt hier gestorben sind. Die Leute kennen sich untereinander. Die Identifikation mit der Situation ist natürlich weitaus höher, weil es die Berufsausübung, weil es das Leben dieser Leute ist, und da ist es sehr nachvollziehbar, muss man auch sagen, dass man am nächsten Tag nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann. Es geht nicht nur darum, dass wir dann Rücksicht nehmen müssen auf die Leute, die jetzt den Dienst verweigert haben, sondern es ist ja auch ein Sicherheitsfaktor. Wer nicht in der Lage ist, wer einfach emotional zu stark belastet ist, um seinen Dienst zu tun, der macht ihn nicht richtig und der würde dadurch unter Umständen eine weitere Gefahr heraufbeschwören. Ich glaube, wir müssen den Kollegen der verstorbenen Crew wirklich Geduld gegenüberbringen.
    Klein: Professor Elmar Giemulla von der Technischen Universität Berlin heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk. Haben Sie herzlichen Dank für Ihre Einschätzungen.
    Giemulla: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.