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Germanwings-Unglück
Die Medien und der Absturz

Das Haus des Co-Piloten wurde im Fernsehen gezeigt, sein voller Name in verschiedenen Medien veröffentlicht. Hinzukommen die mehr als voreiligen Spekulationen - ganz zu schweigen von Formulierungen in äußerst schlechtem Stil. Festzuhalten bleibt: Abgestürzt ist nicht nur ein Flugzeug mit 150 Menschen an Bord, sondern leider auch der Journalismus.

Von Bettina Schmieding | 26.03.2015
    Mikrofone von Medienanstalten stehen auf einem Tisch
    Auch Medien vermeintlich höherer Qualität bekleckern sich in diesen Tagen nicht mit Ruhm. (picture alliance / dpa / Marc Müller)
    Wenn sich ein Fernsehsender wie N24 bei Twitter derartig in den Staub wirft, muss er schon einiges ausgefressen haben:
    "Es tut uns leid, dass wir das Haus des Germanwings-Co-Piloten im TV gezeigt haben. Wir werden in Zukunft auf diese Bilder verzichten."
    Doch auch Medien vermeintlich höherer Qualität bekleckern sich in diesen Tagen nicht mit Ruhm. So titelt die Wochenzeitung "Die Zeit" heute. "Absturz eines Mythos – Wenn eines sicher war, dann die Lufthansa. Das furchtbare Unglück der Germanwings rührt am Selbstverständnis des Konzerns – und der Nation."
    "Ob dieser verunglückte Titel wohl auch am Selbstverständnis der Zeitung rührt", fragte der Medienjournalist Stefan Niggemeier heute Mittag. Da hatte die stellvertretende Chefredakteurin der "Zeit" bei Twitter schon zugegeben, dass der Titel wohl irgendwie daneben war. Und noch darauf bestanden, dass die Ursache der Katastrophe ja schließlich auch noch ungeklärt sei. Dies zu einem Zeitpunkt, als der französische Staatsanwalt in einer Pressekonferenz den Co-Piloten bereits für den Absturz verantwortlich gemacht hatte - im Original unter Nennung von dessen vollständigem Namen.
    Eine Gelegenheit, die sich internationale aber auch deutsche Medien nicht entgehen ließen. Und nicht nur den Namen mehr oder weniger verhohlen wiederkäuten, sondern auch gleich sein Haus im Westerwald zeigten – siehe oben. Kollege Niggemeier beobachtete derweil weiter die "Amok-Journalisten von der "Bild" bei der Arbeit". Deren journalistisches Bemühen mündete heute Nachmittag in dieser an Schlichtheit kaum zu überbietenden Bild.de-Schlagzeile:
    "Der Amok-Pilot von Germanwings. Er unterbrach die Pilotenausbildung für mehrere Monate"
    Und weil es in diesen reflexhaften Zeiten eigentlich nicht anders zu erwarten war, haben die Kollegen auch gleich ein Video dazugestellt. Zu sehen und zu hören ist der unvermeidliche Nachbar/Bekannte/Mitläufer. Auf jeden Fall ein Mann mit Augenklappe, der in einem fragwürdigen Bekanntschaftsverhältnis zum Co-Piloten steht.
    "75 Euro für ein Interview"
    Aber irgendwie spielen die, wie das medienwissenschaftlich so schön heißt, Rezipienten, die ja schon einiges gewohnt sind, vor allem von der "Bild", diesmal nicht mit. So twitterte Sascha M.* heute Nachmittag:
    "Leute, ich kotz gleich, da stehen zahlreiche Fernsehteams in Montabaur und bieten den Leuten 75 Euro für ein Interview."
    Konstantin Winkler gratuliert der Springer-Presse ebenfalls über Twitter
    "Die "Welt" macht eine psychoanalytische Auswertung des Co-Piloten anhand seiner Facebook-Likes? Na, Glückwunsch."
    "Blick am Abend"-Chefredakteur Thomas Benkö, um bei den Nachbarn in der Schweiz vorbeizuschauen, versteigt sich gar zu einer persönlichen Anklage:
    "Andreas L. ... , wieso konntest du nicht alleine gehen."
    Im Original, aber das nur am Rande, ist der Nachname selbstverständlich nicht abgekürzt. Ob der Kollege vom "Blick am Abend" auch mit dem Co-Piloten joggen gegangen ist, wenn er ihn schon duzt?
    Beim Deutschen Presserat, der Stelle, bei der sich Leser über die Medien beschweren können, steht ein schon fast verzweifelter Appell auf der Homepage:
    "Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben"
    Zwei Tage nach dem Unglück sind schon zahlreiche Beschwerden eingegangen. Und die Kritik trifft natürlich auch die öffentlich-rechtlichen Medien, die sich in diesen Tagen beteiligen am Spekulieren, Mutmaßen und herbei Reden. Zu besichtigen am Tag der Katastrophe bei Sandra Maischberger.
    Im Großen und Ganzen ist also festzuhalten, dass in dieser Woche nicht nur 150 Menschen bei einer Flugzeugkatastrophe den Tod gefunden haben. Auch der Journalismus ist abgestürzt.
    * Hinweis der Online-Redaktion: Der Name wurde auf Wunsch des Twitter-Nutzers anonymisiert.