Donnerstag, 25. April 2024

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Geröll und Gewalt

Kenner des Kinos werden bei der Lektüre mit de ja vu-Erlebnissen reichlich belohnt, die Gemeinde der Comic Leser wird bekannte Motive en masse entdecken, zuletzt registriert auch der Gebildete manche Spurenelemente aus dem Kanon der Kultur. Die Geschichte: In einer Metropole, die in vielem an Berlin erinnert, hat ein verheerender Krieg nur noch Geröll und Gewalt hinterlassen. Marodierende Banden, an ihrer Spitze Action-Helden mit markigem Zuschnitt, kontrollieren zusammen mit Milizen das Terrain; wie zum Beleg eines alles menschliche Dasein mutierenden Krieges haben sich Mutanten ohne Identität und Geschichte in die urbane Szene gemischt: schlammfressende Barbies, sexy, aber ohne innere Organe, morfdlüsterne Replikanten, genannt Kens. Sie werden ihrerseits gejagt von der weiblichen Killerrmaschine "Starlet" und dem Räuberhauptmann "Coammander Coeurslegde" und seiner Gang.

Von Werner Köhne | 22.11.2004
    Er ist ein echter "deer hunter" mit einer heimlichen Schwäche für eine der Barbies. Die anderen gibt er für die Liebesgrotte frei oder verarbeitet sie in einer dampfenden Schlachterei schlicht zu Frischfleisch, das er an die Milizen verkauft. Ein paar Amerikaner – hier einmal die Besiegten – spielen Skat. Den letzten Mohikaner gibt ein Schriftsteller, ein Looser und hoffnungsloser Romantiker, wie aus dem Lehrbuch amerikanischer Detektivgeschichten - er soll auf Geheiß des skurrilen Lord Ox, alles aufschreiben und ist doch selbst nur eine Figur im großen Spiel. Das Endzeit-Geschehen dauert genau sieben Tage und erinnert an eine umgekehrte Schöpfungsgeschichte – auch was die Tonart betrifft.

    "Also geschah es", läßt sich mitunter ein göttlicher Demiurg vernehmen und befruchtet wird die Handlung mit Metaphern aus der antiken Götterwelt: Wohl auch das goutiert der Leser, wenn er denn mag: Gegen die Zerstörung und entkernte Liebe wird zum Ende hin ein Kind geboren von einer ehemaligen Talkshow-Prinzessin. Was braucht es mehr, um an derlei Phantasmen entweder eine Poetologie der archaisch komponierten Postmoderne zu entwickeln – oder markige Urteile über eine mißlungenen Literatur zu tätigen.

    In Klagenfurt wurde von einer Kritikerrunde genau dies praktiziert: Als Henning Ahrens im letzten Jahr dort Ausschnitte aus dem Roman vorlas, sprachen die einen von einem apokalyptischem Text, der einen aber mangels Plastizität der Personen unberührt lasse - während Thomas Steinfeld an Hand der gefrorenen Artistik des Textes die Frage stellte, ob Literatur sich nicht – wie Ahrens dies versuche – einer neuen Wirklichkeit zu stellen habe, in der das Künstliche – auch die Welt der Comics - "gestellt" und poetisch durchdrungen wird.
    Henning Ahrens reibt sich ob all dieser Interpretationen verwundert die Augen:
    Als apokalyptischen Endzeitroman würde ich das gar nicht verstehen, wobei mir von vorneherein klar war, dass der Griff zum Begriff Apokalypse sehr nahe lag. Das werde ich auch wohl noch öfter hören. Ich selbst verstehe das gar nicht als Apokalypse. Apokalypse ist ja eigentlich das Ende der Welt und der Übergang in eine geistige Welt, ein himmlisches Jerusalem. Dieser Roman hat keine konkreten Vorbilder, auch nicht aus dem Comicbereich, und auch nicht - das wurde damals in Klagenfurt gesagt – aus dem Computerspielbereich, so als hätte ich ein Computerspiel gemacht, ich habe mich da sehr amüsiert , als das gesagt wurde, aber natürlich versuche ich in dem Roman Referenzsysteme aus der U-kultur einzubauen in das, was ich dann als die Literatur verstehe.

    Zur literarischen Gestaltung nützt Henning Ahrens auch die Verdichtung von Stil- Bild- und Inhaltsebenen. Der Autor hat sich zuvor mit Lyrik hervorgetan und er scheut sich nicht, auch seine Prosa damit zu bereichern. Im kurzen Leseauschnitt nimmt sich ein solches poetisches Verfahren vielleicht wie eine auktoriale Spielerei aus, in der epischen Form des Romans jedoch entwickelt es eine eigene Dynamik:

    Das ist ein Roman, der sehr stark über Metaphern und Bilder funktioniert, und man kann ihn und die verschiedenen Ebenen nur erschliessen, wenn man die Bilder verbindet, ich nenne nur mal ein Beispiel. Ganz am Anfang gibt es ja die Szene, in der Commander die Schamhaare der Barbie auseinanderdrückt und dann sagt. Die ist ja leer. Dieses Bild erschließt sich erst, wenn man den Bogen zum Ende schlägt, wo ja ein Kind geboren wird. Also das ist die Art, wie ich versucht habe, Bilder und Motive zu verknüpfen.und das zieht sich auch durch, diese Art von Bildlichkeit , auch die Wiederholungen, die ich benutze. Das Buch heisst ja nicht zufällig "Langsamer Walzer", es ist beim Schreiben ein Tanz mit Wiederholungen und Variationen gewesen.

    Bei aller Virtuosität ist die Frage nach der Evidenz und Dringlichkeit des Themas zu stellen. Hinter dem archaisch entfesselten Endzeitszenario scheinen handfest existentielle Erfahrungen auf; glaubt man dem Autor. Sie haben sich unter Bedingungen der Modernisierung gar noch verschärft:

    Das, worum es für mich in diesem Roman eigentlich geht, das auch auf metaphorischer weise gelesen werden kann, wobei ich versuche, Metaphern so zu verkleiden, das man sie als solche gar nicht mehr wahrnimmt – ist das Thema der Unmöglichkeit, sich permanent häuslich einzurichten, also natürlich damit verbunden der ganz tief sitzende Wunsch nach Geborgenheit, Heimat zuhause liebe, was weiss ich, aber zugleich auch die Unmöglichkeit – hier versuchen das ja auch viele Charaktere, sich in der Zerstörung einzurichten, aber natürlich ist das zum Scheitern verurteilt.

    Am ehesten ist die Melancholie des Scheiterns in den Bildern der winterlich erstarrten Stadt zu spüren. Gerade hier nimmt sich der auktoriale Erzähler wohltuend zurück, um einer Stille Platz zu machen jenseits des Metapherngestöbers. Hinter der Vordergründigkeit der Action-Displays und Motiv-Settings scheint die Intitiationsgeschichte des Abendlandes auf:

    Dieser Roman hat für mich mehrere Ebenen. Ganz oben ist natürlich die Geröll-und Gewaltebene, wie ich es für mich nenne, von der man sich auch blenden lassen kann. Die ist ja auch sehr üppig ausgemalt. Direkt darunter liegt aber eine ganz klassische Geschichte, die auch für mich in diesem Text das Transzendente ist – und das ist die Weihnachtsgeschichte, alle Elemente der Weihnachtsgeschichte, das ist natürlich eine sehr verfremdete Form, aber das ist auch ein entscheidendes Thema und sozusagen der Kontrapunkt oder das Gegengewicht zur Zerstörung.

    Henning Ahrens
    Langsamer Walzer
    S. Fischer, 318 S., EUR 18, 90