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Geruchssinn steuert Energiehaushalt
Wer nichts riecht, bleibt schlank

Dass der Geruchssinn wesentlich zum Genuss von Essen beiträgt, weiß jeder, dem bei einer Erkältung wegen der verstopften Nase nichts mehr schmeckt. Doch wie Forscher aus Berkley bei Experimenten mit Mäusen herausgefunden haben, hat der Geruchssinn auch Einfluss auf die Steuerung des Energiehaushalts.

Von Magdalena Schmude | 06.07.2017
    Eine junge Frau putzt sich die Nase.
    Wissenschaftler haben herausgefunden: Besonders gut riechende Mäuse nehmen schneller zu. Ist der Geruchssinn ausgeschaltet - wie bei einer Erkältung - nehmen sie trotz fettreicher Ernährung nicht zu. (dpa picture alliance / Klaus Rose)
    Der Geruchssinn von Säugetieren ist im Lauf des Tages nicht immer gleich leistungsfähig. Wenn sie Hunger haben, wird die Nase empfindlicher, um die Nahrungssuche zu erleichtern. Nach dem Essen schläft der Geruchssinn dann quasi ein. Erst wenn sich der Hunger wieder meldet, wird die Geruchswahrnehmung ebenfalls stärker.
    Doch was passiert beim Essen, wenn der Geruchssinn komplett ausgeschaltet wird? Das fragten sich Andrew Dillin und sein Team an der University of California in Berkeley. "Unsere Hypothese war, dass man natürlich zunimmt, wenn man viele Kalorien isst. Aber wir wollten wissen, ob man dazu auch wahrnehmen muss, was man isst."
    Mäuse, die nichts riechen, verlieren Körperfett
    Überprüft hat Andrew Dillin seine Hypothese an normalgewichtigen Mäusen, deren Geruchssinn künstlich ausgeschaltet war. Zu seiner Überraschung nahmen die Tiere trotz einer fettreichen Ernährung nicht zu. Mäuse, die vor dem Beginn des Experiments stark übergewichtig waren, verloren durch das Ausschalten des Geruchssinns fast ein Fünftel ihres Körpergewichts, obwohl ihr Appetit gleich blieb. Die Gewichtsabnahme kam ausschließlich dadurch zustande, dass die Tiere Körperfett verloren. Die Masse von Muskeln, Knochen und Organen blieb gleich.
    "Zuerst dachten wir, dass die Mäuse einfach nicht so viel essen. Aber sie kommen ja mit funktionierendem Geruchssinn zur Welt und wissen, wo das Futter im Käfig ist. Wenn wir den Geruchssinn ausschalten, fressen sie normal weiter, auch ohne das Futter riechen zu können. Verglichen mit normal riechenden Mäusen fressen sie pro Gramm Körpergewicht sogar etwas mehr. Das war einer der Schlüssel-Momente bei der Studie. Wir dachten: "Wow, wo gehen all diese Kalorien hin?" Denn sie werden ganz offensichtlich nicht irgendwo in Form von Fett gespeichert wie bei anderen Tieren. Also was machen die Mäuse damit?"
    Säugetiere haben zwei Arten von Fettgewebe: Weißes Speicherfett, das als isolierende Schicht unter der Haut liegt und die Organe im Bauchraum umgibt. Und das sogenannte braune Fett, in das Mitochondrien eingelagert sind, die Energie verbrauchen und in Wärme umwandeln. Diese innere Heizung nutzen Mäuse bei Kälte oder in Stresssituationen. Und offensichtlich auch, wenn sie nichts mehr riechen, wie Andrew Dillin und seine Kollegen entdeckten.
    "Wenn wir den Geruchssinn der Mäuse ausschalten, steigern sie die Aktivität des braunen Fettes. Es wird dabei fast zu schwarzem Fett, weil es so viele Mitochondrien enthält. Gleichzeitig wandeln sie einen Teil des weißen Fetts in braunes um. So werden nicht nur all die aufgenommenen Kalorien verbrannt, sondern gleichzeitig auch das gespeicherte Fett verbraucht."
    Therapieansatz für übergewichtige Menschen?
    Unklar ist, wie der Ausfall des Riechvermögens zu dieser Stoffwechselumstellung führt. Andrew Dillin glaubt, dass der Zusammenhang von Geruchswahrnehmung und Nahrungsaufnahme eine Rolle spielen könnte. "Vermutlich passiert Folgendes: Weil sie nichts riechen, denken die Tiere die ganze Zeit, dass sie gerade gegessen haben und es Zeit ist, die Kalorien zu verbrennen. Normale Mäuse würden einen Rhythmus durchlaufen. Der Geruchssinn wird sensibler, sie fressen, der Geruch geht runter und wenn sie hungrig werden, nimmt er wieder zu. Bei unseren Tieren ist er dagegen die ganze Zeit aus. Damit haben wir sie wahrscheinlich dazu gebracht zu denken, dass sie die ganze Zeit essen, obwohl sie es nicht öfter als ein paar Mal am Tag tun."
    Die Nahrungsaufnahme wird vom Hypothalamus gesteuert. Dieser Teil des Gehirns sammelt Informationen über die Nährstoffaufnahme und passt das Fressverhalten entsprechend an. Andrew Dillin vermutet, dass auch der Geruchssinn mit dem Hypothalamus kommuniziert und sein Ausfall die Steuerung durcheinanderbringt. Dafür spräche auch, dass besonders gut riechende Mäuse besonders schnell zunehmen, wie Andrew Dillin durch Zufall erfuhr.
    "Ich habe einem befreundeten Wissenschaftler von unseren Ergebnissen erzählt und er meinte: 'Das ist seltsam, wir haben Mäuse, die besonders gut riechen und die werden spontan fett.' Sie zeigen also den umgekehrten Effekt. Und das lässt einen an stark übergewichtige Menschen denken, die die ganze Zeit zu viel essen. Vielleicht riechen einige davon ja ebenfalls sehr gut. Vielleicht wäre das ein therapeutischer Ansatz, und wenn wir ihre Fähigkeit zu riechen dämpfen, würden sie auch Gewicht verlieren."
    Wie die Kommunikation zwischen Riechnerv und Hypothalamus genau funktioniert, wollen die Forscher deshalb als Nächstes herausfinden.