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Gerüchteküche in China rund um einen Provinzpolitiker

In China schlagen seit Wochen Gerüchte um einen Machtkampf in der Kommunistischen Partei hohe Wellen. Die wilden Spekulationen waren nach der Absetzung eines bekannten Provinzpolitikers ausgelöst worden. Das autoritäre Regime Chinas scheint fragiler, als oft gedacht.

Von Ruth Kirchner | 07.04.2012
    Es ist der Stoff, aus dem Hollywood Filme gemacht werden: Ein britischer Geschäftsmann liegt tot in seinem Hotelzimmer. Ein Polizeichef verrät den Amerikanern seinen Mordverdacht. Ein ehrgeiziger Spitzenpolitiker stolpert über den Skandal. Gerüchte über einen Machtkampf, vielleicht sogar einen Putsch halten das Volk wochenlang in Atem. Doch all das ist nicht Fiktion, sondern ein realer Politkrimi in der immerhin zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. Deren rasante wirtschaftliche Entwicklung hat in den letzten Jahren viel Bewunderung auf sich gezogen. Doch jetzt schaut die Welt auf ein politisches Verwirrspiel in China und bekommt auf ihre Fragen keine Antworten.

    "Die einfachen Leute sind nur Zuschauer", sagt der kritische Intellektuelle Yang Jisheng. "Es ist, als schaue man ein Theaterstück an. Wir können nur zusehen, nur Vermutungen anstellen. Alles, was wir nicht sehen können, können wir nur erraten."

    Statt den Vorhang aufzuziehen, statt den Gerüchten mit Informationen und Fakten zu begegnen, reagiert die Partei wie immer: Sie schweigt. Und sie verschärft die Zensur. 16 Webseiten wurden letzte Woche geschlossen, sechs Personen wegen der Verbreitung von Gerüchten festgenommen. Für den Hongkonger Politologen Joseph Cheng ein deutliches Zeichen der Schwäche:

    "Die Ursache ist der Mangel an Transparenz in der chinesischen Politik. Die Menschen vertrauen den offiziellen Medien nicht, die stark kontrolliert und zensiert werden. Die Elite und die gebildete Öffentlichkeit verfolgen daher gern Klatsch und Gerüchte. Gleichzeitig sind die chinesischen Behörden unsicher, daher gehen sie dann gegen das Internet vor."

    Die Verschärfung der Zensur war dabei nur der vorläufige Höhepunkt, aber noch lange nicht das Ende des Politkrimis, der jetzt den 18. Parteitag im Herbst zu überschatten droht.

    Begonnen hatte alles vor rund drei Wochen mit einer dürren Meldung der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua. Dort hieß es, Bo Xilai, Mitglied des Politbüros und Parteisekretär der 30-Millionen-Metropole Chongqing sei seines Amtes enthoben worden. Eine Begründung lieferte der kurze Text nicht. Trotzdem löste die Nachricht ein politisches Erdbeben aus. Denn der charismatische Bo Xilai ist nicht irgendwer in China: Er spekulierte auf einen der neun Plätze im Ständigen Ausschuss des Politbüros, dem eigentlichen Machtzentrum Chinas. Beim Parteitag wird es fast vollständig neu besetzt. "Bo hatte sich ein bisschen zu begierig um eine der Vakanzen beworben, sagt Professor Cheng. "Die kollektive Führungsriege Chinas mag es nicht, wenn Spitzenkader persönliche Ambitionen offen zur Schau tragen."

    "Es hat viel mit seinem persönlichen Auftreten zu tun. Er hat die zentrale Führung herausgefordert und Druck auf das Zentrum ausgeübt. Er hat versucht, für seine Person zu werben. Das war sicherlich ein Verstoß gegen die Parteidisziplin. Er galt als Negativbeispiel. Die Parteispitze wollte nicht, dass andere Kader aus der Provinz es ihm gleichtun."

    Bo Xilai ist ein sogenannter Prinzensohn aus einer einflussreichen Familie mit engen Verbindungen zum Militär. Auch das machte ihn suspekt. Aber es geht nicht nur um Persönlichkeiten und familiäre Beziehungen, sondern auch um einen Richtungsstreit in der Partei. Bo Xilai stand für die Parteilinken. Und seine populistische Politik in Chongqing machte ihn nicht nur bei den Neo-Maoisten beliebt. Er wetterte gegen die Kluft zwischen Arm und Reich, er wollte den Bauern mehr Rechte geben. Umstrittener war seine Kampagne gegen das organisierte Verbrechen. Tausende Verdächtige wurden verhaftet, einige wurden hingerichtet. Dass rechtsstaatliche Prinzipien dabei über Bord geworfen wurden, erzürnte viele Liberale. Wie auch eine andere Seite des sogenannten "Chongqinger Modells".

    Mit dem Absingen roter revolutionärer Lieder aus der Mao-Zeit mobilisierte Bo Xilai die Massen. Solche Reminiszenzen an die Kulturrevolution gingen der Pekinger Führung zu weit. Mit dem Abgang Bos sei die Gefahr eines Linksrucks in China aber nun gebannt, sagen einige Kommentatoren. Doch im Spiegelkabinett der chinesischen Politik ist es schwer zu unterscheiden, was politischer Richtungsstreit ist und was persönliche Abrechnung. Überdeutlich tritt jedoch die Schwäche des politischen Systems zutage. Von außen wirken die autoritären Strukturen häufig stabiler als sie sind. Die Regierung kann ohne lange Abstimmungs- und Diskussionsprozesse entscheiden. Doch mit der Absetzung Bo Xilais haben Staatspräsident Hu Jintao und Regierungschef Wen Jiabao nur kurzfristig ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt, sagt Politologe Cheng:

    "Doch langfristig ist es ein Zeichen der Schwäche, da es in der Partei an Mechanismen fehlt, um mit innerparteilichen Streitigkeiten und Disziplinarmaßnamen umzugehen. Und ohne vernünftige Strukturen und ohne Transparenz treten persönliche Beziehungen in den Vordergrund. Das wiederum befördert die Gerüchteküche wie im Fall Bo Xilais in den letzten Wochen."

    Zudem muss das Machtgleichgewicht innerhalb der Partei nun neu austariert werden. Die Prinzlinge, die Linken, die Reformer, das Militär, die Fraktion um Hu Jintao und seine kommunistische Jugendliga, die Interessen aller wollen bedient und gegeneinander abgewogen werden. Die Reformer mögen dabei derzeit die Oberhand haben. Doch einer reformorientierten, vorwärts gewandten Politik ist ein so geschlossenes System eher abträglich.