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Gescheiterte Nation am Scheideweg

Das Land drohte im Chaos zu versinken - jetzt herrscht Ausnahmezustand, Notstand in Haiti. Jean-Bertrand Aristide musste gehen. Er sei von US-Marine-Infanteristen mit vorgehaltener Waffe gezwungen worden, Haiti zu verlassen - behauptet der Ex-Präsident. Wahrheit oder Legende? Die Karibische Staatengemeinschaft CARICOM bekundet jedenfalls ihren Unmut über die Beteiligung westlicher Mächte an der überhasteten Abreise Aristides und fordert eine unabhängige Untersuchung der Vorgänge. Die CARICOM beteiligt sich deshalb auch nicht an der UN-Schutztruppe für Haiti. Wie immer der Machtwechsel abgelaufen sein mag - viele Haitianer atmen auf, dass sich die Wogen glätten und das Land offenbar langsam zur Ruhe kommt.

Von Matthias Reiche und Carlos Widmann | 04.03.2004
    Noch immer wird überall im Lande ausgelassen gefeiert, denn die Mehrheit der acht Millionen Haitianer hat sich seit Jahren nicht mehr so erleichtert gefühlt. Es ist, als ob man nach einem langen dunklen Traum endlich erwacht, wie es der 28-jährige Kelly beschreibt:

    Ich kann nur sagen, es ist ein Gefühl großer Zufriedenheit. Es wird einem nur sehr langsam bewusst, was wirklich geschehen ist, dass Aristide endlich gehen musste. Wir lebten in einer so schrecklichen Welt, und es hätte leicht in einem Inferno enden können. Aber nun sind wir froh und sehr zufrieden.

    Endlich ist es vorbei. Wir haben gelitten unter diesem Teufel. Er hat das Volk getäuscht. Fast alle haben wir ihn einst gewählt. Aber wir haben es bereut. Zum Schluss konnten wir nicht einmal mehr die Häuser verlassen. Es gab so viele Tote. Aber nun ist er endlich weg - das Beste, was er je für uns tat. Danke dafür! Vielen Dank!

    Wir bitten die internationale Gemeinschaft, dass sie den Mann zurückbringt, damit wir ihn hier vor Gericht stellen können. Aristide hat sehr viele Menschen umgebracht. Er und seine Chimères haben unzählige Verbrechen begangen.

    Während die Hubschrauber der dominikanischen Luftwaffe ehemalige haitianische Regierungsmitglieder und deren Familien ausflogen, gaben die zukünftigen Politiker, wie Evans Paul ihre erste improvisierte Pressekonferenz nach dem Sturz von Aristides:

    Heute ist ein großer Tag für Haiti, für das haitianische Volk. Es ist der Sieg der großen Mehrheit: der Studenten, der Arbeiter, der Menschen in den Landgebieten, der Unternehmer, der Presse, der Parteien und Organisationen, der gesamten Zivilgesellschaft, und es ist auch ein Sieg unserer Brüder, die im Norden zu den Waffen griffen. Es ist ein großer Tag für alle, die wir gemeinsam kämpften, dass der Diktator Jean-Bertrand Aristide endlich gehen musste.
    Der hatte sich mit aller Kraft gegen einen Machtverzicht gestemmt. Und am Schluss schien es, als würde der in die Enge getriebene Gewaltherrscher nur mit einem blutigen Finale die politische Bühne verlassen wollen.

    Tagelang terrorisierten Aristides Schlägertrupps, seine so genannten "chimères", die Menschen, vor allem in der Hauptstadt. Dutzende Regierungsgegner wurden ermordet. Es wurde geraubt und geplündert sowie Jagd auf Journalisten gemacht. Überall in Port-au-Prince brannten Barrikaden, hinter denen sich die Anhänger von Aristides Lavalas-Bewegung verschanzten und niemanden passieren ließen.

    Es sind wie immer die Weißen, die Bourgeoisie, die hinter allem steckt. Schon immer haben die Weißen uns Schwarze unterdrücken wollen. Jetzt versuchen sie es wieder. Aber wir Schwarze sind in der Mehrheit und werden sie zerschlagen, sie vernichten. Wir haben einst die Unabhängigkeit erkämpft mit unserer eigenen Kraft. Und jetzt werden wir wieder kämpfen. Sollen die Gegner des Präsidenten doch kommen. Hier erwartet sie dies.
    Provozierend zeigt der junge Mann sein Gewehr. Aristide
    hatte tausende Waffen an seine Anhänger verteilen lassen und ihnen freie Hand gegeben. Immer mehr Haitianer versuchten deshalb über die Grenze in die benachbarte Dominikanische Republik oder über das Meer nach Florida zu fliehen. Die Polizei hatte dem Wüten von Aristides Staatsterroristen tatenlos zugesehen oder sogar gemeinsame Sache mit den Milizen gemacht. Als der Präsident dann das Land verließ, zogen viele der Beamten einfach ihre Uniformen aus und flüchteten aus den Polizeistationen, so wie dieser junge Mann aus Carrefour, der heilfroh war, dass ihn die aufgebrachten Menschen einfach gehen ließen.

    Es war doch alles großer Mist hier mit diesem Präsidenten, es war einfach nur Mist. Uns Polizisten gibt man jetzt die Schuld, aber wir haben doch auch nur Befehle ausgeführt und hatten Angst. Doch jetzt ist es endlich vorbei.

    Inzwischen haben die internationalen Friedenstruppen alle strategischen Punkte besetzt und die Sicherheit weitgehend hergestellt. Kanadische, französische und US-amerikanische Soldaten sind vor Ort. Demnächst werden es fast 3.000 Mann sein, und die Aufgabenstellung ist klar, wie Leutnant Graham von den US-Marines sagt:

    Die USA haben Truppen hergeschickt, um zu helfen, dass sich die Situation wieder stabilisiert. Außerdem sollen wir die Ankunft weiterer Truppen vorbereiten und absichern. Wir sind auch in gewissem Maße verantwortlich, die Infrastruktur wieder aufzubauen und die Versorgung für die Menschen zu garantieren. Nach den verheerenden Unruhen der vergangenen Tage, muss jetzt aber vor allem die Sicherheit im Lande wiederhergestellt werden. Das ist das, was ich momentan sagen kann.
    Enthusiastisch gefeiert wurden bei ihrem Einmarsch in die Hauptstadt die bewaffneten Aufständischen aus dem Norden. Und vor allem Rebellenchef Guy Philippe ist zum Volkshelden aufgestiegen und träumt davon, demnächst Oberkommandierender der Streitkräfte zu sein, die man 1995 abgeschafft hatte.

    Die Verfassung erlaubt ja ausdrücklich die Existenz von Polizei und Armee. Alle ehemaligen Militärs sollten sich deshalb, wenn sie guten Willens sind, dem Staat wieder zur Verfügung stellen. Aber in jedem Fall entscheidet natürlich immer die rechtmäßige Regierung. Und da man jetzt verlangt, dass wir die Waffen abgeben, werden wir dies auch tun. Denn unser Bestreben ist, dass es Sicherheit und Ordnung gibt. Und wir haben immer auch gesagt, dass wir keinerlei politische Interessen haben.
    Die Rebellen haben auch ihren Teil zum Sturz Aristides beigetragen. Nun aber müssen sie die Waffen strecken und nach Hause gehen, sagt André Apaid. Der Unternehmer gehört zu den bekanntesten haitianischen Oppositionellen und sitzt in dem neuen Regierungsrat, in dem Anhänger und Gegner der ehemaligen Regierung sowie ihre Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft vertreten sind.

    Wir verpflichten uns heute vor der internationalen Gemeinschaft, dass die Parteien, die Zivilgesellschaft, die Wirtschaft, dass alle Bürger sich verpflichten, dass es niemals mehr eine Diktatur in Haiti geben wird.
    Entsprechend des vereinbarten Friedensplanes wird der Regierungsrat nun einen unabhängigen Ministerpräsidenten bestimmen und allgemeine Wahlen organisieren. So wie die Rebellen bereits mit der Übergabe ihrer Waffen begonnen haben, sollen nun auch alle anderen militanten Gruppen entwaffnet werden, was dank der internationalen Schutztruppe auch sehr schnell gehen wird. Länger dagegen braucht es die verkrusteten politischen Strukturen aufzubrechen, die ruinierte Wirtschaft aufzubauen und den Menschen wieder eine Perspektive zu geben. Ohne ausländische Unterstützung ist dies nicht zu schaffen. Doch kann diese nur Hilfe zur Selbsthilfe sein, wenn dieser Neubeginn nicht wieder als eine Geschichte voller zerstörter Hoffnungen enden soll.

    Es mangelte nicht an Hoffnungen und an Hoffnungsträgern in Haiti. Doch immer wieder wurden die Hoffnungen der Haitianer von den Machthabern bitter enttäuscht. Wer Haiti begreifen will - diesen Schmelztiegel von Völkern und Kulturen in der Karibik -, der muss das Geschichtsbuch aufschlagen. Die Geschichte liefert den Schlüssel für vieles, was da geschah und bis heute geschieht auf der Insel Hispaniola. Haiti - die gescheiterte Nation.
    Die Republik Haïti hat zu Beginn eine durchaus heroische Geschichte, die beinahe überfüllt ist mit hervorragenden Gestalten, heldenhaften Gesten und schwungvollen Proklamationen. Das kommt vor allem daher, dass die Befreiung Haitis ein frühes Kind der französischen Revolution ist.
    Als im Jahr 1789 in Paris die Monarchie abgeschafft und Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ausgerufen wurden – worauf alsbald die Köpfe zu rollen begannen – war das damalige Saint-Domingue im Besitz des französischen Imperiums, und es war die reichste Kolonie der Welt. Von der Insel Hispaniola, wie Christoph Kolumbus sie einst getauft hatte, wurde der Nachtisch Europas beliefert – mit Kaffee und Zucker, mit Rum und Tabak.
    1787 bescherte Saint-Domingue dem französischen Mutterland
    87 000 Tonnen Zucker – mehr, als alle von den Briten besetzten Karibik-Inseln zusammen produzierten. Das Zuckerrohr, das mühselig mit der scharfen Machete geerntet werden musste, hatte zur zwangsweisen Einfuhr westafrikanischer Arbeitskräfte geführt: Im Jahr der Französischen Revolution schufteten auf der Insel eine halbe Million Sklaven.
    Anders als die britischen Puritaner in Nordamerika, hatten die katholischen Franzosen keine Vorbehalte gegen den sexuellen Kontakt mit schwarzen Frauen. Darum gab es neben den Sklaven auch 30 000 Mulatten – in die Freiheit geboren, aber auch in eine gesellschaftlich frustrierende Existenz zwischen den
    40 000 weißen Herren und der halben Million Negersklaven. Die Mischlings-Minderheit wurde despektierlich behandelt von den Franzosen und war verhasst bei der schwarzen Mehrheit. Schon im ersten Jahr der Französischen Revolution probten die Mulatten den Aufstand, forderten gleiche Rechte für alle. Prompt wurden ihre Führer von den Weißen gefoltert und hingerichtet.
    Im Jahr darauf waren es schon die Schwarzen selbst, die sich erhoben, und von Anbeginn spielte Voodoo-Zauber eine politische Rolle: Anstifter des Aufstands war ein "houngan", ein Voodoo-Priester aus Jamaika, der den Spitznamen "Bookman" bekommen hatte, weil er stets ein Buch unter der Achselhöhle trug.
    Der Auftakt: 1791 legten die Sklaven Feuer an ihre Arbeitsplätze – die Plantagen - , und Kolonialmiliz schlug grausam zurück, töte an die 12 000. Bald fand sich ein schwarzer Intellektueller mit militärischem Genie: Toussaint L’Ouvertuere schaffte es zwischen 1792 und 1800, mit wechselnden Verbündeten die Insel in den Griff zu bekommen, den Franzosen die Abschaffung der Sklaverei abzutrotzen und selber als Generalgouverneur die (nur noch nominell französische) Kolonie zu führen.

    Doch für Napoleon Bonaparte war ein schwarzer General, der mit ihm von gleich zu gleich verhandeln wollte, unerträglich. 1801 schickte er seinen Schwager, General Leclerc, mit 20 000 Mann in die Karibik. Zunächst hatten die Franzosen leichtes Spiel ; sie konnten sogar Toussaint L’Ouvertuere gefangen nehmen und 1802 nach Frankreich verschleppen, wo Haitis Nationalheld in Kerkerhaft umkam. Die Nachfolger L’Ouvertueres in der Heimat standen diesem zwar an militärischem Können kaum nach, übertrafen ihn aber an Brutalität : Jean-Jacques Dessalines und Henri Christophe betrieben eine Strategie der verbrannten Erde, schnitten den Franzosen den Nachschub ab und hungerten sie aus, die ganze Kolonie in Schutt und Asche legend.
    "Koup tet, boule kay", lautete die kreolische Devise: "Hackt die Köpfe ab, brennt die Häuser nieder!" Der Weißenhass führte zur Ausrottung großer Teile der napoleonischen Truppen und zum Niedermetzeln der verbliebenen französischen Siedler – sowie zur Vernichtung all dessen, was diese durch Kapital und Können (und durch die Ausbeutung der Schwarzen) aufgebaut hatten. Die neue Nation schnitt der französischen Trikolore den weißen Streifen ab, um aus Blau und Rot ihre eigene Flagge zu schneidern. Aber die Republik wurde zum Paria der Welt: Dieses ruinierte, in jeder Hinsicht abgebrannte Land galt nicht nur den Rassisten als Beweis dafür, dass Schwarze sich nicht selbst zu regieren vermögen.
    Dessalines und Henri Christophe führten sich auf, als wollten sie den schärfsten Kritikern Recht geben. Sie begründeten eine Tradition des Größenwahns und der irrationalen Ausschreitung, die sich durch das ganze 19. und große Teile des 20. Jahrhunderts fortsetzte. Dessalines rief sich zum Kaiser aus und wurde nach zwei Jahren von meuternden Mulatten umgebracht. Henri Chistophe – ein früherer Kellner – erhob sich selbst zum "König Henri I." und wurde der erste gekrönte Monarch der Neuen Welt. Nach einer trunkenen Orgie schoss er sich 1820 eine silberne Kugel, eigens für diesen Zweck gefertigt, durch den Kopf.
    1915 marschierten schließlich die Amerikaner ein – und blieben 19 Jahre. Sie hatten im Ersten Weltkrieg befürchtet, Haïti könnte den Deutschen in die Hände fallen, und wollten unpolitische, integrierte Streitkräfte heranbilden, um den Teufelskreis der Gewaltherrschaft und der Feindschaft zwischen Mulatten und Schwarzen zu durchbrechen. Der von den USA eingesetzte Armeechef war ein Schwarzer mit dem schönen Namen Demosthenes Calixte, doch das Offizierskorps blieb dennoch in Mulattenhand. Demokratische Garantien, die die Amerikaner zu hinterlassen glaubten, schwanden nach ihrem Abzug rasch dahin. In alter Manier feierten die Schwarzen das Verschwinden der weißen Bevormunder, indem sie deren Hinterlassenschaft – elektrische Leitungen, stabile Brücken – durch kompetente Vandalen zerstören ließen.
    Das andere Erbe der US-Besatzung – die unpolitische Armee – wurde von Möchtegern-Diktatoren gleich als Feind erkannt. Um sie zu neutralisieren, brauchte man eine eigene Killer-Leibstandarte. Schon immer fanden die Haitianer farbenprächtige Namen für die Handlanger der Gewaltherrscher: "Tontons Macoute" - etwa: böse Onkel – hießen sie in den 29 Jahren der Tyrannei Dr. Med. Francois Duvaliers und seines Sohnes, jeweils "Papa Doc" und "Baby Doc" genannt, die von 1957 bis 1986 währte.
    Die Killer in hellblauen, stramm sitzenden Jeans, mit spiegelnden Sonnenbrillen, schweren Revolvern und sich wiegenden Hintern, hätten alles in allem 50 000 Menschen ermordet, rechnete eine US-Nachrichtenagentur beim Sturz "Baby Docs" zusammen. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl hätte das im Vorkriegsdeutschland 800 000, in der alten Sowjetunion drei Millionen Opfern entsprochen – somit braucht die Ära Duvalier den Vergleich mit den Jahrhundert-Verbrechern nicht zu scheuen. Als Klaus Barbie, der " Schlächter von Lyon ", 1991 im Knast verstarb, nannten ihn Haitis Zeitungen einen "früheren Tonton Macoute Adolphe Itlers".
    In der zweiten Jahrhunderthälfte hat nur ein Haitianer das Land so stark in seinen Bann geschlagen wie "Papa Doc". Das war der einstige Armenpriester und Befreiungstheologe Jean-Bertrand Aristide, Jahrgang 1953. Beide stammten von armen Schwarzen ab, hassten und beneideten die hellhäutigen Mulatten der Elite, und wuchsen in einem Klima der Gewalt auf.
    Duvalier der Ältere wuchs als Kind gleich hinter dem Präsidentenpalais auf. Er war fünf, als das Holzgebäude zusammen mit Präsident Cincinnatus Lecomte von einer Bombe zerfetzt wurde. Er war sechs, als Präsident Tancrede Auguste vergiftet wurde; der Leichenzug stockte, als zwei Generäle hinter dem Sarg mit gezogener Pistole um die Nachfolge stritten. Er war acht, als Präsident Guillaume Sam vom enthemmten Mob aus der französischen Botschaft gezerrt, am Gartenzaun aufgespießt und zerstückelt wurde.
    Aristide seinerseits war der Sohn eines Mannes, der von Nachbarn wegen Anwendung von "schwarzer Magie" gelyncht wurde. Er durchlebte seine prägenden Jahre unter der Diktatur von "Papa Doc". Da gab es einfach alles: Schulkinder, die das Fußballstadion füllten, um der Hinrichtung von Regimegegnern beizuwohnen; tägliches Verschwinden politisch Interessierter in den Folterkellern des Fort Dimanche; Personenkult von Mao-Format; afro-karibischen Geisterkult als Quasi-Staatsreligion.
    Davon blieb auch Pater Aristide nicht unberührt: In sein Messgewand waren die sieben Hauptsymbole des Voodoo eingenäht. Der Vatikan duldete viel: Als Anhänger Aristides die päpstliche Nuntiatur demolierten, blieb Rom passiv. Erst als der Schein-Heilige eine Mulattin der Oberschicht heiratete, wendete der Papst den Daumen nach unten.

    Aristide wurde 1990 mit überwältigender Mehrheit in freier Wahl zum Präsidenten Haitis gewählt. Acht Monate später war die von ihm entfesselte Straßengewalt beängstigend – seine Gegner verbrannten in benzingetränkten Autoreifen, die ihnen um den Hals gestülpt wurden – und das Militär fühlte sich zum Putschen berechtigt. Nur, das war eine Unterbrechung der Formaldemokratie, die die Amerikaner seit Reagans Zeiten nicht mehr dulden wollten. US-Präsident Bill Clinton fühlte sich wegen des Legalitätsprinzips und wegen der Flüchtlingswelle nach Miami verpflichtet zu einer Militärintervention mit 20.000 GIs, die den schmächtigen Demagogen Aristide in die Maison Blanche von Port-au-Prince zurück beförderten.

    Bald baute Aristide seine eigenen Tontons Macoute auf – nun "Chimären" genannt – und regierte wie manche der Schlimmsten vor ihm : Unter Umgehung des Parlaments, mit Wahlen ohne Opposition, Schwarze gegen die "Bourgeoisie" (die Mulatten) hetzend, seine Schläger gegen Studenten einsetzend, am Geld des Drogenschmuggels indirekt teilhabend. Aber einen Fehler machte Aristide, der sich für ihn zuletzt als fatal erwies : Er hatte durch Federstrich die Streitkräfte aufgelöst.
    Als Anfang Februar eine lumpige Rebellion von ihm abgefallener Bandenführer und früherer Militär-Schergen losbrach, hatte Aristide kein ernst zu nehmendes Gegenmittel. Hätten die Amerikaner ihn nicht zum Rücktritt bewogen und auch gleich ausgeflogen, wäre der Priester-Präsident womöglich so umgekommen wie manche seiner Widersacher – mit einem brennenden Autoreifen um den Hals.