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Geschichte aktuell: Die sexuelle Revolution aus der Retorte

Als vor 50 Jahren die erste Antibabypille in den USA auf den Markt kam, war es dort noch verboten, Verhütungsmittel herzustellen und zu verbreiten. So mussten die Forscher im Geheimen arbeiten.

Von Thekla Jahn | 18.08.2010
    Carl Djerassi: "Ich glaube, dass niemand das so gewusst hat. Niemand hat nämlich erwartet, dass Frauen so schnell die Pille annehmen werden in solchen Mengen und so schnell."

    Die Pille - eine ungeahnte Revolution in der Menschheitsgeschichte.

    Oswalt Kolle: "Die Pille stellt wohl die wichtigste Sache in der Welt der Frau dar. Sie ist der Ausgangspunkt für die Emanzipation der Frau - sie versetzt die Frau in mehr Freiheit."

    Doch sie hat nicht nur die Frauen verändert, sie hat die Beziehung der Geschlechter und der Generationen zueinander verändert.

    All das war nicht absehbar, als vor 50 Jahren die erste Pille in den USA auf den Markt kam mit dem Namen "Enovid-10". Noch war es dort verboten, Verhütungsmittel herzustellen und zu verbreiten. Und so mussten die Forscher im Geheimen arbeiten. Unter dem Deckmantel, ein Medikament gegen Menstruationsbeschwerden entwickeln zu wollen, hatten die Wissenschaftler Gregory Pincus und John Rock vier Jahre lang intensiv geforscht und ein entsprechendes Medikament auf den Markt gebracht. Es gab erste Pillentests an Frauen - aber die natürlich nicht in den USA. In den Slums der Stadt San Juan nahmen junge Puerto Ricanerinnen "Enovid" - den Frauen wurde zwar dauernd übel, aber die meisten wurden nicht schwanger. Die FDA, die oberste Arzneimittelbehörde der USA, genehmigte 1960 schließlich das Präparat auch zur Empfängnisverhütung. Carl Djerassi:

    "Das hat man nicht erwartet. Innerhalb von zwei Jahren haben ein paar Millionen Frauen in den Staaten (die Pille) aufgenommen - jetzt sind es hundert Millionen Frauen auf der Welt."

    Der weltweite Siegeszug der Pille begann allerdings langsam. Ein Jahr nach den USA folgte Westdeutschland.

    Am 1. Juni 1961 brachte der Pharmakonzern Schering den Ovolationshemmer "Anovlar" an die Frau. Die kleinen grünen Pillen erblickten zunächst allerdings nur das Licht der ehelichen Schlafzimmer, und auch das nur bei drei vorangegangenen Kindern. Verschämt stand die empfängnisverhütende Wirkung anfangs nur unter "Nebenwirkungen" im Beipackzettel.

    Kaum eine Frau, die heute jung ist, kann sich vorstellen, wie das Leben vor der Erfindung der Pille war.

    "Es gab damals die 'Gott-sei-Dank-Tage'. Na ja, man war froh, dass alles geklappt hat ohne Schwangerschaft."

    Sobald Mädchen ins geschlechtsreife Alter kamen, begann die Angst vor einer Schwangerschaft. Das war seit jeher so gewesen. Während Männern wie selbstverständlich zugestanden wurde, sexuelle Erfahrungen vor der Ehe zu sammeln, wurde ein Mädchen schnell zu einem gefallenen. Die Geschichte ist voller Gretchens, die ausgestoßen, verrückt oder ins Wasser getrieben wurden.

    Verhütung - darüber sinnierte man seit Menschengedenken. Neben Coitus interruptus und Enthaltsamkeit empfahl man sich die verrücktesten Kräutertinkturen, Kot-Tamponaden oder beißende Spülungen - sie waren mehr oder weniger wirksam und mitunter gefährlich. Die entscheidende Idee, die alles wenden sollte, hatte der österreichische Physiologe Ludwig Haberlandt. In den 1920er Jahren schlug er vor, dass eine Frau einfach die Hormone schlucken müsste, die normalerweise während einer Schwangerschaft verhindern, dass sie erneut schwanger wird. Allerdings hatte man dieses Hormon damals noch nicht zur Hand. Erst 1951 wird es Carl Djerassi und seinem Team gelingen, das Sexualhormons Norethisteron chemisch zu synthetisieren.

    "Was wir gemacht haben, ist, wir haben eine Substanz gemacht, die nicht in der Natur existiert und die oral aktiv ist, aber dieselben biologischen Wirkungen hat, wie das natürliche Hormon Progesteron - das ist eigentlich das natürliche Verhütungsmittel."

    Als das Verhütungsmittel zugelassen wird, knallen im Haus von Margret Sanger die Champagnerkorken. Sie hatte miterlebt, wie ihre Mutter im Alter von 49 Jahren starb, ausgezehrt von 18 Geburten. Seither war Geburtenkontrolle ihr Thema. Gemeinsam mit ihrer steinreichen Freundin Katharin McCormick hatte sie Pincus und sein Team über all die Jahre angespornt und mit mehr als zwei Millionen Dollar aus ihrem Privatvermögen gesponsert.

    Zwei Frauenrechtlerinnen und eine Reihe männlicher Wissenschaftler sowie ein Pharmakonzern - sie bieten ab 1960 eine Alternative zur ungewollten Schwangerschaft, die zuvor entweder in einer notgedrungenen Ehe oder einem Leben als Ausgestoßene mündete, oft aber auch in einer Abtreibung - über die man damals nur verbrämt sprach:

    "Ich hab immer das Gefühl, viele Frauen versauen sich ihr Leben selbst, indem sie also zu irgendwelchen Mitteln greifen und dann in der Endkonsequenz krank sind, also viele Folgen, die das haben kann, und solche Dinge würden dann auch meiner Meinung nach unterbleiben."

    Weltweit nehmen heute mehr als 100 Millionen Frauen die Pille. Jedes Jahr gehen noch immer 20 Millionen Frauen das Risiko eines Schwangerschaftsabbruches ein, dabei sterben rund 70.000, bei den anderen bleiben oft körperliche Schäden bis hin zur Unfruchtbarkeit. "Ohne scharfe Kontrollen", - so warnten 140 Ärzte und 45 Professoren in der Ulmer Denkschrift von 1964 - ohne scharfe Kontrollen, an wen die Antibabypille abgegeben werde, sei es möglich, dass sich Deutschland in ein sterbendes Volk verwandele. Schnell hatte sich in den 60er Jahren herumgesprochen, was für ein Präparat Anovlar war. Doch viele junge Frauen trauten sich anfangs nicht, ihren Frauenarzt darauf anzusprechen, und bei unverheirateten Fräuleins drohte sogar ein kompromittierender Anruf bei den Eltern. In der DDR wurde 1965 auf der Leipziger Messe ebenfalls eine Pille vorgestellt: "Ovosistron" vom VEB Jenapharm. Offizieller Kommentar im DDR-Fernsehen zur Pille:

    "Wir legen es nun in die Entscheidung der Frauen, wann sie sich ihren Wunsch nach einem Kind erfüllen wollen. Wie viel Sorgen, wie viel schwere menschliche Konflikte werden künftig vermieden."

    Während Westfrauen den stolzen Preis von 8 Mark 50 pro Monat auf den Tisch legen mussten, wurde die Pille in der DDR alsbald kostenlos verteilt. Einig waren sich die Frauen in Ostdeutschland jedoch noch nicht:

    "Jedes Mädchen, was 18 Jahre ist, die ´nen festen Freund hat und so und mit ihm geht, dann ist es eigentlich Pflicht - wenn sie studiert, dass sie die Pille nimmt."

    "Nee, man muss sich beiderseits beherrschen können."

    "Ich meine eine Frau ist nicht nur dazu da, nur Kinder zur Welt zu bringen."

    "Aber das sollte auch nicht dazu verleiten, dass nun jedes junge Mädel jetzt zum Arzt rennt und sich die Pille verschreiben lässt. Denn das würde meiner Ansicht nach wirklich dazu verleiten, dass ein großer Teil der Mädels sagt, jetzt kann ich ja flott leben."

    "Ich würde nie die Pille nehmen."

    "Ich finde das besser mit der Pille. Der Lebensstandard ist ja so, dass die Frau auch Ansprüche stellt, dass sie nicht nur Haushalt, nicht nur Waschen, Kochen und Kinder verwahren will, ne Frau stellt ja heutzutage auch Ansprüche."

    Die Diskussion um die Pille war in der DDR vor allem eine ideologische Diskussion:

    "Die Kontrazeption oder Schwangerschaftsverhütung und Förderung des Willens zum Kind sind eine dialektische Einheit. Es sind zwei Seiten ein und derselben Münze","

    meinte der Sozialmediziner Professor Karl-Heinz Mehlan. Und DDR-Gynäkologen wurden nicht müde zu betonen:

    von Zänker: ""Die Pille ist nur ein Mittel auf begrenzte Zeitdauer... Und darum nennen wir sie bei uns in der DDR ja auch nicht Antibabypille, sondern Wunschkindpille, damit die Frauen nur erwünschte Kinder bekommen. Und erwünschten Kindern geht es nachher ja meistens auch besser als ungewünschten."

    Die Pille und ihr Name - auch das spricht Bände. Im Jahr acht nach der ersten Pille meldet sich schließlich auch der Papst zu Wort - mit bis heute nachklingendem Donnerhall:

    Im Juli 1968 veröffentlicht Papst Paul VI. die "Enzyklika Humanae Vitae", in der er jede aktive Geburtenregelung durch hormonelle, mechanische oder chemische Kontrazeptiva untersagt wird. Die deutschen Bischöfe reagieren schon im August mit dem "Wort von Königstein", in dem sie hervorheben, dass die Enzyklika nicht den verbindlichen Charakter eines Dogmas habe. Auf dem Katholikentag im September gibt es heftige Diskussionen.

    "Ich habe das Empfinden, wenn ich die Enzyklika lese, dass sich der Papst mehr für meinen Zyklus als für mich interessiert."

    Der Papst wird schließlich aufgefordert, die Enzyklika zurückzunehmen. Doch der oberste Hirte der Katholiken wird nicht müde, seine Position zu bekräftigen. Ein Tiefschlag für gläubige Christen.

    Die 68er fordern "Freiheit für die Pille" und eine "sexuelle Revolution". Die österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek erinnert sich:

    "Gott sei Dank, das gehört zu den guten Dingen in meinem Leben, die Antibabypille. Damals war die sexuelle Befreiung, die Promiskuität auch für Frauen möglich ohne Angst vor Schwangerschaft, und das war im Grunde schon eine der besten Zeiten, die es je gegeben hat."

    Love and Peace, Blumenkinder oder die Kommune als sexuelles Experimentierfeld - all das wäre ohne die Pille so nicht möglich gewesen. Staunend bis ablehnend sieht damals die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft zu, eine Gesellschaft, in der der Bundesgerichtshof noch 1966 urteilt:

    "Die Ehe fordert von der Frau die Gewährung des Beischlafs in Opferbereitschaft und verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen."

    Wenn wundert es da, dass sich die Einstellung zur Pille gerade bei den Männern nur schwer von einem traditionellen Weltbild löst, in dem eine Frau keinen Sex vor der Ehe und danach so viele Kinder hat, wie es ihm eben so kommt.

    "Eine Frau, die die Pille nimmt, würde ich nicht heiraten."

    Oswald Kolle: "Für mich ist die Pille das Geschenk an die Frauen und die Männer, weil sie es ermöglicht hat, dass Menschen in freier Selbstbestimmung Sexualität betreiben."

    Die Ansichten des Sexualaufklärers Oswald Kolle fruchten zumindest allmählich und bei der jüngeren Generation. Mit der Pille ist es erstmals gelungen, Lust und Fortpflanzung voneinander zu trennen: freie Liebe ohne Angst. Doch was zunächst befreiend wirkt, wird von Frauen schnell auch als Last empfunden. Sie sind jetzt ständig verfügbar und sollen allzeit bereit sein wie ein Mann. Die Einstellung zur Pille wird ambivalent. Auch weil dem Genuss ohne Reue nachhaltige Veränderungen folgen.

    (Frau) "Ich spür nichts - ich versteh es selber nicht."
    (Mann) "Daran ist bestimmt die Pille schuld. Sie macht Frauen dick, kalt und nervös!"
    (Frau) "Lass mal, die Pille ist schon in Ordnung."

    Das Verhütungsmittel ist schließlich unkompliziert. Eine kleine Tablette täglich. Doch die Komplikationen sind einfach nur nach innen verlagert, in die Chemie des Körpers. Die ersten Antibabypillen - jede Einzelne von ihnen enthielt eine so hohe Hormondosis, wie sie heute in einer gesamten Monatspackung enthalten ist. Regelrechte Hormonbomben also. Eine der Folgen: Libidoverlust. "Die Pille bezahlen wir mit dem Tod der Erotik" befand frühzeitig der Philosoph Max Horkheimer.

    Die Pille war für viele Frauen zunächst eine "Blackbox" gewesen. Allmählich begannen sie sich für das zu interessieren, was durch die regelmäßige Einnahme in ihnen passiert.

    Die ersten Pillen sind Kombinationspillen, sie enthalten die beiden Sexualhormone Gestagen und Östrogen. Diese beiden bewirken, dass der Hypothalamus - das ist die oberste Schaltzentrale im Gehirn, die für hormonell regulierte Prozesse zuständig ist - ihre Aktivität herunterfährt. Das Östrogen in der Pille gaukelt dem Gehirn vor, es sei bereits eine reife oder befruchtete Eizelle vorhanden. Das Gestagen suggeriert einen Zustand, wie er nach der Einnistung einer befruchteten Eizelle der Fall wäre.

    Die Pille täuscht das Gehirn. Doch zu welchem Preis?

    Libidoverlust und depressive Verstimmungen, Gewichtszunahme, fettige Haut, Übelkeit und Thrombosen. Das sind die Nebenwirkungen der ersten Pillengeneration. Heftige Nebenwirkungen. Hätte man sie vorausgeahnt - so Pillenvater Carl Djerassi - wäre der historische Moment für dieses Verhütungsmittel wohl vorbeigezogen:

    "Das war die richtige Zeit. Wenn man 15 Jahre später angefangen hätte das Ganze, dann bin ich ganz sicher, dass wir jetzt keine Pille haben würden. Weil das Klima ein ganz anderes, weil man kein Risiko nehmen will, und das ist natürlich eine Substanz, wie man sie erst entwickelt hat. Die man dann natürlich nicht (mit) allen Nebenwirkungen hat kennen können. Weil man hat ja nicht gewusst, dass diese Substanzen die Leute 20 Jahre nehmen. Das kann man erst nachher machen, wenn es am Markt ist."

    Die Wissenschaftler beginnen, mit den Hormonmengen zu variieren. Wie viel Östrogen ist wirklich nötig? Heute weiß man, so Gerd Glaeske:

    "Das Östrogen soll möglichst niedrig dosiert sein, wir sagen heute 20 bis 30 Milligramm reicht völlig aus."

    Und die verhütende Wirkung bleibt dieselbe. Die östrogenüberfrachteten Frauen Anfang der 70er Jahre - sie werden "pillenmüde", wie man es nennt. Lieber doch ein chemischer Verhütungsschaum? Vielleicht lässt sich auch der Mann zum Kondom überreden, was ist mit einem Diaphragma, oder sollte man die unfruchtbaren Tage zählen, gibt es da eine sichere Methode? Was ist mir die Gesundheit meines Körpers wert?

    "Ich nehme die Pille, obwohl es mich manchmal stört und auch ärgert, aber die ist mir sicherer. In erster Linie ist es bei mir die Sicherheit, die will ich haben."

    Sicher ist relativ - Pillenversager sind nicht ausgeschlossen: Die Quote liegt etwa bei ein bis neun Schwangerschaften pro tausend Frauen. Als die zweite Pillengeneration auf den Markt kommt, ist ihre Östrogen/Gestagenkombination ausgefeilter und besser verträglich. Bis heute sei diese Pillengeneration zu empfehlen, so der Arzneimittelspezialist Gerd Glaeske, der für Stiftung Warentest kürzlich die gesamte Pillenpalette von über 200 Präparaten unter die Lupe nahm:

    "Ich würde bei der Zweiten bleiben, was spricht dagegen. Ich habe ein Mittel der zweiten Generation. Das Östrogen ist niedrig dosiert, ich habe ein bekanntes Gestagen mit dem Levonogestrel. Es spricht überhaupt nichts dagegen, diese Präparate zu verwenden."

    Wenn man sie denn verwenden möchte. Eine fettigere Haut, stärkere Körperbehaarung - all das wird auch der Pille der zweiten Generation zugeschrieben. Aber: Sie macht weniger von sich Reden, als es ihre Nachfolgerin tut: Die dritte Pillengeneration, eine sogenannte Mikropille mit einem Östrogenanteil von weniger als 0,05 Milligramm, die besser und verträglicher sein sollte, bewirkt vor allem eines: ein erhöhtes Thromboserisiko. Thrombosen, also Blutgerinnsel im Gefäß, können zu einer Lungenembolie oder einem Schlaganfall führen, in seltenen Fällen auch zum Tod.

    "Da diese Todesfälle vermeidbar sind, wenn eine Frau auf eine andere Pille umstellt, sehe ich keinen Grund, sich diesem Risiko auszusetzen, auch wenn es letztlich ziemlich klein ist","

    sagt der Gesundheitswissenschaftler Jörg Schaaber von der unabhängigen Pharmazeitschrift "Gute Pillen, schlechte Pillen". Das um 50 Prozent erhöhte Thromboserisiko steht heute im Beipackzettel. Raucherinnen und Frauen mit einem familiären oder durch die eigene Krankheitsgeschichte erhöhten Risiko sind gewarnt.

    ""Wir geben dieses Arzneimittel Millionen von gesunden Frauen, wir haben ja keine Krankheit, die wir behandeln müssen, es sind gesunde Frauen, die dieses Mittel einnehmen, und insofern ist es völlig richtig, dass man jede Warnung und jede unerwünschte Wirkung besonders ernst nimmt."

    Das gilt auch für die Minipille - die Pille vierter Generation, die vor zehn Jahren mit wohlklingenden Namen wie: Yaz, Yasmin oder Petibelle auftauchte.

    In einschlägigen Jugendmagazinen versprach das Mittel, auch gegen Pubertätspickel zu helfen. Im Vergleich zu allen vorangegangenen Pillen enthält sie nun kein Östrogen mehr, nur das niedrig dosierte Gestagen: Drospirenon. Doch die mittlerweile bekannt gewordenen Gefahren lassen aufhorchen.

    "Das Risiko von Drospirenon-haltigen Pillen ist höher, als wir bisher angenommen haben. Das Risiko ist relativ hoch","

    sagte Joachim Gross, der Leiter der Schweizer Arzneimittelbehörde Swissmedic im vergangenen Herbst. Eine 21-Jährige war an den Folgen einer Lungenembolie gestorben - sie hatte nur zehn Monate die Pille Yaz eingenommen. Auch eine 16-jährige Schweizerin, die das vergleichbare Präparat Yasmin bekam, erlitt eine Lungenembolie. Sie ist seither schwerbehindert. In Deutschland - so wurde erst vor wenigen Tagen bekannt - sind im vergangenen Jahr insgesamt fünf junge Frauen an den Folgen der Minipille gestorben. Der Arzneimittelexperte Gerd Glaeske wird deshalb nicht müde zu betonen:

    ""Die Frage ist doch: Wenn ich ein vernünftiges Arzneimittel habe, warum bekomme ich dann immer neue auf den Markt?"

    Die Frage ist einfach zu beantworten. Pharmakonzerne wie Bayer-Schering, in den auch der ehemalige DDR Betrieb Jenapharm aufging, haben mit neuen Arzneimitteln die Chance mehr Geld zu verdienen, als mit älteren, bei denen die Patente ausgelaufen sind. Möglicherweise wird es deshalb auch irgendwann eine fünfte Pillengeneration geben.

    Dass Frauen, die mit der Pille eine Schwangerschaft verhüten wollen, ein Risiko eingehen, ist unbestritten. Auch wenn manch vermutete Gefahr, wie ein erhöhtes Brustkrebsrisiko, bislang nicht bewiesen wurde. Andererseits ergab der wohl größte Feldversuch der vergangenen Jahrzehnte, dass die Pille auch manch ein Krankheitsrisiko senkt. So stellte sich beispielsweise heraus, dass Eierstockkrebs seltener auftritt. Und eine Langzeitstudie der University of Aberdeen, die seit 1968 läuft, gibt allgemeine Krebsentwarnung. Dennoch, so meint die Gynäkologin Angelika Rehlis von der Charité Berlin:

    "Ich denke, man kann diese Rechnung nicht aufmachen, dass man sagt: Hier habe ich die negativen Auswirkungen der Pille, dafür habe ich in soundso viel Prozent den Schutz vor einer Tumorerkrankung. Bei der Entscheidung, die Pille zu nehmen, steht einfach ganz im Vordergrund, welches Verhütungsmittel bevorzugt wird."

    Die Frage: "Pille, ja oder nein?" ist und bleibt eine grundsätzliche. Nach den moralischen Bedenken rückten in den vergangenen Jahrzehnten die gesundheitlichen in den Vordergrund. Und, mit der Erfahrung von 50 Jahren, lässt sich sagen: Der prophezeite Untergang des Abendlandes ist nicht eingetreten. Der berühmte Pillenknick ließ zwar in Westdeutschland die Geburtenrate zwischen 1964 und 1978 sinken - von 2,5 auf 1,4 Kinder pro Frau - doch seither ist die Geburtenrate relativ gleich geblieben. Und auch wenn der gegenwärtige Papst Benedikt XVI. immer noch kein gutes Wort für die Pille eingelegt hat, tragen junge Frauen die Packungen in der Handtasche. In immer mehr Ländern der Welt - inzwischen sogar in Saudi-Arabien.