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Geschichte aktuell: Novemberrevolution 1918
Der umkämpfte Weg zur Ausrufung der Republik

Der Kaiser musste abtreten, die Republik wurde ausgerufen: Der 9. November 1918 ist in die deutsche Geschichte eingegangen. Aber bis zur Demokratie war es noch ein langer Weg – geprägt von Gewalt und Machtkämpfen.

Von Norbert Seitz | 09.11.2018
    Philipp Scheidemann steht an einem Fenster und richtet sich an eine im Bild nicht sichtbare Masse.
    Philipp Scheidemann ruft am 9.11.1918 die Republik aus - das Foto wurde allerdings zehn Jahre später nachgestellt. Auch die Rede ist nicht überliefert, Scheidemann hat sie erst in seinen Memoiren wiedergegeben. (picture-alliance / akg)
    "Auf zu den Waffen, jedes Zögern wäre Verrat am Vaterlande."
    Das sagte Kaiser Wilhelm II. am Tag der ersten Kriegskreditbewilligung im August 1914. Der Monarch kannte keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche, nachdem auch die oppositionelle SPD-Fraktion im Reichstag mehrheitlich der Anleihe für militärische Zwecke zugestimmt hatte. Eine volksfestartige Kriegsbegeisterung brach aus – das "August-Erlebnis".
    "Nun aber will man uns demütigen, man verlangt, dass wir mit verschränkten Armen zusehen, wie unsere Feinde sich zu tückischem Überfall rüsten."
    Mit solchen martialischen Tönen hatte der Monarch die SPD auf seine Seite gebracht, als er Frankreich und Russland den Krieg erklärte. Eine prekäre Situation für eine Partei, die unter dem Hohenzollern-Regime zuvor zwölf Jahre Sozialistengesetze und das Etikett der "vaterlandslosen Gesellen" zu erdulden hatte.
    Je mehr sich jedoch im Laufe des Ersten Weltkrieges die Lage militärisch verfinsterte und die Friedenssehnsucht im Volke wuchs, umso größer geriet die Zerreißprobe in der SPD, weiteren Kriegskrediten zuzustimmen. Bis es über diese Streitfrage im April 1917 mit der Gründung der USPD zur Spaltung kam – folgenreich für die Partei und für das Deutsche Reich. Fortan gab es die Unabhängigen Sozialdemokraten, die den Krieg ablehnten, und die MSPD, die Mehrheits-SPD.
    Immer nervösere Stimmung
    Auch im Land breitete sich eine immer nervösere Stimmung aus, die die Novemberrevolution befeuerte. An deren Ende war das Deutsche Reich keine konstitutionelle Monarchie mehr, sondern eine parlamentarisch-demokratische Republik.
    Schon einige Monate vor der Revolution ging die Hoffnung auf einen Verständigungsfrieden mit den westlichen Alliierten bereits mit einer diffusen Umsturzahnung einher – zumindest auf Seiten der Sozialdemokraten. So drohte einer der SPD-Führer, Philipp Scheidemann, der Obersten Heeresleitung Anfang 1918:
    "Es wäre ein Glück für ganz Europa, wenn wir einen Frieden der Verständigung haben könnten. Und würde die deutsche Regierung ihre Eroberungsziele fortsetzen wollen, dann, meine Herren, verlassen Sie sich darauf, dann haben Sie die Revolution im Lande."
    Als die Mehrheits-SPD im Oktober 1918 in das Kabinett des kurz zuvor ernannten Reichskanzlers Prinz Max von Baden eintrat, kam es zum offenen Zerwürfnis zwischen der um Kriegsabbruch bemühten Reichsregierung und Erich Ludendorffs unverdrossener Oberster Heeresleitung. Der Grund: US-Präsident Woodrow Wilson hatte ein Waffenstillstandsgesuch der neuen Regierung unter Max von Baden mit der Forderung nach einer bedingungslosen Kapitulation und – indirekt – einer Abdankung des Kaisers gekontert.
    Die Lage im Land spitzte sich zu. Bereits 1917 hatte sich eine erste aufbegehrende Marinebewegung hervorgetan, ehe es Anfang 1918 in mehreren deutschen Städten zu Massenstreiks kam. Die Proteste richteten sich gegen die Hungersnot, die Militarisierung der Betriebe und die Politik der Obersten Heeresleitung, die – ungeachtet der aussichtslosen militärischen Lage und aller zaghaften internationalen Verständigungsversuche – um jeden Preis einen sogenannten "Siegfrieden" erzwingen wollte.
    Revolte unter den Matrosen in Kiel
    Ende Oktober, Anfang November 1918 war es dann soweit. Eine Revolte unter den Matrosen in Kiel und Wilhelmshaven brach aus, die sich einer selbstmörderischen Fortsetzung des Krieges auf See widersetzten. Historiker Joachim Käppner, Autor des Buches "1918 – Aufstand für die Freiheit":
    "Im Grunde haben sie für die Regierung revoltiert, das war die Übergangsregierung unter Max von Baden. Gegen diese Regierung hat die Seekriegsleitung versucht, den Krieg fortzusetzen. Und das war der Versuch, erstens die Friedensverhandlungen zu torpedieren im wahrsten Sinne des Wortes. Und zweitens vielleicht doch noch irgendeine Art militärische Entscheidung zu erzwingen, die natürlich aussichtslos war angesichts der militärischen Lage. Und dagegen haben die Matrosen spontan revoltiert."
    Die deutsche Marine verweigert das Auslaufen. Soldaten/Matrosen vor einem Kriegsschiff.
    Matrosenaufstand in Kiel, November 1918 (picture alliance / Mary Evans Picture Library/WEIMA)
    Am 4. November war Kiel in den Händen der Matrosen. Es folgten weitere Küstenstädte. Mit den "14 Kieler Punkten" wurden auch politische Forderungen fixiert, die nicht nur das Ende des Krieges und die Freilassung inhaftierter Marinesoldaten betraf, sondern auch – die Abdankung des Kaisers.
    Damit wurde die Revolte zur Revolution, weil sie über ihre ursprüngliche Zielsetzung hinaus nicht nur die Friedenssehnsucht von Millionen zum Ausdruck brachte, sondern auch den Wunsch nach einer grundlegenden politischen Veränderung. In München fand diese Revolution zuerst statt, als am 7. November mit dem Sturz der Wittelsbacher Dynastie der unabhängige Sozialdemokrat Kurt Eisner den "Freien und Volksstaat Bayern" proklamierte.
    Derweil überzeugten die MSPD-Führer Philipp Scheidemann, Friedrich Ebert und Gustav Bauer Reichskanzler Max von Baden, den Kaiser zur Abdankung zu bewegen und einen seiner Söhne einzusetzen, um in dem aufgeheizten Klima eine möglich Revolution im ganzen Land zu stoppen.
    "Wenn der Kaiser nicht abdankt, dann ist die sozialistische Revolution unvermeidlich. Ich aber will sie nicht, ja ich hasse sie wie die Sünde."
    Sagte Friedrich Ebert bei Ausbruch der Matrosenmeutereien. Der Kaiser war aber schon Ende Oktober 1918 aus Berlin geflüchtet und hielt sich im belgischen Spa hinter der dort stationierten Obersten Heeresleitung versteckt. Als der letzte Hohenzoller der Bitte, dem Thron zu entsagen, nicht entsprach, verkündete Max von Baden am 9. November 1918 eigenmächtig – und im Übrigen formell rechtswidrig – die Abdankung Wilhelms II. Die vormals kaisertreuen bürgerlichen Parteien nahmen die neue Entwicklung passiv hin. Sie vertrauten auf die Mehrheitssozialdemokratie, die "bolschewistische Gefahr" im Lande abwenden zu können.
    Sodann setzte der sogenannte "Kampf der Balkone" ein. Die Frage war, wer von Seiten der Linken als erster Protagonist die Republik ausrufen würde. Es war einer der beiden SPD-Vorsitzenden, Philipp Scheidemann aus Kassel:
    "Der Kaiser hat abgedankt. Er und seine Freunde sind verschwunden. Über sie alle hat das Volk auf der ganzen Linie gesiegt. Arbeiter und Soldaten, seid Euch der geschichtlichen Bedeutung dieses Tages bewusst. Unerhörtes ist geschehen. Große und unübersehbare Arbeit steht nun bevor."
    Um diese Worte ranken sich bis heute Legenden, wie Martin Sabrow, Direktor am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam, meint:
    "Nichts ist eigentlich sicher. Wir wissen nicht einmal, ob das Bild richtig ist, das wir von der Ausrufung der Republik durch Scheidemann haben, als er dort am zweiten Fenster, links neben dem Hauptportal des Reichstags auf einer Brüstung halsbrecherisch balanciert. Der Redetext ist nicht überliefert. Er wird 1920 zum ersten Mal nachgesprochen, dann auf einer Schellack-Platte festgehalten. Er wird 1928 dann von Scheidemann wiedergegeben in seinen Memoiren, aber im Stile einer Verteidigungsrede für die Republik, die er so nie gehalten haben kann."
    "Nichts darf geschehen, was der Arbeiterbewegung zur Unehre gereicht. Seid einig, treu und pflichtbewusst. Das Alte und Morsche, die Monarchie, ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue, es lebe die deutsche Republik."
    Ausrufung der Republik: nebliger Samstag, 14 Uhr
    Auch wenn Worte und Ort umstritten sind – die Ausrufung der Republik durch den Mehrheitssozialdemokraten Philipp Scheidemann geschah am 9. November 1918, an einem nebligen Samstag gegen 14 Uhr. Damit endeten Jahrhunderte der Hohenzollern-Herrschaft. Zwei Stunden später legte der Führer des Spartakusbundes, Karl Liebknecht, die radikalere Variante nach, in der er auch seine Sympathie für Lenins Revolution in Russland artikulierte:
    "Der Tag der Revolution ist gekommen. In dieser Stunde proklamieren wir die freie, sozialistische Republik Deutschlands. Wir grüßen unsere russischen Brüder."
    Während Staatssekretär Matthias Erzberger von der Zentrumspartei in Compiègne den Waffenstillstand mit Großbritannien und Frankreich unterzeichnete, einigten sich die Führer der gespaltenen SPD – die die stärkste Fraktion im Reichstag bildete – auf eine gemeinsame Übergangsregierung, den Rat der Volksbeauftragten.
    In dem saßen drei Mehrheitssozialdemokraten – Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann sowie Otto Landsberg und drei Unabhängige Sozialdemokraten – Hugo Haase, Wilhelm Dittmann und Emil Barth. Karl Liebknecht lehnte eine Beteiligung ab. Er ging eigene Wege, weil eine Kooperation mit der verteufelten Mehrheitssozialdemokratie für ihn nicht mehr in Frage kam.
    Von da an setzte ein blutiger Kampf unter der deutschen Linken um die künftige Staatsform ein. Dazu der Historiker Robert Gerwarth, der das Buch "Die größte aller Revolutionen" geschrieben hat:
    "Auf der extremen Linken wünscht man sich eine Räterepublik, noch weiter links vielleicht sogar eine bolschewistische Revolution. Andererseits steht die Mehrheit der Deutschen, das sieht man an den Ergebnissen der Wahlen vom Januar 1919 ganz eindeutig, hinter einem republikanischen Neubeginn. Das heißt, es gibt auch Zukunftsoptimismus, ungeachtet der Tatsache, dass Deutschland den bis dahin blutigsten Krieg der Weltgeschichte verloren hat."
    Machtfaktor Arbeiter- und Soldatenräte
    Aber bevor es zu den Wahlen kam, standen noch andere, kontrovers diskutierte Forderungen im Raum, etwa die der Arbeiter- und Soldatenräte, die sich überall im Land gebildet hatten und ein Machtfaktor waren. Klaus Gietinger, Autor des Buches "November 1918. Der verpasste Frühling des 20. Jahrhunderts":
    "Die Arbeiter und Soldaten wollten mehr. Sie wollten diesen Militarismus zerschlagen haben. Das heißt die Demokratisierung der Armee, die Zerschlagung des preußisch-deutschen Militarismus und eine Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien. Als diese Punkte nicht befolgt wurden, radikalisierte sich das Ganze."
    Bewaffnete Arbeiter- und Soldatenräte haben sich am 9. November 1918 vor dem Reichstagsgebäude postiert. Schwarzweiß-Foto
    Bewaffnete Arbeiter- und Soldatenräte haben sich am 9. November 1918 vor dem Reichstagsgebäude postiert (picture-alliance / dpa)
    In der Tat sollte sich in der Vorweihnachtswoche 1918 das weitere Schicksal der Novemberrevolution und das des Deutschen Reiches entscheiden – auf dem Ersten Allgemeinen Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands. Ein Großteil der 500 Delegierten rechnete sich MSPD und USPD zu, einige dem Spartakusbund. Der Kongress mit seinen Delegierten war das oberste Gremium der jungen Republik, sagt Historiker Joachim Käppner:
    "Und die standen vor einer Grundsatzfrage: Soll Deutschland wie in Russland ein Rätesystem bekommen oder eine Nationalversammlung, demokratische Wahlen, ein demokratisches Parteiensystem, ein westliches System. Die haben sich mit überwältigender Mehrheit gegen die Räte, also gegen sich selbst und für die Demokratie entschieden. Ihre Bedingung war, die einzige Bedingung, dass das alte Militär sofort aufgelöst wird und durch eine solche demokratische Volkswehr ersetzt wird."
    Obwohl erfolgreich in der Systemfrage, witterte die misstrauische Mehrheits-SPD hinter dieser einschränkenden Bedingung ein Schlupfloch für Radikale. Ebert und Scheidemann befürchteten noch immer, irgendwann würde die Reichskanzlei gestürmt und eine bolschewistische Diktatur ausgerufen. Demgegenüber nahmen die unterlegenen Befürworter eines Rätesystems die Einberufung einer Verfassunggebenden Nationalversammlung als "Todesurteil" über die begonnene Revolution wahr. Eine gewalttätige Konfrontation schien unvermeidlich.
    Absetzung des Berliner Polizeipräsidenten
    So ereigneten sich um Weihnachten 1918 in Berlin schwere Gefechte zwischen Truppen der Interimsregierung von Ebert und Scheidemann und Angehörigen der radikalen Linken. Die Absetzung des Berliner Polizeipräsidenten Emil Eichhorn Anfang Januar 1919, der der USPD angehörte, erzürnte viele Radikale und brachte in der Folge das Fass zum Überlaufen. So kam es zur "zweiten Welle" der Revolution, der Januar-Erhebung in Berlin, auch "Spartakus-Aufstand" genannt. Der hatte sich vorgenommen, die Interimsregierung zu stürzen.
    Doch die radikalen Aufständischen von USPD und der neu entstandenen Kommunistischen Partei Deutschlands handelten ebenso spontan wie planlos. Martin Sabrow vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam:
    "Zunächst muss man sagen, dass der Spartakus-Aufstand, der seinen Namen nicht ganz zu Recht trägt, also diese fast spontane Erhebung des 5. Januars 1919, diese Veranstaltung ist kein geplanter Staatsstreich, sondern das Bemühen, sich an die Spitze einer Bewegung zu setzen, die von alleine losrennt und am nächsten Tag, am Montag, am 6. Januar eigentlich auch schon zusammenfällt."
    Der Versuch der radikalen Linken, die Revolution mit dem Spartakusaufstand in ihrem Sinne zu forcieren, endete in einem sinnlosen Blutbad mit 200 Toten.
    Dabei trat Gustav Noske als Vollstrecker auf den Plan. Er war zu dieser Zeit mehrheitssozialdemokratisches Mitglied im Rat der Volksbeauftragten. Dessen Vorsitzender Friedrich Ebert hatte ihm eine militärische Sondervollmacht erteilt, die Putschversuche niederschlagen zu lassen. Daraufhin trommelte Noske Berliner Ersatzbataillone und Bürgerwehren sowie – erstmalig – rechtsextreme Freikorps zusammen:
    "Es steht fest, dass Bestien in Menschengestalt sich aufgeführt haben wie Amokläufer. Ich musste den Versuch machen, dieser Bestialität Einhalt zu tun durch die Androhung härtester Abschreckungsmittel."
    Meuchelmorde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht
    Am 15. Januar 1919 – eine Woche nach Niederschlagung der Spartakus-Erhebung und vier Tage vor den Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung in Weimar – trug Gustav Noske mit der zumindest billigenden Inkaufnahme der Meuchelmorde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, den Führern der radikalen Linken, maßgeblich zum dunkelsten Kapitel in der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie bei. Damit war der Kampf zwischen radikalen Linken und Sozialdemokraten entschieden.
    Auf dem Platz vor dem Brandenburger Tor in Berlin hält Friedrich Ebert am 9. November 1918 eine Ansprache. 
    Auf dem Platz vor dem Brandenburger Tor in Berlin hält Friedrich Ebert (MSPD) am 9. November 1918 eine Ansprache.  (picture-alliance / dpa)
    Bis heute steht die zentrale Frage im Raum, ob die MSPD um Ebert und Scheidemann in den zehn Wochen zwischen dem Sturz der Monarchie und den Wahlen zur Nationalversammlung nicht eine deeskalierende Politik hätte betreiben können. Historiker Joachim Käppner:
    "Sie haben nicht begriffen, dass diese Massenbewegung ihre Bewegung war. Aus diesem Missverständnis heraus erklärt sich das ganze Scheitern dieser Revolution später, die Radikalisierung eines Teils der Linken, das merkwürdige Verhältnis der SPD zu ihrem alten Erzfeind, dem kaiserlichen Militär."
    Rasch wich die verhaltene Freude über die unter erheblichen Opfern zustande gekommene Gründung der Weimarer Republik und die Beendigung der Novemberrevolution einer bitteren Ernüchterung darüber, dass der demokratische Neubeginn nicht zu milderen Bedingungen bei den Pariser Friedensverhandlungen geführt hatte.
    Die neue demokratische Regierung, bestehend aus SPD, Zentrum und der Deutschen Demokratischen Partei wurde genauso behandelt wie das alte Kriegsregime. So rief die Bekanntgabe der für viele unannehmbaren Versailler Friedensbedingungen einen folgenreichen Stimmungsumschwung in der deutschen Öffentlichkeit hervor. Historiker Robert Gerwarth über die wenig konstruktive Rolle der Alliierten:
    "Insofern handelt es sich tatsächlich um eine externe Torpedierung des Friedens, aber eben auch einer parlamentarischen Demokratie, die ansonsten deutlich schneller hätte reintegriert werden können in die internationale Staatengemeinschaft."
    Als eine "wunderliche", "verschämte", "verratene" oder "halbherzige" Revolution ist die Novemberrevolution im kritischen Rückblick tituliert worden. Aus Angst vor nicht mehr kontrollierbaren Auswüchsen der Revolution hätte die Mehrheitssozialdemokratie eine Reihe von notwendigen Maßnahmen nicht umgesetzt, für die es nur ein sehr schmales Zeitfenster gab, wie Joachim Käppner meint:
    "Durch den Zufall dieser Revolution, der die Sozialdemokraten an die Macht gespült hatte, hätten sie die Möglichkeit gehabt, weite Teile des kaiserlichen Apparates einfach abzusetzen. Es hätte ja gereicht, in weiten Teilen der Verwaltung, der Ministerien, der Justiz eigene Leute in Schlüsselpositionen zu setzen. Das dramatischste Beispiel ist das Militär. Niemand hätte es gewundert, wenn man, am 10. November zum Beispiel, die Oberste Heeresleitung unter Hindenburg einfach verhaftet hätte."
    Leistung: Einführung des Frauenwahlrechtes
    Außerdem sei es versäumt worden, so Käppner, eigene demokratische Streitkräfte aufzubauen. Als ebenso fatal habe es sich erwiesen, dass bei den Waffenstillstandsverhandlungen Vertreter der neuen demokratischen Regierung erschienen seien und nicht Vertreter der Obersten Heeresleitung um Hindenburg und Ludendorff, die in Wahrheit Deutschland die Misere eingebrockt hatte.
    Zum hundertsten Jahrestag der Novemberrevolution 1918 bemühen sich Historiker, das Geschehen seit der Matrosenmeuterei in Kiel nicht mehr nur vom katastrophalen Ende der Weimarer Republik her zu begreifen. Man müsse stattdessen die sich überstürzenden Ereignisse mehr vom Anfang aus betrachten und dabei die Wahrnehmung der Zeitgenossen, aber auch die Leistungen der Revolution stärker berücksichtigen, allen voran die Einführung des Frauenwahlrechtes in der Weimarer Reichsverfassung, meint Joachim Käppner:
    "Da die Revolution sich am Ende auch nicht durchgesetzt hat, nur eine sehr kurzlebige Demokratie geboren hat, galt sie lange als ein Unglück, statt das, was sie sein wollte - nämlich eine demokratische Erhebung und ein Teil der Freiheitsbewegungen in Deutschland, auf die wir wirklich stolz sein können."