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Geschichte der Krise

Was vor zwei Jahren als Immobilienkrise in den USA seinen Anfang nahm, ist nun eine Wirtschaftskrise mit eingebauter Rutschbahn in die Rezession. Ein Blick zurück ist angebracht - vor allem, um zu begreifen, welche Fehler gemacht wurden, die zu diesem Desaster führten. Einen solchen Rückblick liefert Niall Ferguson, britischer Historiker und Harvard-Professor.

Von Thomas Fromm | 22.06.2009
    Im Jahre 1903 hatte die Amerikanerin Lizzie Phillips eine Vision. Sie wollte die großen sozialen Ungleichheiten in der Gesellschaft offen legen. Die Quäkerin erfand ein Brettspiel, bei dem es um Immobilien, ihre Besitzer und die Ursachen für Armut ging. "The Landlord's Game". Ein kommerzieller Erfolg wurde das Spiel aber erst, als es ein Klempner namens Charles Darrow weiterentwickelte, kleine Häuser und Hotels schnitzte und das Ganze "Monopoly" nannte.

    Ironie der Geschichte: Was als bittere Sozialkritik gemeint war, wurde zum Symbol für einen aggressiven Kapitalismus. Das Versprechen war groß: Jeder konnte Kapitalist sein - wenn auch nur im eigenen Wohnzimmer. Ausgerechnet mitten in der Großen Depression wurde ein Spiel zum Verkaufsschlager, in dem es darum ging, Häuser mit Geld zu kaufen, das man gar nicht hatte. Mit Spielgeld. Erst eins, dann zwei, dann ganze Straßen.

    Und nicht zufällig wurde Monopoly zum Lieblingsspiel der Amerikaner. Warum? Es war Ausdruck einer "typisch amerikanischen Hausbesitzerdemokratie", schreibt Niall Ferguson. Der Traum vom eigenen Haus - Banken halfen jahrzehntelang nach, ihn zu verwirklichen. Und das Kino zog mit. In Frank Capras "Ist das Leben nicht schön" aus dem Jahr 1946 gibt Jimmy Stewart einen liebenswerten Hypothekenmakler. Die Botschaft des Films: Jeder kann Immobilien besitzen. Ferguson zitiert hier eine der Schlüsselszenen des Films:

    Was haben Sie dagegen, wenn wir ein paar besser gestellte und kaufkräftige Bürger mehr haben? Wie sagen Sie immer - man soll sparen und warten, bis man das Geld zusammen hat, um ein Haus zu bauen. Aber wie lange soll man dann wohl warten? So lange, bis man alt und abgearbeitet ist? Wissen Sie, wie lange ein Arbeiter schuften muss, bis er 5000 Dollar zusammengespart hat?
    Die Menschen wollten eigene Häuser, findige Finanzmakler wollten Geld verdienen - viel Geld. Sie kassierten Provisionen, indem sie Menschen Darlehen gaben, die sich das oft gar nicht leisten konnten. Lange Zeit ließ sich so gut leben - das Leben war - wie im Film - schön. Und so schreibt Ferguson:

    Die Manager der Spar- und Darlehenskassen brauchten sich nur an die 3-6-3-Regel zu halten: Zahle den Einlegern drei Prozent, verleihe Geld zu sechs Prozent, und sei um drei Uhr nachmittags auf dem Golfplatz.
    Immer laxer wurde die Kreditvergabe, am Ende nannte man das, was die gigantische amerikanische Verkaufsmaschinerie zu Tage förderte, "Ninja-Loans" - "No income, no job or asset". Wer einen Hauskredit aufnahm, brauchte weder Job, noch Einkommen, noch Vermögen. Als die Zinsen stiegen und die Hauspreise fielen, war das Spiel zu Ende. Das war vor zwei Jahren. Die US-Immobilienkrise begann. Dann kam die weltweite Finanzkrise, die Banken rund um den Globus an den Abgrund manövrierte. Und dann die Rezession, von der niemand weiß, wann sie zu Ende geht.

    Der Harvard-Professor Niall Ferguson zeigt, wie es zu der Krise kam, ohne ein Buch über die Krise zu schreiben. So entstehen direkte Linien - vom Florentiner Geldadel zu Lehman Brothers, von den Rotschilds zu den modernen Investmentbankern. Ferguson ist vor allem Chronist, fast journalistisch ist seine Herangehensweise. Er beschreibt mit viel Detailfreude, wie die Rothschilds Staatsanleihen um den Globus jagten, die Finanzmärkte revolutionierten - und so eine neue Form des Reichtums schufen. Einen anderen Reichtum als den, der für den alten europäischen Adel stand. Heute würde man womöglich sagen: Virtueller Reichtum. Heinrich Heine jedenfalls zog vor den neuen Reichen den Hut.
    Jetzt aber gewährt das Staatspapierensystem diesen Menschen die Freiheit, jeden beliebigen Aufenthalt zu wählen, überall können sie von den Zinsen ihrer Staatspapiere, ihres portativen Vermögens geschäftslos leben, und sie ziehen sich zusammen und bilden die eigentliche Macht der Hauptstädte.

    Ferguson formuliert aus der Distanz des Wirtschaftshistorikers, und oft wünscht man sich mehr Nähe - mehr Nähe vor allem zur aktuellen Krise. Zum Beispiel, wenn er über das Jahr 1929 schreibt und jene Depression, die seit Monaten immer dann als historischer Vergleich bemüht wird, wenn Ökonomen verzweifelt nach Erklärungen für das Unerklärliche suchen. Ferguson ist ein akkurater Analytiker. Er beschreibt, wie 1929 aus einer Finanzkrise eine scharfe Wirtschaftsdepression wurde, wie der Dow Jones in drei Jahren um fast 90 Prozent einbrach.

    An vielen Stellen aber fehlt die Leidenschaft, wäre ein wenig mehr an kritischer Auseinandersetzung angemessen gewesen. Ferguson aber beschreibt eher beiläufig, wie sich die Banken in den vergangenen Jahrzehnten mit Geld vollpumpen konnten, wie immer neue Formen gefährlich-toxischer Wertpapiere in die Bücher der Institute gelangten. Wie sich die neue Katastrophe bereits in den 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts anbahnte, als der US-Immobilienmarkt und die Giftmischer in den Hinterzimmern der Investmentbanken eine unheilige Allianz eingingen. Und wie die wackeligen Hypothekenverträge schließlich verpackt und weiterverkauft wurden. Und als amerikanische Schrottverträge in den Büchern von Banken weltweit - zum Beispiel deutscher Landesbanken - landeten.
    Die Idee war, die Hypothek neu zu erfinden, indem man tausende Verträge zu neuen attraktiven Wertpapieren bündelte, die als Alternativen zu traditionellen Staats- und Industrieanleihen verkauft werden konnten. Kurz, Hypotheken sollten in Anleihen verwandelt werden können. Es war der Auftakt einer neuen Ära in der amerikanischen Finanzgeschichte.
    Ein Münchner Banker verglich diese verbrieften Pakete mal mit einer Obstkiste auf dem Viktualienmarkt: Die glänzenden Äpfel lägen oben - das verfaulte Obst weiter unten. Welche Folgen das hatte, ist heute bekannt. Das Risiko war aus der eigenen Bilanz, wenn auch nicht aus der Welt. 2007 wurden Immobilienhypotheken im Wert von zwei Billionen Dollar verbrieft. 1980 waren zehn Prozent des Immobilienhypothekenmarkt verbrieft, 2007 schon über 50 Prozent. Als die Darlehen in den USA platzten, wurden auch die verbrieften Papiere wertlos - und liegen heute als Zeitbomben in den Bilanzen der Banken. Eine von Menschen gemachte Katastrophe. Ferguson jedoch scheint sie als eine Art Naturereignis hinzunehmen.

    Die heutige Finanzwelt ist das Ergebnis einer viertausendjährigen Evolution der Wirtschaft. Tatsächlich gleicht die Finanzgeschichte einer Achterbahnfahrt voller Aufschwünge und Abstürze, Blasen und Pleiten, Manien und Paniken, Schocks und Crashs. Die Finanzgeschichte ist im Wesentlichen das Ergebnis von institutioneller Mutation und natürlicher Auslese.

    Genau das ist es eben nicht. Wer heute noch an ein Finanzsystem glaubt, das eigenen Naturgesetzen gehorcht, das sich selber heilen kann, legt den Schluss nahe, dass dieses System keine Kontrollen braucht. Und steuert so bereits auf die nächste Krise zu.

    Thomas Fromm war das über Niall Ferguson: Der Aufstieg des Geldes. Die Währung der Geschichte. Das Buch ist im Econ-Verlag erschienen, hat 360 Seiten und kostet Euro 24,90