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Geschichte der Teilung des Subkontinents

Der Schriftsteller, Journalist und Politiker Khushwant Singh gehört ganz zweifellos zu den hellsten Köpfen Indiens. In seinen Artikeln, Sachbüchern, Romanen und Statements erweist er sich immer wieder als kritisch kluger Geist. Bekannt geworden ist Singh mit dem Roman "Der Zug nach Pakistan". In Indien ist das Buch schon 1956 erschienen, jetzt liegt es endlich auch in der deutschen Übersetzung vor. In einer vorzüglichen Übersetzung, weil Axel Monte nicht nur den Text übersetzte, sondern mit zahlreichen klugen Anmerkungen und Fußnoten dafür sorgt, dass der Leser auch die Hintergründe des Gesagten versteht.

Von Shirin Sojitrawalla | 13.01.2009
    Singh erzählt in seinem zu Recht als Klassiker firmierenden Roman die Geschichte der Teilung des Subkontinents aus der Sicht eines kleinen Dorfes im indisch-pakistanischen Grenzgebiet: In Mano Majra, im Punjab, im Norden Indiens, lebten bis dato Muslime, Hindus und Sikhs friedlich zusammen.

    Es ist der Sommer 1947, Indien ist geteilt, die Briten sind abgezogen, und Pakistan das neue Land der Muslime. Die Bevölkerung wird entsprechend ihrer Religion umgesiedelt, 10 Millionen Menschen begeben sich auf die Flucht, Millionen von ihnen werden sterben. Zwangsumsiedlungen stehen auf der Tagesordnung wie Massenmorde und Vergewaltigungen.

    Singh erzählt seine Geschichte in gewohnt klarer Sprache, die sich um nichts drückt. Eine handvoll Protagonisten reicht ihm aus, um von unvorstellbaren Gräueltaten zu erzählen. Da ist etwa der Friedensrichter und Polizeipräsident des Verwaltungsbezirks, Mr. Hukum Chand, ein etwas schmieriger Inder, der sich zum Feierabend gern junge Mädels liefern lässt und sonst Dienst nach Vorschrift tut. Doch Singh wäre nicht Singh gönnte er nicht auch diesem Vertreter der Obrigkeit ein komplexes Innenleben, in dem sich die Skrupel zuweilen ausbreiten wie eine Infektion.

    Vielmehr als Einzelne bloßzustellen, entlarvt Singh das politische System als eines, das nur funktionieren kann, weil verschiedene Rädchen ineinander greifen. Untergebene erweisen sich dabei immer wieder als willfährige Untertanen. So macht der Unterinspektor vornehmlich nur das, was der Friedensrichter ihm befiehlt. Seinen eigenen Kopf schaltet er, wenn überhaupt, zu spät ein und wundert sich erst dann.

    Eine der reizvollsten Figuren, zumal für den westlichen Leser, ist aber Iqbal, ein junger in England ausgebildeter Sozialarbeiter, der die Bevölkerung des kleinen Dorfes bekehren möchte. Im dörflichen Mikrokosmos nimmt sich der junge Mann wie ein Fremdkörper aus, und er selbst betrachtet die Dorfbevölkerung wie ein Insekt im Marmeladenglas: fasziniert und ein bisschen angewidert. Längst mit den Sitten der Großstädte dieser Welt vertraut, kommt ihm in Mano Majra alles rückständig und ärmlich vor. Es ist der westlich-harte Blick auf die indische Wirklichkeit, den auch der Autor selbst, der in London und Cambridge studierte, zumindest nachvollziehen kann. Mag sein, dass er in dieser Figur auch Züge seiner selbst einfließen ließ.

    Auf jeden Fall erlaubt diese Figur es Singh wieder einmal, einen herrlich ungeschönten Blick auf den indischen Nationalcharakter und seine Absonderlichkeiten zu werfen. Dabei geißelt er, wie auch in seinen anderen Werken, immer wieder die Irrationalität seiner Landsleute. Ferner erzählt er in diesem Roman oder deutet sie eher an, auch eine zarte Romeo-und-Julia-Liebesgeschichte zwischen einer Muslimin und einem Sikh, für die es in Zeiten des Krieges und der Massenfluchten freilich keinen Raum gibt.

    Singh lässt seinen allwissenden Erzähler aus wechselnden Perspektiven berichten, was in jenem Sommer 1947 geschah. In dem Ort Mano Majra ist der Bahnhof Hauptschauplatz, der den Rhythmus des Tages bestimmt. Dort befindet sich die Eisenbahnlinie von Delhi nach Lahore, Züge fahren also von Pakistan nach Indien und umgekehrt. Eines Nachts fährt in der Dunkelheit ein Geisterzug ein, der die Leichen von hunderten Sikhs transportiert. Es wird nicht der einzige Zug bleiben.

    Mit einem untrüglichen Gespür für Spannung und Dramatik verfolgt der Autor das Geschehen und entlarvt die Grausamkeiten im Namen von Religion und Vaterland wie nebenbei als Taten reiner Unmenschlichkeit.

    Singh selbst wurde 1915 im indisch-pakistanischen Grenzgebiet geboren und erlebte die Tragödie der Teilung am eigenen Leib mit. Man merkt seinem Roman an, dass die Wunden noch frisch waren, als er ihn geschrieben hat. Während der Schriftsteller Salman Rushdie 1981in seinem berühmten Roman "Mitternachtskinder" zum farbenprächtig magischen Rundumschlag ausholte, konzentriert Singh die damaligen Ereignisse auf seinen kleinen Schauplatz und eröffnet doch einen realistischen Blick für das große Ganze. Atmosphärisch kompakt und in zuweilen drastischen Bildern erzählt er von unbescholtenen Bürgern wie von Propagandisten, die in dem Gespensterdorf aufeinandertreffen. Das oberste Ziel aller lautet: Selbsterhaltung. Sie oder vielmehr die Furcht, sie aufs Spiel zu setzen, drängt sie zu Machenschaften und dient ihnen gar als Ausrede für unvorstellbar grausame Racheakte. Davon erzählt Singh, einfach, schnörkellos und zuweilen wie ein Kriminalautor, der die Spannung insbesondere zum Schluss hin bis ins Unerträgliche steigert. Das Trauma der Teilung dient ihm als düster pochender Takt einer Geschichte um Liebe und Hass. Sein Roman ist Abrechnung und Hommage zugleich sowie nicht ohne Grund sein berühmtestes Buch.

    Khushwant Singh: Der Zug nach Pakistan. Roman.
    Aus dem Englischen von Axel Monte. Insel Verlag, 234 Seiten, 19,80 Euro.