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Geschichte
Die Wiederentdeckung des Kurt Landauer

Kurt Landauer war in den 1930ern Präsident des FC Bayern - und Jude. Im Dritten Reich konnte er aus dem KZ Dachau in die Schweiz fliehen. Nach dem Krieg kehrte er zurück und baute den FC Bayern wieder auf. Selbst in München war diese Biografie lange kaum bekannt, am Mittwoch (15.10.) sendet die ARD einen Film über Kurt Landauer.

Von Ronny Blaschke | 12.10.2014
    Die ARD sendet am Mittwoch, 15.10.2014 den Film "Landauer - Der Präsident"
    Szene aus dem ARD-Film "Landauer - Der Präsident": Die Mannschaft des FC Bayern applaudiert ihrem ehemaligen Präsidenten Landauer (Josef Bierbichler, vorne) im Schweizer Exil, die Gestapo und Trainer Heidkamp (Andreas Lust, Mitte hinten) schauen zu. (BR/Willi Weber)
    Ein warmer Sommerabend in Nürnberg, die Vorpremiere des Landauer-Films findet in einer Klosterruine statt, unter freiem Himmel mit rund 200 Zuschauern. Erst in drei Monaten wird der Film im Fernsehen ausgestrahlt, doch der Regisseur Hans Steinbichler gibt schon jetzt viele Interviews.
    "Die große Gemeinsamkeit ist natürlich, dass der FC Bayern in seiner Art, wie er bisher gemanagt wurde, für mich völlig undenkbar ist ohne die Vorarbeit von Landauer. Also seine Themen Jugendarbeit, Professionalisierung, Leute aus dem Ausland hinzukaufen, Trainingsmethoden etc., das ist so fundiert und revolutionär in seiner Zeit, dass man glauben muss, dass dieser Gedanke irgendwie zu Uli Hoeneß durchgereicht wurde."
    Im Film verkörpert Josef Bierbichler die innere Zerrissenheit des Bayern Landauer. Landauer wollte nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA auswandern. Er machte einen Stopp im zerstörten München. Seine alten Kollegen baten ihn um Hilfe. Mit einem Juden an der Spitze, so glaubten sie, hätten die amerikanischen Besatzer keine Bedenken gegen eine Neugründung des FC Bayern. Landauer blieb und half, stets begleitet von antisemitischer Alltagshetze. Regisseur Steinbichler konzentriert sich im Film auf die Nachkriegszeit, auf den schwierigen Neuanfang.
    "Landauer hat für mich natürlich eine wesentliche Prämisse. Ich würde gerne ein eigentlich für Jugendliche und ein breiteres Publikum völlig unzugängliches Thema Holocaust, Judentum in Bayern – das klingt ja eher nach Forschung -, durch einen ganz simplen Zaubertrick nach vorne bringen. In dem man es mit dieser gigantischen Weltfirma FC Bayern verknüpft. Und wirklich ein Schicksal dranhängt, das jeden Fußballer und Knaben interessieren könnte."
    Fanshop im Jüdischen Museum München
    Der Bayerische Rundfunk widmet Kurt Landauer ein breites Angebot: Mit Dokumentation, Gesprächsrunde, Making Of, Internet-App. Und die Kampagne strahlt aus. Das Jüdische Museum München hat vorübergehend einen Fanshop für Landauer geöffnet, mit historischen Objekten und Film-Requisiten.
    Auf einem Bildschirm im Museums-Foyer laufen historische Szenen von der Meisterschaft 1932, dazu Interviews und Bilder einer riesigen Fan-Choreografie, die Landauer gewidmet ist. Verantwortlich dafür: die Ultras der Gruppe Schickeria.
    "Was jetzt mein eigenes Verständnis von Bayern München angeht, war sicherlich Kurt Landauer prägender, als es Franz Beckenbauer ist."
    Simon Müller ist einer der Köpfe der Schickeria, einer Gruppe mit rund 180 Mitgliedern. Vor zehn Jahren begannen die Ultras, sich mit Landauer zu beschäftigen. Sie sprachen mit dem Fußball-Historiker Dietrich Schulze-Marmeling, der zur NS-Geschichte des FC Bayern geforscht hatte. Sie organisierten ein Zeitzeugengespräch mit Uri Siegel, dem Neffen Landauers. Sie veranstalteten Gedenkturniere und verfassten Artikel. Inzwischen gibt es am Stadion einen Kurt-Landauer-Weg. Die Vereinsmitglieder haben Landauer 2013 zu ihrem Ehrenpräsidenten ernannt, mehr als fünfzig Jahre nach dessen Tod. Simon Müller von der Gruppe Schickeria:
    "Früher, also in der Zeit, in der ich in die Fanszene hineingewachsen bin, wurde man noch mit einem rechtsoffenen Lifestyle konfrontiert. Der Fokus lag bei uns ganz klar darauf, das Klima in der Kurve zu verändern und jungen Leuten Dinge mitzugeben, die zum Nachdenken anregen. Auch mit der Identifikationsfigur Kurt Landauer. 2006 hat niemand die Idee gehabt, dass wir dann irgendwann mal im Kino sitzen und einen Film über Kurt Landauer sehen werden."
    Vorbild für andere Vereine
    Für ihr Engagement wird die Schickeria am Dienstag mit dem Julius-Hirsch-Preis des DFB ausgezeichnet, in Erinnerung an den in Auschwitz ermordeten Nationalspieler. Auch in anderen Städten haben junge Fans alte Vorbilder neu entdeckt. In Nürnberg würdigten die Ultras den jüdischen Trainer Jenő Konrád, der nach einer Hetzkampagne ihren Klub verlassen musste. In Dortmund ehrten Anhänger den Platzwart und Widerstandskämpfer Heinrich Czerkus, der kurz vor Kriegsende ermordet wurde. Und vielleicht wird der Film über Kurt Landauer nun auch andere Vereine animieren. Um in ihren Archiven nach vergessenden Helden zu suchen.
    "Personalisierung hat den Vorteil, dass sich Menschen in Gesichtern besser wieder erkennen. Und das der Prozess der Emotionalisierung stärker angesprochen wird. Das ist eine zweischneidige Geschichte, weil Emotionalisierung bedeutet häufig auch ein Verlust an Kritik."
    Der Freiburger Historiker und Sportsoziologe Diethelm Blecking hat intensiv zur NS-Geschichte des Sports geforscht. In den vergangenen zehn Jahren ist das Gedenken im Fußball präsenter geworden. Durch Bücher, Symposien, Gedenkstättenfahrten und nun einen Spielfilm zur besten Sendezeit. Der DFB und immer mehr Vereine produzieren Broschüren und Internetseiten über ihre verfolgten Mitglieder, sie folgen dem Sozialmarketing von Unternehmen, Banken oder Verlagen. Doch ab wann wird aus Erinnerungskultur Erinnerungsroutine? Diethelm Blecking.
    "Ich habe den Eindruck, dass sich im Sport, vor allem im Fußball, etwas besonderes ereignet. Dass gerade die Funktionäre erkannt haben, wenn man als Global Player wahrgenommen wird, dass man sich mit der eigenen Geschichte kritisch auseinander setzen muss. Dass man sie nicht einfach so entsorgen darf, obwohl einiges natürlich auch ganz klar entsorgenden Charakter hat. Man hakt es ab und hat sich damit beschäftigt. Und häufig sind die Ergebnisse auch nicht besonders kritisch, aber man hat es hiermit erledigt."